Auftritt beim Wirtschaftsforum Putin zeigt keinerlei Schwäche
20.06.2022, 12:03 Uhr (aktualisiert)
Einen wirtschaftlichen Blitzkrieg nennt Putin die Sanktionen auf seinem Internationalen Wirtschaftsforum. Sie hätten keine Chance auf Erfolg gehabt. Statt vieler Vertreter großer Industrienationen stehen die Taliban auf der Gästeliste.
Die Taliban sind auch eingeladen. Wenn es auf einem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg an Vertreterinnen und Vertretern der schwergewichtigen Industrienationen des Westens mangelt, dann lässt sich die Gästeliste auch mit angereisten Islamisten aus Afghanistan füllen. Ein Ehrengast des russischen Wirtschaftstreffens in Sankt Petersburg ist der Präsident Kasachstans, wirtschaftlich nicht gerade ein Global Player.
Aber: Die Außendarstellung funktioniert, und vielleicht kommt es darauf in erster Linie an in diesen Tagen. Wladimir Putin redet beim russischen Wirtschaftsforum vor einer gut besetzten Halle, hinter ihm strahlt in königsblau die Videoleinwand. Die Botschaft des Präsidenten ist ebenso klar wie sie erwartbar war: "Der wirtschaftliche Blitzkrieg hatte von Anfang an keine Chancen auf Erfolg." Putin gibt sich mit Blick auf die harten westlichen Sanktionen betont gelassen.
"Wir sind starke Leute, und wir kommen mit jeder Herausforderung klar", sagt er und unterstreicht seine Aussage auch mit dem eigenen Auftritt. Mehr als anderthalb Stunden verspätet zwar - nach Kreml-Angaben wegen eines Hackerangriffs auf das Einlasssystem -, aber von möglichen gesundheitlichen Problemen ist bei dieser rund einstündigen Rede Putins nichts zu sehen. Der Staatschef steht hinter dem Pult, liest routiniert ab, und mit derselben Routine richtet er auch seine Angriffe auf den Gegner im Westen.
Die USA führten sich wie der "Bote Gottes auf Erden" auf, der Westen wolle andere Teile der Welt kolonialisieren. Doch die Änderungen im Weltgeschehen sind aus Putins Sicht grundlegend und keine, die man erfolgreich aussitzen könne. "Die Ära der unipolaren Weltordnung ist vorbei", wird seine Rede übersetzt, trotz der westlichen Konservierungsversuche, das habe er, Putin, im übrigen auch schon vor anderthalb Jahren beim Weltwirtschaftsforum in Davos erklärt.
Im Lauf der Rede geht Putin auch auf die steigenden Lebensmittelpreise weltweit ein. Russland behindert nach seinen Worten nicht die Getreidelieferungen aus der Ukraine. "Nicht wir haben die Häfen vermint." Sollte Kiew sich entscheiden, die Minen zu räumen, werde Moskau die Sicherheit der Ausfuhren gewährleisten. Nach Darstellung des Präsidenten sind die ukrainischen Getreidelieferungen für den Weltmarkt allerdings unbedeutend. Es gehe lediglich um fünf bis sechs Millionen Tonnen Weizen und eine etwa ebenso große Menge Mais.
Etwa 750 internationale Firmen haben das Land verlassen
Viel größere Auswirkung auf die steigenden Lebensmittelpreise hätten die westlichen Sanktionen gegen Russland. Gerade die fehlende Ausfuhr von Düngemitteln gefährde künftige Ernten und treibe so weiter die Preise an, sagt der Kreml-Chef.
Geschätzte 750 internationale Firmen, darunter auch deutsche Unternehmen, haben sich im Zuge der Sanktionen wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine aus dem Land verabschiedet. Und auch wenn der Weggang von McDonalds aus den Großstädten jüngst mit der Eröffnung einer neuen russischen Schnellimbiss-Kette aufgefangen wurde, so können andere Branchen, wie etwa die Autohersteller, den Rückzug westlicher Partner nicht so einfach kompensieren. Die nötigen Mikrochips, um die Wagen mit moderner Elektronik auszustatten, sind nun mal in Russland nicht zu bekommen, wenn die Zulieferer reihenweise ihre Werke schließen. Darum läuft bei vielen Autoproduzenten derzeit nichts.
Putin stellt zwar korrekt dar, dass das Land wegen der enorm hohen Weltmarktpreise für Öl und Gas gerade trotz der Sanktionen besonders hohe Einnahmen erzielt, weit höhere zumal als man für den eigenen Haushalt des Jahres 2022 eingeplant hatte. Was jedoch nach Meinung vieler Experten nicht zutrifft, ist seine Analyse, daher liefen die westlichen Sanktionen ins Leere. Eine Aussage, der auch die Autobranche wohl nicht zustimmen würde.
Der Kaufkraftverlust in der russischen Bevölkerung ist stark, ebenso die Inflation, die Putin auf 16,7 Prozent beziffert. Auf diesen Wert habe man sie "heruntergedrückt", doch sei das noch immer zu hoch. Man arbeitet daran. Was Putin in die Hände spielt, um sein Bild von der Unangreifbarkeit des Landes aufrechtzuerhalten: Die Rohstoffexporte zu Rekordpreisen spülen reichlich Devisen ins Land, die es aber kaum wieder verlassen, weil Sanktionen und Probleme in der Logistik den Import nach Russland massiv behindern. In der Folge steigt seit Wochen der Rubelkurs, für viele Russen ein Seismograf für den - scheinbar guten - Zustand ihrer Wirtschaft.
Putin lässt kaum Fragen offen
Alles in gutem Zustand, diese Botschaft soll auch das Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg unterstreichen, dafür spricht Wladimir Putin eine Stunde lang am Stück und geht nach den Unfreundlichkeiten Richtung Westen auf kleinste Details der wirtschaftlichen Entwicklung ein. Soll niemand glauben, die Folgen der westlichen Sanktionen seien das beherrschende Thema der Veranstaltung.
Tatsächlich geht es über Innovationen und neue Arbeitsplätze bis hin zum Umweltschutz. Wenn die Moderatorin seine Rede schließlich abbindet mit der Feststellung, nach seiner ausführlichen Analyse sei ja so gut wie kein Gesprächsstoff mehr übrig, dann hat der russische Präsident damit ein Ziel schon mal erreicht.
(Dieser Artikel wurde am Freitag, 17. Juni 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de, mit dpa