
Ein Mann in Johnson-Maske beerdigt symbolisch die britische Demokratie. Doch auch wenn das Timing umstritten ist und die Zwangsferien die Brexit-Debatte lähmen könnten - in normalen Zeiten wären sie ein ganz normaler Vorgang.
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Großbritanniens Premierminister Johnson will den Brexit um jeden Preis durchziehen. Dafür greift er nun zu einer höchst umstrittenen Maßnahme: Er schickt das Parlament in Zwangsferien. Darf er das? Was bezweckt er damit? Ist der Brexit noch zu stoppen? Fragen und Antworten.
Noch sind es 64 Tage, bis Großbritannien endgültig aus der EU ausscheiden soll - und Premierminister Boris Johnson will das Datum unbedingt einhalten. Nun schickt er das Unterhaus ab Mitte September für bis zu fünf Wochen in Zwangsurlaub. So könnte er verhindern, dass die Abgeordneten ein Gesetz erlassen, das ihn zu einem Brexit-Aufschub zwingen würde. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was hat Johnson genau vor?

Gerhard Dannemann ist Professor für Recht, Wirtschaft und Politik am Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität Berlin.
(Foto: privat)
Die Königin hat zugestimmt, das Parlament für bis zu fünf Wochen nach Hause zu schicken. Damit soll die aktuelle Gesetzgebungsphase enden und nach der Pause eine neue beginnen. Das ist grundsätzlich so üblich in Großbritannien. Dort dauert eine Gesetzgebungsphase, anders als deutsche Legislaturperioden, für gewöhnlich nur ein Jahr. Wegen des Brexits wurde sie 2017 aber auf zwei Jahre verlängert, wie der Jura-Professor und Großbritannien-Experte Gerhard Dannemann von der Humboldt-Universität in Berlin im Gespräch mit n-tv.de erläutert. Die endete aber bereits im Juni, kurz nach dem ursprünglich geplanten Brexit-Termin am 31. März. Ein Ende der aktuellen Gesetzgebungsphase ist also eigentlich überfällig. Das Timing ist aber so kurz vor dem Brexit-Termin am 31. Oktober höchst umstritten. Das Parlament soll frühestens am 9., spätestens am 12. September beurlaubt werden und am 14. Oktober wieder zusammentreten.
Was bezweckt Johnson damit?
Für Johnsons Gegner ist das glasklar. Seine wahre Absicht sei es, das Parlament zu lähmen, damit es den No-Deal-Brexit nicht doch noch verhindert. Etwa, indem es ein Gesetz beschließt, das Johnson dazu zwingt, doch noch eine Verlängerung bei der EU zu beantragen. Dannemann sagt, der Premierminister habe den Anlass genutzt, um "etwas sehr Ungewöhnliches damit zu verbinden, nämlich das Parlament möglichst weit zurückzudrängen und die Möglichkeit stark zu beschneiden, in seine Pläne einzugreifen." In Deutschland hätte die Bundeskanzlerin dieses Recht übrigens nicht.
Ist das nicht total undemokratisch?
Nein, würden die Anhänger Johnsons sagen. Denn schließlich setze Johnson hier das Referendum über den Brexit um. Und die Meinung des Volkes sei viel wichtiger als das, was Parlamentarier meinen. Die Gegner würden hingegen auf die Souveränität des Unterhauses verweisen. "Der höchste Grundsatz der britischen Verfassung ist: Parliament is supreme (Das Parlament ist souverän)", sagt Danneman. In Einklang damit sei das Ergebnis der Abstimmung über den EU-Austritt rechtlich auch nicht bindend gewesen. Demokratisch oder nicht - das ist also eine Frage des Standpunkts.
Warum hat Königin Elizabeth ihn nicht aufgehalten?
Manche forderten zwar, dass die Königin Johnson den Wunsch nach dem Zwangsurlaub verweigere, so Dannemann. Schließlich gehe es um die Rechte des Parlaments und ganz Großbritannien. Damit zu rechnen war aber nicht. "Sie hat sich ihr ganzes politisches Leben daran gehalten, dass sie sich in politische Dinge nicht einmischt."
Hat Johnson eine Langzeitstrategie?
Johnson hofft auf Neuwahlen, davon geht Dannemann aus - und zwar nach dem erfolgten Brexit. Johnson habe keine sichere Mehrheit zum Regieren und das wisse er auch. "Er will nun möglichst gut da herauskommen", so Dannemann. "Wenn er es schafft, am 1. November hart ausgeschieden zu sein, dann möchte er möglichst bald Neuwahlen, bevor sich die harten Folgen des Ausstiegs im Portemonnaie der Wähler bemerkbar machen." Er hoffe damit, die Brexit-Partei von Nigel Farage an den Rand zu drängen. Gleichzeitig könnten seine Gegner resignieren und womöglich gar nicht mehr zur Wahl gehen.
Wie kann der Brexit nun noch gestoppt werden?
Stoppen ist ein großes Wort - im Gespräch ist eher ein weiterer Aufschub. Der wäre dann möglich, wenn es dem Parlament noch gelingt, ein Gesetz zu beschließen, das Johnson dazu verpflichtet, in Brüssel noch einmal eine Verlängerung zu beantragen. Dannemann zufolge würde die Zeit nun zwar extrem knapp, ausgeschlossen sei dies aber noch immer nicht. Eine andere Möglichkeit wäre ein Misstrauensvotum.
Wie läuft ein Misstrauensvotum ab?
Dafür müsste die Mehrheit im Unterhaus Johnson das Vertrauen entziehen. Dann hätte sie 14 Tage Zeit, sich auf einen neuen Regierungschef zu einigen. Gelingt das, würde dieser laut Dannemann höchstwahrscheinlich einen Aufschub bei der EU beantragen. Anschließend würde der (oder die Neue) voraussichtlich Neuwahlen ausrufen und vielleicht auch ein neues Referendum ansetzen. Findet sich kein neuer Kandidat, könnte Johnson als amtierender Premier den Termin der Neuwahlen festlegen und würde diesen dann natürlich erst nach dem erfolgten Brexit ansetzen. "Das ist Boris Johnsons beste Trumpfkarte."
Quelle: ntv.de