Auf dem Weg zum Alleinherrscher? Parlament will Erdogans Präsidialsystem
21.01.2017, 02:25 Uhr
Verfügt bald über noch mehr Macht: Recep Tayyip Erdogan
(Foto: picture alliance / Yasin Bulbul/)
Das türkische Parlament schafft sich quasi selbst ab: Das von Erdogan angestrebte Reformpaket erlaubt es dem Staatschef, per Dekret und - zumindest theoretisch - bis ins Jahr 2034 zu regieren. Eine Hürde gibt es allerdings noch.
Die von Staatschef Recep Tayyip Erdogan angestrebte Verfassungsreform für ein Präsidialsystem in der Türkei ist vom Parlament verabschiedet worden. In Kraft treten können die Änderungen allerdings erst, wenn das Volk in einem Referendum zustimmt. Für das von Erdogans AKP vorgelegte Reformpaket aus 18 Artikeln stimmten am frühen Samstagmorgen 339 Abgeordnete, 142 waren dagegen. Die notwendige Dreifünftelmehrheit von mindestens 330 Stimmen wurde auch mit Hilfe von Abgeordneten aus der ultranationalistischen Oppositionspartei MHP erzielt. Damit nahm die Reform ihre bislang wichtigste Hürde.
Während der fast zweiwöchigen Parlamentsdebatte über die Verfassungsänderungen war es zu hitzigen Auseinandersetzungen und zu Schlägereien im Parlament gekommen. Über die 18 Artikel wurde jeweils einzeln in zwei Lesungen abgestimmt. Sie alle erhielten - wie am Schluss auch das Gesamtpaket - die notwendige Dreifünftelmehrheit. Zu der Volksabstimmung, bei der nur noch eine einfache Mehrheit notwendig ist, soll es voraussichtlich Ende März oder Anfang April kommen. Die Umsetzung der Verfassungsreform soll schrittweise erfolgen und bis Ende 2019 vollständig abgeschlossen sein.
HDP fürchtet Ein-Mann-Herrschaft
Das Präsidialsystem würde Erdogan deutlich mehr Macht verleihen und das Parlament schwächen. Der Präsident würde zugleich als Staats- und Regierungschef amtieren und könnte weitgehend per Dekret regieren. Sein Einfluss auf die Justiz würde weiter zunehmen. Die Amtszeiten des Präsidenten wären zwar weiterhin auf zwei begrenzt, die Zählung würde unter dem neuen Präsidialsystem aber mit der für November 2019 geplanten Wahl neu beginnen. Theoretisch könnte Erdogan durch eine Hintertür in den Verfassungsänderungen bis zum Jahr 2034 im Amt bleiben, wenn er die jeweiligen Wahlen gewinnt.
Erdogan führt an, dass das Präsidialsystem der Türkei Stabilität bringen würde. Der Chef der kleinsten Oppositionspartei MHP, Devlet Bahceli, und weitere MHP-Abgeordnete unterstützten die Reform im Parlament. Die größte Oppositionspartei CHP und die pro-kurdische Oppositionspartei HDP sind dagegen strikt gegen das Präsidialsystem, weil sie eine Ein-Mann-Herrschaft befürchten.
Oppositionsführer spricht von "Katstrophe"
Das Parlament habe sich selbst entmachtet, erklärte Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu. Der 21. Januar werde als Tag in die türkischen Geschichte eingehen, an dem das Parlament seine "eigenen Machtbefugnisse" abgetreten habe, sagte der Chef der Mitte-Links Partei CHP. Die Nationalversammlung habe "Verrat" an ihrer Geschichte begangen.
Kilicdaroglu betonte: "Wir sind gegen diesen Systemwechsel." Es sei eine "Katastrophe", wenn eine Person die gesamte Macht erhalte. Zugleich zeigte sich der Oppositionsführer zuversichtlich, dass die Reform bei dem Referendum scheitern werde. "Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, für die Demokratie einzutreten", sagte er.
Die HDP hatte angekündigt, sich aus Protest gegen die Inhaftierung ihrer Kollegen an den Abstimmungen zur Verfassungsreform nicht zu beteiligen. Elf HDP-Parlamentarier sitzen seit November wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft, unter ihnen die Parteichefs Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag. Sie waren damit von der Debatte ausgeschlossen. Besonders Demirtas hatte immer wieder deutlich gemacht, dass er das Präsidialsystem verhindern wolle.
Quelle: ntv.de, jve/hul/dpa