
Ein muslimischer Flüchtling auf dem Weg nach Bangladesch. In den vergangenen Wochen haben mehr als 100.000 Rohingya das Land verlassen.
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Innerhalb weniger Wochen flüchten weit über 100.000 Menschen aus Myanmar ins Nachbarland Bangladesch. In ihrer Heimat unterdrückt sie das Militär immer brutaler. Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi schaut bei dem Massenmord zu.
Buddhismus - allein der Begriff lässt vor dem inneren Auge einen Mönch auftauchen, der sanft einen Gong schlägt - gilt als der Inbegriff einer friedlichen Religion. Wie in Tibet müssten die Anhänger Siddhartha Gautamas, des Buddha, doch frei von Aggressionen sein und jede Kreatur beschützen. Ähnliche Klischees umgeben den Hinduismus: Yoga, ayurvedische Kuren, glückliche Kühe. Über das Image des Islam in der westlichen Welt muss nach der islamistischen Terror-Serie der vergangenen Jahre hingegen nicht mehr viel gesagt werden. Es ist desaströs. Bei vielen Menschen weckt der Begriff Assoziationen zu Terror, Unterdrückung und schwarzen Fahnen. Vielleicht nimmt genau deswegen die Welt kaum Notiz vom blutigen Schicksal der Muslime in Myanmar.
Eine muslimische Minderheit wird dort brutal unterdrückt. Land wird beschlagnahmt, Eigentum zerstört, rund 400 Menschen wurden seit Mitte August Schätzungen der UN zufolge von Soldaten getötet. Es ist nicht das erste Mal, dass das myanmarische Militär dem sanft lächelnden Buddha eine hässliche Fratze aufsetzt. Seit der Unabhängigkeit Myanmars von Großbritannien 1948 gab es 20 Angriffswellen des Militärs auf die Rohingya. Die Vereinten Nationen bezeichnen sie als die am meisten verfolgte und unterdrückte Minderheit der Welt. Ihr Land und Besitz können jederzeit beschlagnahmt oder zerstört werden. Obwohl sie seit Jahrhunderten in Myanmar leben, erhalten sie keine Staatsbürgerschaft. Als Staatenlose dürfen sie nicht wählen gehen, haben keinen Zugang zu höherer Bildung, dürfen das Land nicht verlassen und selbst innerhalb der Landesgrenzen nur beschränkt reisen.
"Hässlich wie Kobolde"
Als 2009 mehrere hundert Bootsflüchtlinge aus Myanmar im Indischen Ozean ertranken, ließ der myanmarische Generalkonsul in Hongkong einen Blick auf die Gesinnung ranghoher Funktionäre in Rangun zu. Kurz nach der Katastrophe schrieb er in einem Brief an das Diplomatische Korps, die Rohingya gehörten nicht zu Myanmar. Im Gegensatz zu den hellerhäutigen Myanmaren seien sie "hässlich wie Kobolde". Myanmar ist kein Gottesstaat. Doch es ist eben diese grundlegende, tief verwurzelte Ablehnung der Muslime durch die buddhistische Mehrheit, auf der die aktuelle Gewalt fußt. Das harte Vorgehen des Militärs genießt die Rückendeckung vieler buddhistischer Geistlicher.
In den vergangenen Wochen sind bereits über 120.000 Menschen über die Grenze nach Bangladesch geflohen. Doch die Kapazitäten in den Flüchtlingslagern des Landes, in dem auf einer Fläche halb so groß wie Deutschland über 160 Millionen Menschen leben, sind erschöpft. Viele der rund eine Million Rohingya, die Myanmar in den vergangenen Jahrzehnten bereits verlassen haben, leben immer noch in Lagern nahe der Grenze.

Hat den Nimbus von Demokratie und Menschenrechten verloren: Friedensnobelpresträgerin und Regierunschefin Aung San Suu Kyi.
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Dass der Exodus in den vergangenen Wochen so massiv war, mag damit zusammenhängen, dass das Militär diesmal mit besonderer Härte gegen die Minderheit vorgeht. Was wiederum daran liegt, dass praktisch aus dem Nichts eine bewaffnete Gruppe aufgetaucht ist, die sich gegen die Unterdrückung zur Wehr setzen will: die Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA), die umgehend von der Regierung als Terrororganisation deklariert wurde. Ende August dann überfallen dutzende Kämpfer einen Grenzposten und töten mehr als 30 Soldaten. Das Militär macht die Rohingya für das Blutbad verantwortlich. Wenn das als wenig kompromissbereit geltende myanmarische Militär, das Jahrzehnte die Macht im Staat hatte, auf bewaffneten Widerstand trifft, könnte dem Land eine Kriegsfront drohen.
Wann schwappt der Islamismus nach Myanmar?
Zudem birgt das Narrativ der mit Gewalt unterdrückten, im Grunde ja friedlich lebenden Muslime, das die Rohingya bisher erfüllten, ein enormes ideologisches Risiko. Zwar gibt es derzeit noch keine Anzeichen dafür, dass die ARSA Verbindungen zu Islamisten im Ausland aufgenommen hat. Doch dürfte es eigentlich nur eine Frage der Zeit sein, bis die Saat des religiösen Extremismus auf den günstigen Nährboden in Myanmar fällt.
An religiös motivierten Extremisten mangelt es in der Region jedenfalls nicht: Anschläge der Terrormiliz Islamischer Staat haben in der Vergangenheit mehrfach Bangladesch erschüttert. Im Süden Thailands kämpft ebenfalls eine muslimische Minderheit gegen den buddhistischen Staat, im Süden der Philippinen haben Islamisten eine ganze Stadt unter ihre Kontrolle gebracht. Und in Malaysia und Indonesien findet seit Jahren eine schleichende religiöse Radikalisierung statt. Zudem leben viele Flüchtlinge aus Myanmar in Saudi-Arabien. Wenn radikale Prediger junge Menschen im Nachbarland Bangladesch zu Selbstmordattentätern machen konnten, warum sollten sie das nicht auch in Myanmar tun?
Die Gewalt von Buddhisten gegenüber einer unterdrückten muslimischen Minderheit passt nicht in das westliche Bild und beweist, dass Unterdrückung oder Toleranz nichts mit dem Glaubensbekenntnis zu tun haben. Doch noch etwas passt nicht ins westliche Bild: Die Rolle einer Person in dem Konflikt, die lange als Ikone des Friedens gesehen wurde: Aung San Suu Kyi, die in dem Konflikt endgültig ihre Unschuld verloren hat.
Als vor zehn Jahren Studenten und Mönche auf die Straßen zogen, saß sie noch machtlos unter Hausarrest. Doch inzwischen ist die Friedensnobelpreisträgerin de facto Regierungschefin und hat durch ihr konsequentes Schweigen und Abstreiten ihre Aura aus Menschenrechten, Demokratie und Freiheit endgültig verloren. Aktuell bezeichnet Aung San Suu Kyi die Gewalt gegen die Rohingya als "Fehlinformation". Gleichzeitig soll das myanmarische Militär an der Grenze zu Bangladesch Landminen platzieren – anscheinend, um die Rohingya an der Rückkehr zu hindern.
Quelle: ntv.de