Politik

Die USA unter Corona-Schock "Pandemie wird Trumps Mantra zerstören"

Das Virus wird die USA nachhaltig schwer treffen.

Das Virus wird die USA nachhaltig schwer treffen.

(Foto: REUTERS)

Zum Glück seien die Vereinigten Staaten föderalistisch, sagt US-Experte Josef Braml. So könne Präsident Trump weniger Schaden in den strukturschwachen USA anrichten. Erst habe er verharmlost, nun dramatisiere er. Die kommende Weltwirtschaftskrise werde Trump seines besten Wiederwahlarguments berauben, sagt Braml. Aber wer kann davon profitieren?

ntv.de: Wie schätzen Sie das Krisenmanagement von Trumps Regierung gegen das Coronavirus ein?

Josef Braml: Es ist ein Glück, dass die USA nicht zentralistisch regiert werden, sondern föderalistisch. Die Bundesstaaten sind größtenteils für Notmaßnahmen zuständig. Wenn diese allein von Trump abhingen, hätten die Vereinigten Staaten noch größere Probleme als ohnehin schon. Trump hatte die Pandemie ja heruntergespielt, als lächerlich, als Verschwörungstheorie der Demokraten dargestellt, und ihm hörige US-Medien wie Fox News stimmten ein. So wurde wertvolle Zeit verloren. Inzwischen hat er die Situation als Krieg definiert, geht mit aller Macht der Bundesregierung vor, mit Befugnissen, die dem Präsidenten in Krisenzeiten zufallen.

Was bedeutet das?

Dr. Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Autor des Buches "Trumps Amerika - Auf Kosten der Freiheit". Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog usaexperte.com.

Dr. Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Autor des Buches "Trumps Amerika - Auf Kosten der Freiheit". Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog usaexperte.com.

(Foto: Josef Braml)

Abgesehen vom rhetorischen Kniff erhält er so mehr Vollmachten. Etwa bemüht er ein Gesetz aus der Zeit des Koreakrieges, namentlich den Defense Production Act, um Firmen bestimmte Produktion vorzuschreiben. Er greift so in die freie Marktwirtschaft ein. Dazu kommt das im Eilverfahren im Kongress verabschiedete Hilfspaket in Größe von zwei Billionen Dollar. Kritik und Kontrolle, die sogenannten checks and balances der Legislative, sind angesichts einer nationalen Bedrohung und einer verunsicherten, patriotisch aufgeladenen Stimmung nicht zu erwarten. Es besteht die Gefahr, dass Trump seine ohnehin autoritären Tendenzen noch mehr auslebt, also die Gunst der Stunde nutzen wird.

Zu wessen Wohl?

Zum Wohle Donald Trumps.

Seinen Geschäften, denen seiner Familie, seiner Verbündeten?

Seiner Macht und Herrlichkeit. Er kann es sich selbst in dieser Krise nicht verkneifen, damit zu prahlen, dass seine Krisen-Pressekonferenzen so viele Zuschauer hätten. Trump bleibt in seinem narzisstischen Gefängnis gefangen. Nicht einmal in einer solchen Krise kann er Empathie und Gemeinsinn aufbringen, um an das Wohl aller zu denken. Also auch an das Gemeinwohl denken, das tun, was ein Präsident in dieser Situation machen sollte. Trump ist weiter auf sich selbst bezogen.

Warum dann sein Kurswechsel, etwa die Verkündung der erschreckenden Prognose von mindestens 100.000 bis 220.000 Toten im Land?

Er handelt wahrscheinlich nur so, weil ihm Berater sagen, er müsse die Strategie ändern; alles dramatisch darlegen und damit Erwartungsmanagement betreiben, wie die Amerikaner sagen. Trump stellt ein drastisches Szenario in Aussicht. Sollte es weniger schlimm kommen, ist er der Held.

Was sind für Sie die grundlegenden Probleme der USA im Kampf gegen Corona?

Trump hat mit strukturellen Schwierigkeiten zu kämpfen, das wäre bei jedem US-Präsidenten so gewesen. Ein Wirtschafts- und Sozialsystem etwa, das anders ist als in Europa. Es gibt kein soziales Auffangnetz in unserem Sinne. Viele US-Bürger sind gar nicht krankenversichert, viele weitere unterversichert. Ein einzelner Arztbesuch kann einen Lebensplan ruinieren. Deshalb konnten viele US-Amerikaner keinen Arzt aufsuchen und mussten länger arbeiten gehen als zumutbar gewesen wäre. Die mittlerweile drastische Einschränkung des Arbeitslebens wird umso größere wirtschaftliche Folgen haben. Auch die zwei Billionen Dollar des staatlichen Rettungspakets können das nicht auffangen. Die fehlende Kaufkraft wird sich drastisch auswirken. Zwei Drittel der US-Wirtschaft leben vom Konsum. Wenn der eingeschränkt ist, gibt es ein riesiges Problem. Es geht in dieser Krise aber nicht nur um die Nachfrage-, sondern auch um die Angebotsseite, also die abrupt heruntergefahrene Produktion. Das erwartet uns auch in anderen Ländern und insbesondere auch in Europa. Deshalb werden wir eine Weltwirtschaftskrise erleben.

Was bedeutet das für die internationale Zusammenarbeit?

