Politik

Nico Lange im Interview "Russland lügt, es lügt auch in diesem Fall"

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Putin testet uns mit solchen Operationen in vielerlei Hinsicht, sagt Militärexperte Nico Lange.

Putin testet uns mit solchen Operationen in vielerlei Hinsicht, sagt Militärexperte Nico Lange.

(Foto: AP)

Was steckt hinter dem Eindringen der russischen Drohnen in den polnischen Luftraum? Der Militärexperte Nico Lange sagt: "Mit diesen Drohnen kann man auf russischer Seite Informationen gewinnen", etwa über die Luftverteidigung der Nato, aber auch, wie anfällig der Westen für Desinformation ist. "Der Test läuft noch, und es war nicht der erste und ganz sicher auch nicht der letzte."

ntv.de: Russland streitet ab, dass die Drohnen absichtlich nach Polen gelenkt wurden, Belarus verweist darauf, man habe Schlimmeres verhindert, indem man Polen gewarnt habe. Kann man den Vorfall also als Versehen abhaken?

Nico Lange ist Senior Fellow der Münchner Sicherheitskonferenz und beim Thinktank CEPA in Washington D.C.

Nico Lange ist Senior Fellow der Münchner Sicherheitskonferenz und beim Thinktank CEPA in Washington D.C.

(Foto: privat)

Nico Lange: Russland lügt. Russland lügt wie bei der Annexion der Krim, bei der Intervention im Donbass, bei der Vorbereitung der Großangriffe auf die Ukraine ab 2022, bei der Sprengung des Nowa-Kachowka-Staudamms, bei Morden an Zivilisten durch Luftangriffe. Russland lügt, es lügt auch in diesem Fall. Man kann überhaupt nichts abhaken, denn Russland testet uns.

Was hat Putin davon, wenn er die Nato mit solchen Aktionen testet? Der Vorfall könnte ja auch dazu führen, dass die Nato-Staaten die von Russland ausgehende Bedrohung ernster nehmen.

Putin testet uns mit solchen Operationen in vielerlei Hinsicht. Mit diesen Drohnen kann man auf russischer Seite Informationen gewinnen: Wie funktioniert die integrierte Luftverteidigung der Nato? Welche Flugzeuge steigen auf? Wo stehen Luftverteidigungssysteme? Wo stehen Radare? Welche Radare werden angeschaltet oder ausgeschaltet? Wie funktionieren Kommandostrukturen? Welche Abwehrwaffen werden eingesetzt? Aber auch: Wie sind die politischen Reaktionen? Wie sind die Reaktionen im Informationsraum? Gelingt es Russland, durch Verbreiten von Lügen und Desinformationen den Diskurs zu beeinflussen? Der Test läuft noch, und es war nicht der erste und ganz sicher auch nicht der letzte.

In Deutschland gab es Verwirrung um die Frage, ob die Drohnen bewaffnet oder unbewaffnet waren. Waren sie bewaffnet?

Die Drohnen waren nicht bewaffnet, aber sie waren trotzdem nicht ungefährlich. Bei den Drohnen, die in den polnischen Luftraum eingedrungen sind, handelt es sich um Gerbera-Drohnen. Eine russische Angriffswelle besteht typischerweise aus Gerbera- und Geran-2-Drohnen, wobei die Gerbera in erster Linie als Täuschkörper funktionieren, um die Luftverteidigung zu überwinden. Sie sammeln aber auch fleißig Daten. Geran-2-Drohnen sind mit Sprengköpfen ausgestattet; wäre am Mittwoch eine Geran-2 auf das Haus in Polen gefallen, wäre davon nichts übriggeblieben.

Nach eigenen Angaben hat Polen nur vier von 19 Drohnen abgeschossen. Ist das nicht eine ungewöhnlich schlechte Quote?

Die Nato-Luftverteidigung hat gemacht, was sie sollte. Gleichzeitig ist es bedenklich, dass nur vier oder fünf von 19 oder mehr Drohnen abgeschossen wurden. Und dass eine Drohne Hunderte von Kilometern durch Polen fliegt und erst runterfällt, weil ihr der Treibstoff ausgeht, das zeigt: Wir haben ein Problem mit Drohnenangriffen.

Wenn man sich vorstellt, dass die Ukraine nicht von ein paar Gerbera-Drohnen angegriffen wird, sondern von Hunderten von Drohnen, darunter sehr viele Geran-2-Drohnen, dann muss man sich eingestehen: Wir hätten Probleme, mit massenhaften Drohnenangriffen fertig zu werden. Umso wichtiger ist es, das Problem jetzt entschlossen anzugehen und die Drohnenabwehr, die Luftverteidigung generell massiv auszubauen.

Wie können, wie sollten die Europäische Union und die Nato reagieren?

Dass Polen Konsultationen nach Artikel vier des Nato-Vertrages einberufen hat, ist genau richtig. Entscheidend wird sein, was das Ergebnis dieser Konsultationen ist und welche nächsten Schritte folgen. Ich hielte es für richtig, wenn die Nato der Ukraine nicht nur Luftverteidigungssysteme und Munition dafür liefert - das passiert ja schon. Aus meiner Sicht sollte sich die Nato auch engagieren, um die Luftverteidigung der Ukraine stärker zu integrieren, sie also im Zusammenspiel der Waffensysteme und Kommandostrukturen der ukrainischen Armee effizienter zu machen, insbesondere mit Blick auf die elektronische Kampfführung gegen die Massen an russischen Drohnen.

