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Wieduwilts Woche Das war ein guter Tag für Putin

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Nachdem Selenskyj Macron umarmte, hielt Scholz ihm schlicht die Hand entgegen.

(Foto: picture alliance/dpa)

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Der europäische Kiew-Besuch mit Kanzler Scholz produziert Bilder, simuliert Handeln, stiftet EU-Identität - aber der Ukraine hilft er nicht.

Die Sonne lacht, die Bombe kracht, drei Zögerliche aus Europa schauen in Kiew vorbei: Doch die Wende im Ukraine-Krieg, falls damit irgendwer gerechnet hatte, bringen sie natürlich nicht. Es ist nicht mehr als ein Zwischenschnaps im russischen Schmorgericht. Das fängt bei den Bildern an und setzt sich in den Inhalten fort. Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Deutschlands Kanzler Olaf Scholz haben endlich diese Reise erledigt - viel mehr ist nicht geschehen.

In jedem starken Spruch steckt eine Hypothek: "Wir schaffen das" begleitet Angela Merkel bis heute, sein Spott über "ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin" fehlt in keinem Bericht über Scholz’ kurzes Rein und Raus mit Fototerminen. Wenn’s denn wenigstens ein gutes Foto gäbe!

Als die drei europäischen Staatenlenker auf den Ukrainer trafen, sah es kurz ein wenig so aus, als hätten sich die drei Tenöre in ein Kriegsgebiet verlaufen. Die Amerikaner hatten beim Besuch immerhin auf Krawatten verzichtet, Boris Johnson nicht, aber bei ihm fiel der Kontrast dennoch nicht so auf: Er lief mit dem ukrainischen Präsidenten durch Kiew, als die Stadt noch kein so beliebtes Reiseziel war.

Slava Ukraini - aber nicht gewinnen!

Das schräge Bild ist kein Zufall: Macron, Draghi und Scholz sind in der EU eher im Lager der Zauderer, ihre Bevölkerungen unterstützen das. Je bildhafter der Kontrast, desto besser kommt es bei den Daheimgebliebenen an: Der Krieg möge bitte ein ukrainischer bleiben. Als Scholz am Ende seiner Rede dann doch "Slava Ukraini" sagte, sollte das für den meist - aber nicht immer - stillen Mann wohl so ein "this is Sparta"-Moment sein. Allerdings hat der Kanzler zuvor derart ohrenbetäubend "die Ukraine soll gewinnen!" verschwiegen, dass der Ausruf nicht nur akustisch reichlich dürr klang.

Der jede Inszenierung und Emotion als Würdeunterschreitung ablehnende Olaf Scholz stieg übrigens mit seiner Ledertasche aus der Limousine - als schaute der Landarzt mal beim kranken Mann in Osteuropa vorbei. Hier wird jetzt gearbeitet, nicht inszeniert, wollte er vielleicht sagen. Nachdem Selenskyj Macron zum Schluss umarmte, hielt Scholz ihm schlicht die Hand entgegen. Vielleicht wollte der Norddeutsche sich ja mit der Tasche auch nur gegen Umarmungen wappnen.

Nun ist guter deutscher Brauch, solche Beobachtungen mit sauertöpfischen Einwänden vom Tisch zu fegen: Es komme ja nur auf Inhalte an. Deutschlands ganze romantisch-erhabene Provinzialität entfaltet sich in der Auffassung, Kleidung und Körpersprache spielten bei einem global beäugten Spitzentreffen in einer Kriegshauptstadt nicht die geringste Rolle. Natürlich tun sie das: Denn dieser Besuch war wenig mehr als ein Foto-Stunt - und der diente eher der EU als der Ukraine.

Keine Rabatte fürs Zerbombtsein

Scholz hat der Ukraine keinen Beitritt versprochen. Er hat lediglich gesagt, Deutschland sei "für eine positive Entscheidung zugunsten der Ukraine" - und für Moldau auch. Der Beitrittskandidatenstatus sei ein "Meilenstein", sagte Scholz, und zwar "auf ihrem voraussetzungsreichen europäischen Weg". Falls das große "Aber" überhört wurde, reichte es Mario Draghi nach: Es sei "ein Prozess" betonte der Italiener.

Immer noch nicht klar? Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg erinnerte im Deutschlandfunk, es werde "keine Rabatte" geben. Zerbombtsein ersetzt eben keine Beitrittskriterien. Der "Prozess" hat bei der Türkei so lange gedauert, dass sich das Land schließlich abgewendet hat. Das mag gut sein, schaut man sich den undemokratischen Zustand dort an. Und in einem globalen Systemkampf kann man als EU wohl erst recht keine Kompromisse eingehen.

Waffen versprach Scholz nicht, sondern verwies auf schon angekündigte Raketen und Haubitzen. Ich möchte mich nicht einreihen in die Schar der Terrassen-Generäle, aber so viel wage ich: Den Krieg drehen diese Geräte nicht. FAZ-Herausgeber Berthold Kohler brachte es auf den Punkt - "das blaue Banner reicht nicht". Vor gut einer Woche hat man in der Duma übrigens Litauens Unabhängigkeit bezweifelt. Fahren Sie da diesen Sommer hin, die Kurische Nehrung ist spektakulär, solange da keine russischen Panzer herumrollen.

Putin saß mit am Tisch

Schön war die Reise vor allem für die EU. Doch der Gewinner dieses Tages heißt nach alledem Wladimir Putin. Den solle man nicht demütigen, hatte Macron zuvor gesagt. Das ist gelungen. Putin sieht die selbst erfüllte Prophezeiung eines westlichen Kulturangriffs auf die Ukraine nun bestätigt. Er ließ am Donnerstag in Kiew mehrfach die Sirenen heulen und saß quasi mit am Tisch. Seine Gewalt zahlt sich jedes Mal aus.

Auch sonst läuft es für ihn nicht schlecht: Seine Propaganda sickert inzwischen in die deutschen und italienischen Talkshows, Kommentarspalten, Whatsapp-Gruppen und auf die Abendbrottische. Die russische Übermacht wird schneller sichtbar, als sich der Heldencharme der ukrainischen Armee verbraucht.

Das Auffüllen der Gasspeicher in Deutschland (und auch Italien) zieht sich. Derweil dreht Putin den Europäern das Gas ab, langsam und unter Ausreden ("technische Schwierigkeiten"). So, wie man beim sprichwörtlichen Frosch das Kochwasser erhitzt. "Die Uhr tickt", spottete der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew über den Kiew-Besuch, zumindest da liegt er richtig.

Putin hat Ausdauer. Was haben wir? Endlich diesen verdammten Besuch abgehakt.

Quelle: ntv.de

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