Terrorunterstützung oder Zensur? Prozess gegen "Cumhuriyet" beginnt
24.07.2017, 06:55 Uhr
Dutzende Journalisten wurden seit dem Putschversuch vor einem Jahr in der Türkei verhaftet. Mehreren Mitarbeitern der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" droht das gleiche Schicksal - weil sie Terroristen unterstützt haben sollen.
In Istanbul beginnt heute Vormittag der Prozess gegen 17 frühere und jetzige Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet". Ihnen wird nach Angaben ihrer Anwälte Unterstützung von Terrororganisationen wie der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, der linksextremen DHKP-C oder der Gülen-Bewegung vorgeworfen. Die türkische Führung macht die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch vom 15. Juli 2016 verantwortlich.
Zwölf "Cumhuriyet"-Mitarbeiter befinden sich derzeit in Untersuchungshaft. Von ihnen werden elf angeklagt, dazu fünf weitere Mitarbeiter sowie der ehemalige Chefredakteur der Zeitung, Can Dündar. Dündar lebt im Exil in Deutschland. Vor Gericht erscheinen sollen unter anderen der derzeitige Chefredakteur Murat Sabuncu, "Cumhuriyet"-Herausgeber Akin Atalay, der bekannte Investigativ-Journalist Ahmet Sik sowie der Karikaturist Musa Kart.
Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen drohen den Angeklagten bis zu 43 Jahre Haft. Genauso wie andere Organisationen weisen sie die Terrorvorwürfe als "politisch motiviert" zurück. Vertreter der Gruppen wollten vor Prozessbeginn am Montag an einer Demonstration vor dem Gericht teilnehmen.
Reporter ohne Grenzen, die Europäische Journalistenvereinigung, Pen International, das International Press Institute und das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit kritisierten, in keinem Land der Welt seien mehr Journalisten hinter Gittern als in der Türkei. Inzwischen seien dort mehr als 150 Journalisten inhaftiert. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt die Türkei auf Platz 155 von 180.
Artikel und Tweets als Indizien
In der Anklageschrift wird Dündar unter anderem beschuldigt, die die politische Ausrichtung der Zeitung geändert zu haben. "Cumhuriyet" habe unter seiner Führung die "Terrororganisationen" PKK, die Gülen-Bewegung und die DHKP-C verteidigt, heißt es.
Als Indizien werden unter anderem Artikel angeführt. Etwa ein Bericht aus dem Jahr 2015, in dem die "Cumhuriyet" geheime Informationen veröffentlichte, die Waffenlieferungen der Regierung an Rebellen in Syrien belegen sollen. Dafür wurden Dündar und der Hauptstadtbüroleiter Erdem Gül in einem anderen Verfahren schon zu mehrjährigen Haftstrafen wegen Geheimnisverrats verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Auch Twitter-Nachrichten der Journalisten werden in der Anklage aufgeführt. Im Fall des Investigativ-Journalisten Sik etwa mehrere, die den Konflikt zwischen der Regierung in Ankara und der PKK im Südosten des Landes thematisieren.
Quelle: ntv.de, chr/dpa