Politik

Russische Drohnen in Polen "Ein beispielloser Moment in der Geschichte der Nato"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
In der Ortschaft Czesniki im Südosten Polens steht ein Polizist neben einem Teil einer Kampfdrohne.

In der Ortschaft Czesniki im Südosten Polens steht ein Polizist neben einem Teil einer Kampfdrohne.

(Foto: POLSAT NEWS via REUTERS)

Polen spricht von einer groß angelegten Provokation, die EU-Außenbeauftragte hält Absicht für wahrscheinlich: Noch nie hat die Nato russische Raketen oder Drohnen über dem Bündnisgebiet abschießen müssen. Ein Überblick.

Was ist passiert?

Die polnische Armee hat am frühen Mittwochmorgen mitgeteilt, dass russische Drohnen in den polnischen Luftraum eingedrungen seien. Der Vorfall ereignete sich während eines nächtlichen Angriffs der russischen Armee auf die Ukraine. Das polnische Verteidigungsministerium spricht von einer "beispiellosen Verletzung des polnischen Luftraums".

Betroffen waren vor allem die östlichen Woiwodschaften Podlachien, Masowien und Lublin. Bislang ist bekannt, dass ein Wohnhaus in dem Ort Wyryki beschädigt wurde. Verletzt wurde offenbar niemand.

In der Ortschaft Wyryki wurde ein Wohnhaus beschädigt. Verletzt wurde dort offenbar niemand.

In der Ortschaft Wyryki wurde ein Wohnhaus beschädigt. Verletzt wurde dort offenbar niemand.

(Foto: Agencja Wyborcza.pl via REUTERS)

Wie viele Drohnen sind in Polen eingedrungen?

Der polnische Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz sagte zunächst, der polnische Luftraum sei "mehrfach" verletzt worden, sein Ministerium teilte mit, polnische und alliierte Radarsysteme hätten "mehrere Objekte" verfolgt, die den Luftraum verletzt hätten. "Angesichts der möglichen Bedrohung beschloss der Einsatzkommandeur der Streitkräfte, diese zu neutralisieren." Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters waren an der Ortung auch zwei in Polen stationierte deutsche Patriot-Flugabwehrsysteme beteiligt. Abwehrraketen feuerten die Systeme allerdings nicht ab.

Später teilte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk vor dem polnischen Parlament mit, es habe 19 Luftraumverletzungen gegeben. Die meisten Drohnen seien von Belarus aus gekommen. Drei oder vier Drohnen seien abgeschossen worden.

Wie hat Polen die Drohnen bekämpft?

Nach Nato-Angaben starteten polnische F-16-Kampfjets, niederländische F-35-Maschinen und italienische Awacs-Aufklärungsflugzeuge. "Die Drohnen, die eine Bedrohung hätten darstellen können, wurden abgeschossen", teilte das polnische Verteidigungsministerium mit. "Es laufen Such- und Rettungsaktionen, um die Orte möglicher Einschläge zu identifizieren." Polnischen Medien zufolge wurden die Drohnen hauptsächlich von den niederländischen Kampfjets abgeschossen. Die niederländischen F-35 wurden erst vor Kurzem auf Veranlassung der Nato in Polen stationiert.

Mehrere Flughäfen wurden zeitweise geschlossen, darunter der internationale Flughafen Warschau-Chopin (Bild) sowie die Airports in Lublin und Rzeszow im Osten des Landes.

Mehrere Flughäfen wurden zeitweise geschlossen, darunter der internationale Flughafen Warschau-Chopin (Bild) sowie die Airports in Lublin und Rzeszow im Osten des Landes.

(Foto: AP)

Ist so etwas schon einmal passiert?

Nicht in diesem Ausmaß. Polens Präsident Karol Nawrocki sagte, dies sei "ein beispielloser Moment in der Geschichte des Nordatlantischen Bündnisses, aber auch in der jüngeren Geschichte Polens".

Verletzungen des polnischen Luftraums durch russische Drohnen gab es seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine vor dreieinhalb Jahren immer wieder. Allerdings war das Ausmaß nicht so groß. Auch gab es bislang keine Einsätze der polnischen Luftverteidigung gegen solche Drohnen. Tusk wies darauf hin, dass noch nie russische Drohnen über dem Territorium eines Nato-Staates abgeschossen worden seien.

Hat Russland absichtlich gehandelt?

Tusk sagte im polnischen Fernsehen, die Lage sei ernst "und wir müssen uns ohne Zweifel auf verschiedene Szenarien vorbereiten". Bei dem Vorfall handele es sich "höchstwahrscheinlich um eine groß angelegte Provokation".

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sagte im Bundestag, die Drohnen seien "ganz offenkundig gezielt auf diesen Kurs gebracht worden", und zwar von Belarus aus. Sie seien "auch entsprechend munitioniert" gewesen.

Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas erklärte, es gebe Hinweise darauf, dass der Vorfall "absichtlich erfolgte und nicht versehentlich". Es sei "die schwerwiegendste Verletzung des europäischen Luftraums durch Russland seit Kriegsbeginn" gewesen.

Der ukrainische Außenminister Andrii Sybiha schrieb auf X, Putin eskaliere den Krieg "immer weiter, er weitet seinen Krieg aus und stellt den Westen auf die Probe". Je länger Putin auf keine Gegenwehr stoße, "desto aggressiver wird er".

