Hohe Fallzahlen in Berlin Müller mahnt, Drosten beklagt "Irrlichter"
09.10.2020, 11:04 Uhr
"Wir müssen alle gemeinsam einen Lockdown verhindern": Berlins Regierender Bürgermeister Müller richtet einen dringenden Appell an Jüngere. Ihr Verhalten sei wichtig, um im Kampf gegen das Coronavirus wieder die Oberhand zu gewinnen. Virologe Drosten warnt zudem, das Virus nicht zu unterschätzen.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat angesichts deutlich gestiegener Infektionszahlen in der Hauptstadt an die jüngeren Berlinerinnen und Berliner appelliert, sich an die Regeln zu halten. Gerade auf sie komme es jetzt an. Er richte deshalb einen dringenden Appell an die Community der 20- bis 40-Jährigen zu erkennen, dass es nicht die Zeit für Feiern sei, sagte der SPD-Politiker bei einer Pressekonferenz mit Vertretern der Berliner Charité.
Die steigenden Infektionszahlen seien insbesondere mit Feiern in großen Gruppen und kleineren Feiern in geschlossenen Räumen in Zusammenhang zu bringen, sagte Müller. Vor diesem Hintergrund sei es wichtig gewesen, etwa eine berlinweite Sperrstunde einzuführen und die Kontrollen hochzufahren.
Für die verschärften Maßnahmen bitte er um Verständnis. Es müsse schnell gehandelt werden. "Wir müssen alle gemeinsam einen Lockdown verhindern", sagte der Regierende Bürgermeister. Ein solcher wäre nicht nur dramatisch für die Wirtschaft, sondern auch mit Blick auf die sozialen Folgen. "Wir haben es gemeinsam in der Hand, wie es sich weiter entwickelt."
Der Chefvirologe der Berliner Charité, Christian Drosten, beklagte unterdessen bei der Einschätzung der Gefährlichkeit des Coronavirus "Irrlichter" in der öffentlichen Information. Manche würden jetzt darüber reden, ob denn die Erkrankung mit Covid-19 wirklich noch so gefährlich sei. Die Erkrankung sei weiter gefährlich, "die Informiertheit der Bevölkerung ist entscheidend". Denn nur so ließen sich die richtigen Entscheidungen im Alltag treffen.
Gesundheitsämter sind deutlich unterbesetzt
Drosten bekräftigte dabei seine Einschätzung einer in Deutschland wegen des vergleichsweise hohen Alters der Bevölkerung höheren Sterblichkeit durch das Coronavirus. Die Infektionssterblichkeit liege bei "einem Prozent oder etwas mehr" in Deutschland. Das sei eine etwa 20 Mal höhere Sterblichkeit als bei der Grippe.
Dem aktuellen Datenstand des Robert-Koch-Institus (RKI) zufolge reißen derzeit vier Berliner Bezirke die zwischen Bund und Ländern vereinbarte Obergrenze von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen. Neben Neukölln (mit einer Inzidenz von 133,0) sind das Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg. Auf das gesamte Stadtgebiet gerechnet, beträgt die Inzidenz nach Angaben der Verwaltung derzeit 52,8. Damit gilt Berlin als Risikogebiet.
Müller kritisierte die in diesem Zusammenhang von vielen Bundesländern beschlossenen Beschränkungen für Urlaubsreisen in Deutschland. "Diese Reisebeschränkungen helfen aus meiner Sicht nicht." Wenn es dazu eine mehrheitliche Verständigung gebe, müsse man dies akzeptieren. Das nicht abgestimmte Verfahren sei aber ungut. Zudem würden "wahnsinnig viele personelle Kräfte und Testkapazitäten" gebunden - mit Ergebnissen, "die man so zumindest auch nicht braucht jetzt zur Pandemiebekämpfung". Er hoffe sehr, dass es wieder zu einem einheitlichen Verfahren komme.
Derweil sind die Berliner Gesundheitsämter nach Einschätzung Müllers nach wie vor deutlich unterbesetzt. Der Grund dafür seien vor allem Schwierigkeiten, Personal zu finden. "Wir haben 200 offene Stellen." Die Stellen seien da, das Geld dafür auch. "Aber ich kann mir die Leute nicht backen", so der SPD-Politiker. Bei der Stellenbesetzung gehe es voran. "Aber wir können sie nicht so schnell besetzen, wie wir möchten."
Deshalb sei angesichts der gestiegenen Infektionszahlen und der Notwendigkeit, die Kontakte von positiv Getesteten zu verfolgen, ein Umschichten aus anderen Bereichen der Verwaltung wichtig. Müller lobte auch die Unterstützung der Bundeswehr bei der Kontaktnachverfolgung. Er hoffe, dass es die Möglichkeit gebe, weiteres qualifiziertes Personal von der Bundesebene zu bekommen. Darüber solle am frühen Nachmittag in der Schalte der Bürgermeister der großen deutschen Städte mit Bundeskanzlerin Angela Merkel gesprochen werden.
Quelle: ntv.de, fzö/dpa/AFP