Politik

Schwieriger Feiertag in Italien Seit 78 Jahren im Tag der Befreiung gefangen

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Giorgia Meloni kommt am Grab des unbekannten Soldaten an.

Giorgia Meloni kommt am Grab des unbekannten Soldaten an.

(Foto: REUTERS)

Am 25. April 1945 befreite Italien sich vom Faschismus. Das Datum sollte eigentlich ein Fest für alle Italiener sein. Dem ist aber nicht so. Besonders jetzt, wo das Land von einer postfaschistischen Partei regiert wird.

Mit besonderer Spannung hat man in Italien in diesem Jahr auf den 25. April gewartet, die Festa della liberazione, das Fest der Befreiung von der deutschen Besatzung und vom Faschismus. Gefeiert wurde er das erste Mal 1946 auf Wunsch von Alcide De Gasperi, Gründungsvater der Christdemokratischen Partei und erster Ministerpräsident Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg. 1949 wurde die Festa della liberazione zum Nationalfeiertag erklärt.

Im Hinblick auf die jetzige Rechts-Mitte-Koalition stand die Frage im Raum, wie die Regierung den Tag feiern werde. Immerhin ist Ministerpräsidentin Giorgia Meloni die Vorsitzende einer Partei, deren Wurzeln über den neofaschistischen Movimento Sociale Italiano bis zur Partei des italienischen "Duce" Benito Mussolini zurückgehen.

Fratelli d'Italia

Die Fratelli d'Italia ("Brüder Italiens") wurden 2012 als Abspaltung der Partei Il Popolo della Libertà ("Das Volk der Freiheit") gegründet, einem Zusammenschluss vor allem von Berlusconis Forza Italia ("Vorwärts Italien") und der postfaschistischen Partei Alleanza Nazionale. "Postfaschistisch" war die AN, weil sie 1995 als Nachfolgerin der neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano gebildet wurde - deren Flamme tragen die Fratelli bis heute im Parteiwappen. Das MSI wiederum wurde 1946 von Mussolini-Anhängern und ehemaligen Mitgliedern seiner Partei gegründet.

Aber der Feiertag spaltet das Land nicht erst jetzt, sondern seit 78 Jahren. Das rechte Lager beschuldigt die Linken, aus dem Tag der Befreiung eine kommunistische Veranstaltung gemacht zu haben, weswegen es sich, wann immer es ging, von den institutionellen Festakten in Rom sowie vom alljährlichen Umzug in Mailand fernhielt. Das ist in diesem Jahr nicht anders. Der Chef der nationalpopulistischen Lega-Partei, Matteo Salvini, ließ beispielsweise wissen, er werde den Tag im Kreis der Familie und bei der Arbeit verbringen. Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida, Mitglied von Melonis Fratelli d’Italia, ist in Japan beim G7-Gipfel und wird erst am Abend in Rom landen.

Wem gehört der Tag der Freiheit?

Doch nicht alle konnten dem offiziellen Festakt fernbleiben. Und so nahmen am Morgen neben Staatspräsident Sergio Mattarella mehrere Vertreter der Koalition an der Kranzniederlegung am Grabmal des unbekannten Soldaten teil, vorneweg Meloni sowie der Vorsitzende der Abgeordnetenkammer, Lega-Mitglied Lorenzo Fontana, und Senatspräsident Ignazio La Russa, ein Gründungsmitglied der Fratelli d’Italia. Darüber, dass die Opposition auf jeden Schritt und jede Äußerung der Koalitionspolitiker achten würde, war man sich im rechten Lager erkennbar im Klaren.

Umso mehr schien man bemüht, jeden Fehltritt zu vermeiden, gleichzeitig aber auch die Opposition zu kritisieren. So schrieb Bildungsminister Giuseppe Valditara in einem offenen Brief, der 25. April stehe "für die Niederlage des Faschismus, für die wiedererlangte Freiheit und für das Ende des Krieges". An die Opposition gewandt mahnte er zugleich, nicht den Zweifel aufkommen zu lassen, dass "die demokratisch ins Parlament gewählten Parteien faschistisch sind".

Abgeordnetenhaus-Präsident Fontana erklärte wiederum: "Der Antifaschismus ist ein Wert. Trotzdem habe ich oft gedacht, dass es ein Fehler sei, diesen Tag der Befreiung so zu begehen, als sei es nur das Fest von einem Teil des Landes. Am Widerstand haben nämlich nicht nur Kommunisten und Sozialisten, sondern auch Liberale, Monarchisten und Katholiken teilgenommen." Die Befreiung sei Gemeingut aller Italiener.