Zur Integration der Luftverteidigung gehört aber auch, dazu beizutragen, den Luftraum über der Westukraine zu schützen. Für die europäische Sicherheit ist das jetzt das Richtige. Putin hat gerade viele Rentnerinnen und Rentner in der Region Donezk mit einer Gleitbombe umgebracht. Jetzt hat er Polen mit Drohnen angegriffen. Da müssen wir doch erkennen: Das ist das gleiche Problem. Den Luftraum der Ukraine zu schützen, unseren Luftraum zu schützen, durch Integration der Luftverteidigung für mehr Sicherheit zu sorgen, das ist aus meiner Sicht jetzt die allererste Aufgabe.

Und es wäre eine angemessene Reaktion, der Ukraine die Instrumente in die Hand zu geben, die sie braucht, um die Drohnen-Fabriken anzugreifen, also die Ursache des Übels. Wir können doch nicht zusehen, wie Russland Abertausende von Drohnen produziert, um sie gegen die Ukraine und später gegen uns einzusetzen.

Was genau bedeuten Beratungen nach Artikel vier des Nato-Vertrags?

Beratungen nach Artikel vier sind bei schwerwiegenden Ereignissen vorgesehen. Entgegen landläufiger Meinung ist es ja nicht so, dass automatisch der Beistandsfall ausgelöst wird, wenn irgendwo ein Nato-Soldat angegriffen wird oder wenn irgendwas im Luftraum eines Nato-Staats passiert. Insofern ist es völlig richtig, jetzt nicht sofort von einem Beistandsfall nach Artikel fünf zu sprechen, sondern zunächst Konsultationen nach Artikel vier einzuberufen. Aber ich würde hinzufügen: Danach muss es auch konsequentes Handeln geben. Sich nur zu besprechen und eine offizielle Verurteilung auszusprechen, das wäre zu wenig. Sinnvoll wäre, wenn auch der Nato-Ukraine-Rat zusammentreten würde, um das Thema der gemeinsamen Luftverteidigung zu besprechen - auch die Einbindung der ukrainischen Luftverteidigung in Nato-Strukturen.

Die deutsche Luftwaffe hat Kampfjets, die normalerweise von Rostock aus zur Überwachung des polnischen Luftraums eingesetzt werden, für einen Monat nach Warschau verlegt. Ist das mehr als ein Symbol?

Deutschland engagiert sich schon lange bei der Sicherung des Luftraums an der Ostflanke der Nato, auch bei der Sicherung unseres eigenen Luftraums. Denken Sie an den Ostseeraum. Es sind viele Staaten, die an der Ostflanke gemeinsam die integrierte Luftverteidigung der Nato bewerkstelligen, mit bodengebundenen Luftverteidigungssystemen, aber eben auch mit Flugzeugen. Dass die Flugzeuge auch mal verlegt werden, dass sie anderswo stationiert werden, dass die Staaten sich abwechseln, das ist aus meiner Sicht richtig. Natürlich kann man der anderen Seite damit auch ein Signal setzen: Wir sind da. Ich fände es im Übrigen hilfreich, wenn in der Diskussion um eine europäische Militärpräsenz in der Ukraine zur Absicherung eines Waffenstillstandes auch das Thema der Unterstützung der Luftverteidigung der Ukraine durch Kampfflugzeuge künftig eine wichtige Rolle spielt.

Erst vor einem Monat empfing US-Präsident Trump Putin mit rotem Teppich in Alaska unter dem Motto "Pursuing Peace", also "Streben nach Frieden". War das nur Show?

Trump würde sagen, seine Treffen mit Putin waren "gutes Fernsehen". Wir müssen uns nur alle miteinander überlegen: Wollen wir gutes Fernsehen produzieren? Oder wollen wir für Sicherheit und Frieden in Europa sorgen? Man muss nüchtern feststellen, dass die gesamten Anstrengungen, die ja auch die europäischen Staats- und Regierungschefs unternommen haben, überhaupt nichts gebracht haben. Das Verhalten Putins hat sich nicht geändert. Er setzt systematisch um, was er schon lange geplant hatte. Auch das Militärmanöver "Zapad 2025", das den Hintergrund der Drohnenangriffe darstellt, findet ganz normal statt, als habe es keine Gespräche gegeben. Es reicht offenbar nicht, wenn die Europäer sich zusammensetzen, um den Daddy anzurufen.

Insofern bleibt jetzt die Frage: Was machen die Europäer eigentlich selbst? Der entscheidende Schritt wäre aus meiner Sicht, sofort alle finanziellen Ströme in Richtung Russland zu stoppen. Die Europäer sollten sofort aufhören, indisches Öl, russisches Gas und russisches Uran zu kaufen. All diese Dinge müssen sofort gestoppt werden. Das würde im Übrigen auch Trump mal unter Zugzwang bringen. Und bei Putin würde es dafür sorgen, dass die Europäer endlich mal ernst genommen werden.

Mit Nico Lange sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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