"Teilerfolg" am Stadtrand Russische Truppen rücken auf Kiew vor
12.03.2022, 03:55 Uhr
Dieses Satellitenbild zeigt stark beschädigte Wohnhochhäuser nach der russischen Invasion in Borodyanka, nordwestlich der Hauptstadt, am 9. März.
(Foto: picture alliance/dpa/Maxar Technologies via AP)
Die russische Armee weitet ihre Angriffe auf ukrainische Städte aus. Neben Tschernihiw im Nordosten des Landes nimmt sie die Hauptstadt Kiew ins Visier. Der ukrainische Staatschef Selenskyj spricht von einer "humanitären Katastrophe", da in den Städten Strom, Gas und Wasser fehlten.
Die russische Armee rückt weiter auf die ukrainische Hauptstadt Kiew vor und weitet zugleich ihre Offensive im Osten des Landes aus. Nach Angaben der ukrainischen Armee dauern die Angriffe russischer Truppen im Land weiter an. Rund um die Hauptstadt Kiew gebe es russische Offensiven an der nördlichen Stadtgrenze bei Sasymja und in südlicher Richtung bei Wyschenky, hieß es in einem auf Facebook veröffentlichten Bericht des ukrainischen Generalstabs. Diese Offensiven seien in einigen Bereichen teils erfolgreich.
Die im Nordwesten gelegenen Vorstädte Kiews werden seit Tagen von schweren Luftangriffen erschüttert. Mittlerweile nähert sich die russische Armee der Hauptstadt aber auch von Nordosten her. Ukrainische Soldaten berichteten von heftigen Kämpfen um die Kontrolle der wichtigsten nach Kiew führenden Autobahn bei Welyka Dymerka.
Um die nordostukrainische Stadt Tschernihiw aus südwestlicher Richtung zu blockieren, versuchten russische Einheiten zudem die jeweils rund 15 Kilometer entfernten Orte Mychajlo-Kozjubinske und Schestowytsja einzunehmen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte am Freitag gesagt, dass in Tschernihiw eine wichtige Wasserleitung durch Beschuss beschädigt worden sei.
In der Folge sei die Großstadt mit knapp 280.000 Einwohnern ohne Wasserversorgung. In dem Bericht heißt es weiter, strategische Bomber der russischen Luftwaffe setzten Marschflugkörper in den Städten Luzk, Dnipro und Iwano-Frankiwsk ein. Luzk und Iwano-Frankiwsk befinden sich nördlich und südlich der Stadt Lwiw unweit der polnischen Grenze. Die Angaben ließen sich nicht von unabhängiger Seite überprüfen.
Selenskyj appelliert an Mütter russischer Soldaten
Zudem griff die russische Armee erstmals die Industriestadt Dnipro an. Nach Angaben der Rettungskräfte wurden mehrere zivile Gebäude bombardiert, mindestens ein Mensch wurde getötet. Besonders dramatisch ist die Lage weiterhin in der Hafenstadt Mariupol. Die USA und ihre Verbündeten kündigten derweil neue Handelssanktionen gegen Russland an.
Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj sprach am Freitag von einer "humanitären Katastrophe". In Kiew und anderen Städten gebe es keinen Strom, kein Gas, kein Wasser mehr. Russland wolle die Ukraine "zerstören" und ziehe dazu auch "syrische Mörder" heran, warnte er. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte zuvor den Einsatz von 16.000 "freiwilligen", hauptsächlich aus dem Nahen Osten stammenden Kämpfern in der Ukraine bewilligt.
Selenskyj richtete einen Appell an die Mütter russischer Soldaten. "Schicken Sie Ihre Kinder nicht in den Krieg in einem fremden Land", sagte er in einer Videobotschaft. "Die Ukraine hat diesen schrecklichen Krieg nie gewollt." Sein Land werde sich aber gegen den russischen Angriff verteidigen.
300.000 Bewohner in Mariupol weiter eingekesselt
Die russische Armee weitete ihre Offensive in der Ukraine zuletzt deutlich aus. Neben Kiew und Mariupol nehme Russland mehrere Städte im Zentrum und Osten ins Visier, teilte das ukrainische Militär mit. Zudem bombardiere die russische Armee die Städte Luzk und Iwano-Frankiwsk im Westen des Landes.
Am Freitag griff Russland zudem erstmals die östliche Industriestadt Dnipro an. Nach Angaben der Rettungskräfte trafen die Luftangriffe mehrere zivile Gebäude, darunter einen Kindergarten und eine Schuhfabrik. Mindestens ein Mensch sei getötet worden. In der besetzten südukrainischen Stadt Melitopol wurde nach ukrainischen Angaben Bürgermeister Iwan Fedorow von russischen Soldaten entführt.
Besonders dramatisch ist die Lage im seit mehr als zehn Tagen von der russischen Armee eingekesselten Mariupol. Nach Angaben der örtlichen Behörden wurden seit der Belagerung mindestens 1500 Menschen getötet; das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) berichtete von katastrophalen Bedingungen für die noch rund 300.000 in der Stadt eingeschlossenen Zivilisten. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen warnte vor einer "unvorstellbaren Tragödie".
Inzwischen befinde sich auch die Hauptstadt im "Belagerungszustand", erklärte am Freitag der Präsidentenberater Mychailo Podoljak. Kiew sei "bereit zu kämpfen" und werde "standhaft bis zum Ende sein", twitterte er.
EU erwägt militärische Hilfe für eine Milliarde Euro
Der ukrainische Generalstab warnte, die russische Armee versuche, die Verteidigung in den Regionen westlich und nordwestlich der Hauptstadt auszuschalten, um Kiew zu "blockieren". Zahlreiche Ukrainer befinden sich wegen des russischen Angriffskrieges auf der Flucht. Nach UN-Angaben flohen inzwischen 2,5 Millionen Menschen aus dem Land, hinzu kommen zwei Millionen Binnenflüchtlinge.
Die EU-Staats- und Regierungschefs berieten bei ihrem Gipfel auf Schloss Versailles über weitere Hilfen für die Ukraine. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schlug vor, die Militärhilfen für das Land auf eine Milliarde Euro zu verdoppeln. Dies stieß nach Angaben mehrerer Gipfelteilnehmer auf vorsichtige Zustimmung.
Gegenüber Russland plant der Westen derweil weitere Sanktionen. US-Präsident Biden kündigte an, die USA und ihre G7-Partner sowie die EU würden Russland den Status einer "meistbegünstigten Nation" entziehen. Ein solcher Schritt würde den Weg für Zollerhebungen und weitere Handelsbeschränkungen ebnen. Die USA kündigten zudem weitere Import- und Exportverbote im Handel mit Russland sowie mit Belarus an.
Biden bekräftige derweil, dass die USA und ihre Nato-Partner "keinen Krieg gegen Russland in der Ukraine führen" würden. "Eine direkte Konfrontation zwischen der Nato und Russland ist der Dritte Weltkrieg", sagte er.
Quelle: ntv.de, lve/dpa/AFP