Wir erinnern uns heute mit Wehmut an die Führungsleistungen und das Krisenmanagement in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/08. Die US-Regierung unter Barack Obama hat grenzübergreifend koordiniert, auch multilateral innerhalb der G20, und damit Schlimmeres verhindert. Trump hingegen bleibt seinen unilateralen, chauvinistischen Zügen treu: America First, Amerika kann es allein machen. Eine Pandemie, ein globales Problem, versucht er als "China-Virus" zu deklarieren. Deshalb scheitern auch multilaterale Erklärungen und Kooperationen, sogar innerhalb der G7. Sein eingeschränktes narzisstisches Weltbild steht einer internationalen Bekämpfung der Pandemie und der sich abzeichnenden Weltwirtschaftskrise im Weg.

Andere Präsidenten erfuhren in Krisenzeiten große Unterstützung aus der Bevölkerung, auch über ideologische Grenzen hinweg. Profitiert Trump politisch von Corona?

Wir sehen einen Effekt, aber er ist nicht mit dem aus vergangenen Krisen zu vergleichen. Im historischen Vergleich ist es bemerkenswert, wie schwach dieser "rally around the flag"-Effekt ist. Trump hätte die Situation politisch viel besser nutzen können. Wenn er umsichtiger aufträte, mehr Empathie und Gemeinsinn für die US-Bevölkerung hätte. Vielleicht müsste er dies sogar nur rhetorisch tun und nicht einmal entsprechend handeln! Aber Trump kommt nicht aus seinem narzisstischen Gefängnis heraus. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass womöglich andere von dieser Schwäche profitieren könnten. Wir sind schließlich in einem Wahljahr.

Also könnten die Demokraten und ihr vermutlicher Präsidentschaftskandidat Joe Biden die Führungsschwäche ausnutzen?

Das ist nicht eindeutig vorhersehbar. Wir können aber andere Entwicklungen absehen: Wir werden menschliche Dramen erleben, viele Tote sehen. Und wir werden einen Einbruch der amerikanischen Wirtschaft erleben, die bereits seit 2007/08 sehr fragil ist und mit maßlosen Schulden und dem Gelddrucken der US-Notenbank am Laufen gehalten wurde. Die Auswirkungen der Pandemie werden die US-Wirtschaft weiter schwächen und damit Trumps Mantra zerstören. Er geht ja gerne mit den Kursen an der Wall Street hausieren, den historisch niedrigen Arbeitslosenzahlen, wie gut die USA ökonomisch dastehen. Aber all das wird sich dramatisch verschlechtern – und das mitten im Wahlkampf, vor den Präsidentschafts- und Kongresswahlen im November. Wenn der Kaiser dann auch in den Augen seiner Wähler keine Kleider mehr hat, die Wirtschaft darnieder liegt, dann ist vieles möglich. Diese Entwicklung böte eine Chance für Trumps Herausforderer Joe Biden. Aber dessen Auftritte wirken bislang wenig souverän. Er erweckt beim Fernsehzuschauer manchmal sogar den Eindruck, als ob er selbst hilfsbedürftig sei.

Welche mittel- bis langfristigen Folgen haben die aktuelle Krise und Trumps Vorgehen für die USA?

Der Staat, die Unternehmen und Privatpersonen leben seit Jahrzehnten auf Pump. Schon jetzt sind die USA überschuldet wie nie, die Privatkredite höher als 2007/08, ist der Staatshaushalt aufgebläht. Dieser finanzielle Ressourcenmangel wird zu massiven Veränderungen führen. Auf beiden Seiten des politischen Spektrums gibt es Tendenzen, die sich gegen einen internationalen offenen, freihandelsorientierten Kurs der USA aussprechen. Diese protektionistische Stimmung hat Trump zur Macht verholfen. Er ist in die Kernwählerschaft der Demokraten eingedrungen, vor allem in den hart umkämpften Einzelstaaten des industriellen Rostgürtels. Er hat mit seinen chauvinistischen Parolen die Verlierer der Globalisierung begeistert. Er sagte, wir bauen Mauern, dann kann ich euch schützen und Amerika wieder groß machen. Biden wird wohl auch protektionistischer auftreten müssen, um diese Wähler zurückzuholen.

Was bedeutet das für Deutschland und Europa?

Selbst wenn Biden gewählt werden sollte, befürchte ich, würde diese verunsicherte Nation künftig nicht mehr den wohlwollenden außenpolitischen Kurs fahren können, von dem viele Verantwortliche in Deutschland immer noch träumen. Die USA werden nicht mehr der gutmütige Hegemon sein, der für uns Sicherheit, Freihandel und eine stabile Leitwährung bringt. Im Gegenteil, die USA werden ihre Interessen weiterhin viel enger definieren und finanzielle Lasten rabiat auf uns abzuwälzen versuchen. Wir haben unter Trump einen Vorgeschmack davon bekommen. Er sagt: Ihr seid abhängig von uns, und falls ihr unsere Sicherheitsleistungen in Anspruch nehmen wollt, dann habt ihr gefälligst in der Handels- und Währungspolitik dafür zu bezahlen. Doch diese Entwicklung war bereits vor Trump absehbar, wurde von ihm aber noch beschleunigt. In der bevorstehenden Weltwirtschaftskrise wird das Geld in den USA noch knapper werden und diese Tendenzen weiter verschärfen.

Wie wird Corona nachwirken?

Die kommende Finanz- und Wirtschaftskrise wird ein größeres Donnerwetter werden und die Weltwirtschaftsordnung noch mehr ins Wanken bringen - von der die deutsche Wirtschaft existenziell abhängt. Dagegen wird 2007/08 in der Rückschau nur ein Wetterleuchten gewesen sein.

Mit Josef Braml sprach Roland Peters

Dr. Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Autor des Buches "Trumps Amerika - Auf Kosten der Freiheit". Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog usaexperte.com.

Quelle: ntv.de

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