Nawalnaja erhält Freiheitspreis "Russland wird ein ganz anderes Land werden"


Julia Nawalnaja hält ein besseres Russland für möglich.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Witwe des in Russland ermordeten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, Julia Nawalnaja, erhält auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel den Freiheitspreis der Medien. In seiner Laudatio würdigt CDU-Chef Merz die Preisträgerin als "Heldin unserer Zeit". Die Geehrte reagiert bewegt - und kämpferisch.
Vor mehr als drei Jahren verlor sie ihren Mann an die Mühlen der russischen Rachejustiz. Am 16. Februar starb Alexej Nawalny schließlich unter ungeklärten Umständen unter der Aufsicht seiner Peiniger. Nun sitzt Julia Nawalnaja in einem Veranstaltungssaal am Tegernsee, um auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel den Freiheitspreis der Medien entgegenzunehmen. Die Auszeichnung gilt der sichtlich gerührten Witwe genauso wie dem Andenken des Verstorbenen. "Vor zwei Monaten hat Putin ihn umgebracht", stellt Nawalnaja gleich zu Beginn ihrer Dankesrede klar.
Es ist schon beinahe zweitrangig, ob die Schergen des russischen Präsidenten noch einmal Hand angelegt haben an den Mann, dessen Namen Wladimir Putin partout nicht in den Mund nehmen wollte. Oder ob er doch an den Folgen seiner Haftbedingungen nördlich des Polarkreises starb, geschwächt auch von dem nur knapp überlebten Giftstoffanschlag im August 2020. Nawalny ist tot, er hinterlässt seine Frau, die gemeinsamen Kinder Daria und Zahar sowie eine große Zahl von Unterstützern und weniger prominenten Putin-Gegnern, die in Russland zu Tausenden den Tod des Oppositionspolitikers betrauert haben. Allen Repressionen zum Trotz.
Kronzeuge Ludwig Erhard
"Ich muss unsere Arbeit weiterführen", sagt Nawalnaja und bekennt, wie schwer das ohne ihren Gatten sei. Der habe noch immer ein Schlupfloch durch jede Zensur gefunden, damit "die Wahrheit durchscheint durch all die Lügen". Ihre Organisation arbeite trotz all der Unterdrückungsmaßnahmen des Kreml weiter hart an ihrer Mission. "Wir möchten, dass die Russen, die Putin kritisieren und gegen den Krieg sind, Zugang haben zu nicht zensierten Informationen", sagt Nawalnaja. Aller Propaganda zum Trotz wollten die meisten Russen weiter zu Europa gehören. Das Russland der Zukunft sei deshalb ein Land, "das auf Rechtsstaatlichkeit basiert, das Konflikte mit anderen vermeidet, ein typisches europäisches Land, das kooperiert, Handel betreibt mit anderen europäischen Ländern".
Nawalnaja nimmt die Skepsis im Saal vorweg, dieses Russland sei kein Fantasieland. Ihr Beleg? Der Namensgeber der von der Weimer Media Group organisierten Veranstaltung, Ludwig Erhard. Der Bundeswirtschaftsminister und spätere Kanzler, der maßgebliche Architekt des Modells der sozialen Marktwirtschaft, ist Nawalnajas Kronzeuge. "Wenn man hart daran arbeitet und an die Menschen im Land glaubt, dann kann man eine schreckliche Diktatur und moralisches Desaster in ein normales und erfolgreiches europäisches Land verwandeln", sagt sie. "Und viel schneller, als so mancher glauben möchte."
"Sie sind die Heldin unserer Zeit"
Für dieses heute noch fern scheinende Russland stehe Julia Nawalnaja, sagt der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz in seiner Laudatio. Sie sei "das Gesicht eines anderen Russlands, das Gesicht der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, das Gesicht, das uns daran erinnert, dass Russland nicht nur aus Putin und seinen willfährigen Schergen besteht, sondern auch aus mutigen und weltoffenen Personen, die trotz Unterdrückung, Korruption und täglicher Gefahr für Leib und Leben ihre Stimme erheben", lobt der deutsche Oppositionsführer. Er erinnert daran, wie die Nawalnys ihre Anti-Korruptions-Organisation aufbauten, wie sie gemeinsam den Anschlag auf Alexej überstanden, nach seiner Genesung wieder nach Russland reisten, wo der noch am Flughafen verhaftet wurde und nie wieder freikam.
Merz war anwesend auf der Münchener Sicherheitskonferenz, als der Tod Nawalnys bekannt wurde. "Wenige Stunden später haben Sie die Kraft gefunden, sich von der Konferenz aus mit einer öffentlichen Botschaft an die Welt zu wenden", erinnert sich Merz. "Viele von uns waren an diesem Tag in München, und die Nachricht vom Tod von Alexej Nawalny hat uns ebenso berührt wie Ihre Stärke und Ihre Klugheit." In diesen Momenten zeigt die Kamera immer wieder das Gesicht der Preisträgerin, die sichtbar um Fassung ringt. Auch Merz zeigt sich bewegt vom Schicksal der Nawalnys und seiner eigenen Rede.
Die Verleumdungsversuche gegen Julia Nawalnaja zeigten, dass das russische Regime "Angst vor dem Mut einer Frau hat, die nur mit den Waffen des Wortes und der eigenen Überzeugung für Freiheit und Gerechtigkeit und ein besseres Russland kämpft", sagt Merz. "Frau Nawalnaja, Sie sind die Heldin unserer Zeit." Die freie Welt sei "unendlich dankbar für Ihren unermüdlichen Einsatz für Gerechtigkeit und Freiheit", sagt der CDU-Vorsitzende. Man nehme ihre Warnung ernst, Putin sei zu allem fähig. "Und deshalb dürfen wir uns auch nicht über ein Einfrieren des Konflikts in der Ukraine miteinander unterhalten", sagt Merz - eine klare Breitseite gegen SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich.
Ein Vorbild für unter Druck geratene Demokratien
Die Wahl Nawalnajas als diesjährige Preisträgerin - Vorgänger sind unter anderem Michail Gorbatschow, Christian Lindner, Sebastian Kurz, Garri Kasparow und Wolodymyr Selenskyj - begründete die Jury auch mit ihrem Mut, die Arbeit ihres Mannes fortzusetzen. "Das Ehepaar Nawalny wird für den tapferen und gewaltfreien Kampf gegen eine brutale Diktatur in Russland ausgezeichnet. Sie sind die Gesichter eines besseren, eines neuen, freien und demokratischen Russlands", liest die Verlegerin Christiane Goetz-Weimer, Ehefrau des auch für ntv.de schreibenden Verlegers Wolfram Weimer, aus dem Jury-Urteil vor.
In ihrer Einführung des seit 2017 verliehenen Preises lobt auch die bayerische Landtagspräsidentin Ilse Aigner die Entschlossenheit der Preisträgerin. "Liebe Frau Nawalny, ich verneige mich wirklich vor Ihrer Stärke, vor Ihrem Mut", sagt Aigner. "Putin ist auf dem Vormarsch und Leichen, Leichen säumen seinen Weg im Inneren wie nach außen." Deutschland wisse aus seiner eigenen Vergangenheit, wohin Nationalismus und Eroberungswahn führten. Umso wichtiger sei es, die Errungenschaften der Demokratie und Freiheit gegen den wachsenden Populismus zu schützen. "Für den Erfolg müssen wir ein ganzes Stück mutiger werden", sagt Aigner und schaut auf Nawalnaja. "Dafür gibt es herausragende Vorbilder."
Quelle: ntv.de