Senatspräsident La Russa bringt Meloni in Verlegenheit

Doch so sehr sich einzelne Mitglieder der Rechts-Mitte-Koalition bemühten, Misstrauen über ihre Distanz zum Faschismus zu zerstreuen, zu einem Fehltritt kam es dennoch. Schon vor einigen Wochen hatte Senatspräsident La Russa für Aufsehen gesorgt, als er sagte, das Attentat der Partisanen in der Via Rasella im Zentrum von Rom, bei dem 33 Soldaten aus dem deutschen Polizeiregiment "Bozen" ums Leben kamen, sei "alles andere als eine rühmliche Aktion der Widerstandsbewegung" gewesen. "Dort wurden Halb-Rentner einer Musikkapelle und keine Nazis und SS-Soldaten getötet." Als Vergeltung für das Attentat erschossen die Deutschen 335 Zivilisten, ein Verbrechen, das als Massaker in den Ardeatinischen Höhlen bekannt ist.

Am Grabmal des unbekannten Soldaten wischte Meloni sich, neben La Russa stehend, eine Träne aus dem Auge.

Am Grabmal des unbekannten Soldaten wischte Meloni sich, neben La Russa stehend, eine Träne aus dem Auge.

(Foto: AP)

Damit nicht genug. Vor ein paar Tagen trugen das Regierungslager und die Opposition ihre Stellungnahmen zum 25. April im Senat vor. Dem Text der Opposition stimmten alle Parlamentarier parteiübergreifend zu. Dem der Regierungsmehrheit, anders als im Vorfeld zwischen den zwei Lagern abgesprochen, nur ein Teil der Opposition. Die Begründung für die Enthaltung lautete, in dem Text fehle jeglicher Bezug auf den Antifaschismus. La Russa erwiderte auf den Vorwurf, in der italienischen Verfassung gebe es "keinen Bezug auf den Antifaschismus".

Weg zum Friedensschluss ist noch weit

Darauf meldete sich der letzte Vorsitzende der postfaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano, Gianfranco Fini, zu Wort. Fini hatte 2003 bei einem Besuch in Jerusalem den Faschismus als das größte Übel für Italien bezeichnet. In einer Talkshow sagte er nun: "Ich verstehe nicht, warum es für die Rechte so schwer ist, das Wort Antifaschismus auszusprechen." Er fügte aber auch hinzu: "Die Linke muss endlich aufhören, die Widerstandsbewegung als nur ihr Gut zu sehen: In der Resistenza waren auch Menschen, Partisanen aus dem rechten Lager."

Auch Premierministerin Meloni war alles andere als erfreut über La Russas Aussagen. Der Tageszeitung "Corriere della Sera" sagte sie: "Seit vielen Jahren, wie jeder unvoreingenommene Beobachter anerkennt, haben die rechten Parteien im Parlament ihre Unvereinbarkeit mit jeglicher faschistischen Nostalgie bekundet. Es ist unbestreitbar, dass der 25. April 1945 eine klare Trennungslinie für Italien darstellt: das Ende des Zweiten Weltkriegs, der Nazi-Besetzung, des Ventennio fascista [der zwanzigjährigen faschistischen Diktatur], der Verfolgung der Juden." Meloni erinnerte aber auch an die Vertreibung von "Hunderttausenden unserer Landsleute" aus Gebieten, die nach dem Krieg an das damalige Jugoslawien gingen. Trotzdem sei die wichtigste Folge des 25. April 1945 "zweifelsohne die Durchsetzung der demokratischen Werte, die der Faschismus unterdrückt hatte, und die wir in unserer Verfassung wiederfinden."

In Italien spricht man seit Jahrzehnten von der "Pacificazione", dem Friedensschluss zwischen den Lagern. Gelungen ist er bis heute nicht. Der erste, der sich dafür aussprach, war Luciano Violante, Mitglied der sozialdemokratischen Demokratischen Partei, bei seinem Amtsantritt 1996 als Präsident der Abgeordnetenkammer. Auch jetzt mahnte er seine Parteifreunde, den 25. April nicht als ihr Eigentum zu betrachten. Der Weg scheint aber noch lang und holprig zu sein.

Quelle: ntv.de

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