Politik

"Taube" oder Falke"? Netanjahu liegt nichts an neuem Gaza-Krieg

Benjamin Netanjahu ist an einer weiteren Eskalation nicht gelegen.

Benjamin Netanjahu ist an einer weiteren Eskalation nicht gelegen.

(Foto: REUTERS)

Israels Premier versucht, einen neuen bewaffneten Konflikt um den Gazastreifen zu vermeiden, allem Kriegsgeheul von Hardlinern in seiner Regierung zum Trotz. Eine "Taube" macht das aus dem "Falken" Netanjahu aber noch lange nicht.

Die jüngsten Gewaltausbrüche in Gaza und im Süden Israels drohen zu eskalieren. Vier Jahre nach dem letzten Krieg in der Region scheint die israelische Abschreckung ihre Wirkung verloren zu haben. Die radikal-islamische Hamas, die den kleinen Küstenstreifen beherrscht, versucht offenbar, Israel neue Spielregeln zu diktieren und das Land in eine Situation zu zerren, an der Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kein Interesse hat.

Seit Montagnachmittag sind fast 400 Raketen und Mörser aus Gaza auf Israel abgefeuert worden. Die meisten zielten auf Gemeinden in der Nähe der Grenze, einige andere auf Städte im Süden des Landes.

Die Eskalation begann nach einer gescheiterten Geheimoperation der israelischen Armee (IDF) östlich von Khan Yunis, bei der sieben Palästinenser und ein israelischer Offizier getötet wurden. Die Hamas und der Palästinensisch-Islamische Dschihad (PIJ) nutzten die Gelegenheit, um im Süden eine neue Abschreckungsgleichung aufzustellen: Danach soll jedes Eindringen in ihr Territorium zu einem schweren Beschuss Israels führen.

Zugleich versuchten die Hamas und andere Terrororganisationen, die Verteidigungssysteme Israels zu testen. Die Raketenabwehrsysteme des "Iron Dome", der eisernen Kuppel, fingen zwar die meisten Geschosse ab. Trotzdem wurde ein Gebäude in Ashkelon schwer getroffen. Ein Palästinenser aus Hebron, der in Israel arbeitete, kam dabei ums Leben, mehrere Menschen wurden verletzt.

Liebermans Partei verlässt Koalition

Im Süden Israel sind viele wütend. "Die Bewohner dieser Region müssen seit über dreizehn Jahren diesen Abnutzungskrieg aushalten", sagt Baruch Laniado, ein Bewohner Sderots, während einer Demonstration gegen den Waffenstillstand mit der Hamas. Der kleine Ort, der nicht einmal einen Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen entfernt ist, leidet schon seit der zweiten Intifada 2001 unter den Raketenangriffen der Hamas. "Es ist eine Schande, wie wir von jeder Regierung getäuscht werden", sagt der 75-Jährige weiter. "Der Ministerpräsident hat uns wieder vergessen. Wir dachten, diesmal wird es Ruhe geben, aber hier sind sie wieder, die Raketen, und die Hamas wartet schon auf die nächste Runde."

Trotz des massiven Beschusses aus Gaza hat Netanjahu mehrfach deutlich gemacht, dass er keine Absicht hat, eine größere Militäroperation anzuordnen. Die Hamas-Führer waren von den zurückhaltenden israelischen Reaktionen auf ihre Raketenangriffe in den letzten Monaten selbst überrascht. In Israel, vor allem bei rechten Politikern und Medien, wird der Ministerpräsident für seine Zurückhaltung heftig kritisiert.

So verkündete Verteidigungsministers Avigdor Lieberman am Mittwoch seinen sofortigen Rücktritt, nachdem unter anderem auf ägyptisches Betreiben ein Waffenstillstandsabkommen mit der Hamas ausgehandelt worden war und Israel zugelassen hatte, dass Katar Millionen Dollar nach Gaza schickte. Lieberman warf dem Premier vor, vor dem Terror zu kapitulieren.

Auch seine rechtsgerichtete Partei Yisrael Beiteinu wird die Regierungskoalition verlassen. Zwar kann Netanjahu mit 61 Knesset-Mitgliedern weiterregieren. Doch mit großer Wahrscheinlichkeit wird diese Krise zu Neuwahlen Anfang 2019 führen. Die Opposition fordert schon jetzt den Rücktritt der gesamten Regierung, denn ihr Sicherheitskonzept sei gescheitert.

Auch wenn der Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas wohl nicht langfristig halten wird, ist ein Krieg wie vor vier Jahren alles andere als unausweichlich. Nicht nur Netanjahu, beide Seiten zeigen eine gewisse Zurückhaltung hinsichtlich des Umfangs und der Intensität ihrer Reaktionen. Anders als viele seiner Militärs ist Netanjahu bei der Mobilisierung der Streitkräfte meist vorsichtig. In den insgesamt dreizehn Jahren seiner Amtszeit als Premierminister autorisierte er nur 2014, auf Drängen seines Kabinetts und Generalstabs, eine groß angelegte militärische Offensive.

Netanjahus will Chancen auf Wiederwahl erhöhen

In der Armee macht er sich damit nicht nur Freunde. "Israel sollte den Verlauf der Kampfhandlungen bestimmen, nicht die Hamas", klagt Zohar, ein IDF-Offizier des Südkommandos. "Terrororganisationen müssten um einen Waffenstillstand betteln und nicht ständig den Verhandlungstisch verlassen, während sie Drohungen an Israel senden, als wären sie der starke Gegner, der die Bedingungen festlegt."

Netanjahu, der nach Liebermans Rücktritt nicht nur Premier und Außenminister, sondern auch noch Verteidigungsminister ist, gehört sicher eher zu den Falken als zu den Tauben. Doch der Waffenstillstand fügt sich perfekt in seine langfristige Strategie gegenüber den Palästinensern ein. Denn dieser wird Israel eine zeitweilige Ruhe an der Südfront geben und gleichzeitig die humanitäre Lage in Gaza so weit mildern, dass eine ausgewachsene Krise vermieden wird. Eine langfristige Lösung sucht Netanjahu gar nicht - er glaubt auch nicht, dass eine solche mit den Palästinensern möglich ist. Netanjahu setzt nicht auf einen großen militärischen Sieg, sondern auf etwas, das er "Frieden der Abschreckung" nennt. Kritiker sagen, dies sei eine Beschönigung der Tatsache, dass er die Palästinenser so lange schikanieren will, bis sie keine Kraft mehr zum Widerstand haben.

Seine kurzfristigen Gründe, Gaza für eine Weile von der Tagesordnung zu nehmen, haben natürlich auch Kalkül: Raketen auf Israel würden seinen Aussichten auf Wiederwahl schaden. Auf internationaler diplomatischer Ebene möchte Netanjahu sicherstellen, dass er mögliche Friedensinitiativen aus den USA oder Europa jederzeit abwehren kann. Je ruhiger die Lage in Gaza, desto geringer ist der internationale Druck auf ihn, den Palästinensern Zugeständnisse zu machen.

Dieser Kurs stellt jedoch beide Seite nicht zufrieden. Die israelische Opposition fordert eine neue Verteidigungsstrategie, die militärische Stärke und eine diplomatische Initiative kombiniert. Baruch Laniado, der Demonstrant aus Sderot, setzt dagegen nur auf Stärke. Der Waffenstillstand sei Israel von der Hamas aufgezwungen worden, sagt er. "Das wird den Terror nicht stoppen, denn was wir jetzt als Nation tun, wird nur eine kurzfristige Ruhe auf Kosten unserer langfristigen Sicherheit bringen."

Quelle: ntv.de

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