Bild mit Ukraine-Flagge gemalt Mädchen im Heim, Vater drohen zwei Jahre Haft
30.03.2023, 09:45 Uhr (aktualisiert)Selbst Wagner-Chef Prigoschin verurteilt den Prozess: In Russland steht ein Vater vor Gericht, weil seine Tochter ein Bild mit einer ukrainischen Flagge gemalt hat. Die Staatsanwaltschaft fordert nun zwei Jahre Haft, die Tochter ist bereits in einem Heim untergebracht.
Es ist ein selbst für russische Verhältnisse außergewöhnliches Verfahren: Seit dem 1. März steht Alexej Moskaljow unter Hausarrest, am Montag forderte die Staatsanwaltschaft im Prozess gegen den 54-Jährigen zwei Jahre Haft wegen "Verunglimpfung der russischen Streitkräfte". Der Grund für die Anklage gegen den alleinerziehenden Vater aus Jefremow: die Kinderzeichnung seiner Tochter.
Das Bild zeigt Raketen, die auf eine Frau und ein Kind mit ukrainischer Flagge gerichtet sind. Die 13-jährige Maria Moskaljowa hatte das Bild in der Schule gezeichnet, ihre Schulleiterin schaltete darauf hin die Polizei ein. Die Beamten überprüften die Internet-Accounts des Vaters und entdeckten Kommentare, in denen er die Offensive kritisierte. Maria kam deshalb in ein Kinderheim, ihr Vater vor Gericht.
In einem weiteren Verfahren am 6. April könnte dem alleinerziehenden Vater das Sorgerecht für seine Tochter endgültig entzogen werden, wie sein Anwalt Wladimir Biljenko schildert. Schon jetzt darf Maria nach Angaben der unabhängigen städtischen Abgeordneten Olga Podolskaja nicht einmal mit ihrem alleinerziehenden Vater telefonieren.
Das Vorgehen der Behörden in Jefremow, einer kleinen Stadt 300 Kilometer südlich von Moskau, schockiert Menschen in ganz Russland. Oppositionelle Medien berichten darüber, eine Online-Petition fordert, Maria wieder nach Hause zu lassen. Selbst Jewgeni Prigoschin, Chef der paramilitärischen Wagner-Truppe, kritisiert die Trennung von Vater und Tochter.
In den Straßen von Jefremow, in denen riesige Plakate für den Einsatz gegen die Ukraine werben, sind nur wenige der 7.000 Einwohner bereit, offen über den Fall oder die Ukraine zu sprechen. "Es ist schrecklich, einen Vater von seiner Tochter zu trennen. Sie hat doch nur ihre Meinung geäußert", sagte Alexandra, eine Studentin. Eine Rentnerin, die ihren Namen nicht nennen will, erzählte, ihr Leben habe sich seit dem russischen Einmarsch verändert. "Das Einzige, was mich jetzt beschäftigt, sind die militärischen Nachrichten. Ich sehe die Opfer auf beiden Seiten. Ich will, dass es so schnell wie möglich vorbei ist", sagt sie.
Frische Gräber gemahnen an den Krieg
Frische Gräber gefallener Soldaten zeugen davon, wie nahe die Kämpfe in der Ukraine den Menschen in Jefremow gekommen sind. Im Februar schlugen drei mutmaßlich ukrainische Drohnen in der Nähe ein. Auf dem zentralen Platz sitzen zwei ältere Frauen mit roten Armbinden auf einer Bank. Sie gehörten zu einer von Anwohnern gegründeten Nachbarschaftswache und sollen Verdächtiges melden, sagen sie.
"Wir sind für den Frieden", sagt Alexander Salichow, ein pensionierter Ingenieur. "Aber wir müssen die russischen Gebiete befreien" - und die erstrecken sich seiner Ansicht nach über die gesamte Ukraine. Dmitri, ein 50-jähriger Geschäftsmann, berichtet, dass er wegen der westlichen Sanktionen bankrott gegangen ist: "Was wird uns die Zukunft bringen?", fragt er. "Wir stehen an der Schwelle zu einem Atomkrieg."
Die schwangere Marianna ist optimistischer, obwohl sie Sorge hat, ihr Mann könne zur Armee eingezogen werden. "Wir hoffen, dass unser Sohn in eine friedliche Welt geboren wird", sagt die 31-Jährige. Ihr Kind will sie Bogdan nennen - ein in der Ukraine beliebter Vorname.
(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 28. März 2023 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de, ghö/AFP