Neuer Typus von Gefallenen Russland verliert vor allem "Wegwerf-Truppen"
17.06.2023, 10:38 Uhr Artikel anhören
Die Leiche eines russischen Soldaten vor einem zerstörten Panzer im neu befreiten Dorf Storozheve.
(Foto: REUTERS)
In den ersten Kriegsmonaten sterben auf Seite der russischen Armee vor allem reguläre Einheiten. Gut ein Jahr später werden diese offenbar weit hinter der Front versteckt. Eine Auswertung der Gefallenen zeigt, dass diese älter werden, häufig im Gefängnis saßen und bei Kriegsbeginn noch nicht im Dienst standen.
Für Russland sterben beim Angriff auf die Ukraine nach fast anderthalb Jahren Krieg vor allem Ex-Häftlinge und Reservisten, nicht länger Einheiten der regulären Armee. Dies legt eine Auswertung der bisherigen Gefallenen nahe, die BBC Russia und das unabhängige russische Medienunternehmen Mediazona durchgeführt haben. Demnach sind 2022 in den ersten drei Kriegsmonaten vor allem 21-jährige Vertragssoldaten in der Ukraine gefallen. Im Frühling und Sommer dieses Jahres habe sich das "Gesicht" des typischen toten russischen Kämpfers verändert: "Er ist jetzt ein 34-jähriger Ex-Häftling unbekannten Ranges", wird berichtet.
Journalisten von BBC Russia und Mediazona erfassen seit Kriegsbeginn zusammen mit Freiwilligen die Zahl der Gefallenen. Anders als andere Organisationen nehmen sie jedoch nur Kämpfer in ihre Datenbank auf, deren Tod eindeutig belegt werden kann - beispielsweise durch Beiträge von Angehörigen in sozialen Netzwerken.
Demnach sind bei der Invasion bislang mindestens 25.528 russische Kämpfer gefallen. BBC Russia und Mediazona weisen allerdings darauf hin, dass die Zahl der tatsächlichen Gefallenen aufgrund ihrer Erhebungsmethode deutlich höher liegt. So spricht die ukrainische Militärführung von mehr als 200.000 toten Russen. Das russische Verteidigungsministerium beziffert die Zahl der Verluste auf lediglich 5937 Soldaten.
"Wegwerf-Truppen"
Zuletzt konnte demnach der Tod von 1300 früheren Häftlingen nachgewiesen werden, die mutmaßlich für die Söldnertruppe Wagner rekrutiert wurden. Hinzu kommen 750 reguläre Söldner der Privatarmee und 780 russische Reservisten. Gleichzeitig starben 148 Offiziere und etwa 400 Gefreite sowie Feldwebel der regulären Armee. In den ersten Kriegsmonaten lag deren Todeszahl deutlich höher: Demnach wurden zu Beginn der Invasion fast 800 Offiziere sowie ungefähr 2300 Gefreite und Feldwebel von ukrainischen Truppen getötet.
Jack Watling, Experte des britischen Royal United Services Institute (RUSI), ordnet die Veränderung für die BBC wie folgt ein: Er nennt vor allem die früheren Häftlinge in Diensten von Wagner "Wegwerf-Truppen", die eingesetzt werden, um ukrainische Einheiten mürbe zu machen oder um Stellungen der ukrainischen Armee für russische Artillerieschläge zu identifizieren. "Sie werden mit der Erwartung in den Kampf geschickt, dass sie sterben", sagt Watling. Seine regulären Einheiten verstecke die russische Armee dagegen weit hinter der Front. Diese Truppen würden nur eingesetzt, "wenn die Bedingungen stimmen".
Zu beobachten war die neue Taktik vor allem im Monate andauernden Kampf um Bachmut. Die inzwischen beinahe vollständig zerstörte Stadt wurde wiederholt als Fleischwolf bezeichnet, in dem vor allem Wagner-Kämpfer schutzlos ukrainische Verteidigungspositionen angriffen. "Hier sieht man ganz besonders, dass das, was die Ukraine sagt, stimmt. Wagner-Kämpfer werden sinnlos ins Gefecht geschickt und fallen zu Hunderten", sagte Markus Reisner, Oberst des österreichischen Bundesheers, im Mai im Gespräch mit ntv.de.
Quelle: ntv.de, chr