Wie die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria verbreitet, weist Russland die Vorwürfe zurück. Zuerst äußerte sich der russische Geschäftsträger in Warschau, Andrej Ordasch. "Wir betrachten die Anschuldigungen als haltlos", zitiert Ria den aktuellen Chef der russischen Botschaft in Polen. Ria verweist zudem auf einen Vorfall aus dem November 2022, als eine mutmaßlich ukrainische Abwehrrakete auf polnischem Territorium einschlug. Damals kamen zwei Menschen ums Leben. Glaubwürdig ist die suggestive Darstellung von Ria nicht.

Später erklärte das russische Verteidigungsministerium, man habe keine Angriffe in Polen beabsichtigt. Es sei nicht geplant worden, Objekte in Polen anzugreifen. "Die maximale Reichweite der im Angriff eingesetzten russischen Drohnen, die angeblich die Grenze zu Polen überschritten haben, übersteigt 700 Kilometer nicht", hieß es weiter. Allerdings hat Russland in der Vergangenheit mit Drohnen auch in der Westukraine schon Ziele attackiert, die weiter als 700 Kilometer von der Grenze entfernt liegen.

Das russische Außenministerium warf Polen vor, es versuche Mythen zu konstruieren, um im Ukraine-Konflikt zu eskalieren. "Um einer völligen Aufklärung des Geschehens" willen sei man aber ebenso wie das Verteidigungsministerium bereit, mit der polnischen Seite zusammenzuwirken.

Der Chef des belarussischen Generalstabs, Pawel Murawiejko, erklärte auf Telegram, Belarus habe Polen und auch Litauen über russische Drohnen informiert, "die aufgrund der Einwirkung von elektronischen Gegenmaßnahmen der Parteien vom Kurs abgekommen waren". Ein Teil der verirrten Drohnen sei bereits in Belarus zerstört worden. Die Informationen aus Belarus hätten es der "der polnischen Seite ermöglicht, schnell auf die Drohnen zu reagieren".

Dann ist es kein Fall für Artikel fünf?

Artikel fünf des Nato-Vertrags löst den sogenannten Bündnisfall aus: Ein Angriff auf einen Mitgliedsstaat wird als Angriff auf alle Nato-Mitglieder gewertet. Polen hat die Nato-Partner nicht um Beistand nach Artikel fünf gebeten, sondern Beratungen nach Artikel vier beantragt. Im Unterschied zu Artikel fünf geht es in Artikel vier nicht um militärischen Beistand, sondern um Konsultationen im Fall einer Bedrohung.

Wie reagiert die Nato?

Das hängt vom Ergebnis der Konsultationen ab. Denkbar sind etwa weitere Sanktionen gegen Russland, zu denen US-Präsident Donald Trump ohnehin bereit zu sein scheint.

Die deutsche Luftwaffe verlegte zudem Kampfjets von Rostock auf einen Militärflugplatz östlich von Warschau. Der Auslandseinsatz sei für knapp einen Monat geplant, sagte ein Sprecher der Luftwaffe nach Angaben des Deutschlandfunks. Die Eurofighter würden wie bisher in Polen zur Luftraumüberwachung eingesetzt. Bislang waren die Maschinen jedoch in Rostock zu ihren Einsätzen gestartet.

Vor welchem Hintergrund finden die Vorfälle statt?

Russland überzieht die Ukraine derzeit mit immer stärkeren nächtlichen Angriffen mit Drohnen und Raketen. Der bislang massivste Angriff fand in der Nacht vom 6. auf den 7. September statt. In dieser Nacht setzte Russland mindestens 805 Drohnen und 13 Raketen gegen ukrainische Städte ein. In der vergangenen Nacht waren es nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj rund 415 Drohnen und mehr als 40 Raketen.

Zum Kontext der aktuellen Luftraumverletzung gehören ebenso die Versuche von US-Präsident Donald Trump, den Krieg zu beenden. Mitte August empfing er dazu den russischen Machthaber im US-Bundesstaat Alaska. Allen Ankündigungen zum Trotz hat Russland den Krieg seither ausgeweitet, vor allem durch Angriffe auf Wohngebiete.

Vor einer Woche nahm Putin zudem an einer großen Militärparade in der chinesischen Hauptstadt Peking teil, wo er zusammen mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping und dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un auftrat. Es sollte eine gemeinsame Demonstration der Stärke sein: Nordkoreanische Soldaten kämpfen für Russland in der Ukraine, China unterstützt den russischen Krieg, indem es Russland Rohstoffe abkauft und ihm militärisch nutzbare Güter verkauft.

Und schließlich startet in dieser Woche im russischen Satellitenstaat Belarus das Großmanöver "Zapad 2025", zu Deutsch "Westen 2025". Daran beteiligt sind tausende Soldaten aus Russland und Belarus, Militärübungen sollen auch in der russischen Exklave Kaliningrad stattfinden. Das Manöver weckt bei der Nato schlechte Erinnerungen: "Zapad 2021" fand nur wenige Monate vor der Großinvasion in die Ukraine statt. Die angeblich defensive Übung diente damals vor allem dazu, Soldaten für den Überfall zusammenzuziehen.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen