Politik

"Ein mutiger Mann" Selenskyj erobert sich den Respekt der Welt

Der Tag nach dem Überfall: Der ukrainische Präsident Selenskyj fordert die Bevölkerung auf, Ruhe zu bewahren.

Der Tag nach dem Überfall: Der ukrainische Präsident Selenskyj fordert die Bevölkerung auf, Ruhe zu bewahren.

(Foto: Ukrainian President's Office/ZUM)

Gegen den russischen Angriff auf die Ukraine setzt Präsident Selenskyj nicht weniger als sein Leben ein. "Ein mutiger Mann", sagt der deutsche Regierungssprecher. Paris geht weiter und bietet an, ihn auszufliegen. Der frühere Komiker gewinnt international täglich an Respekt.

Die Bundesregierung sieht wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine das Leben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in großer Gefahr. "Es wäre naiv zu sagen, dass er sich nicht in Gefahr befindet", sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittag in Berlin. Selenskyj sei "ein sehr mutiger Mann", sagte er weiter mit Blick auf dessen Entscheidung, trotz der Bedrohung in Kiew zu bleiben.

Selenskyj hat selbst darauf hingewiesen, er wisse nicht, wie lange er noch am Leben sein werde. Er habe sich aber entschieden, in Kiew zu bleiben und von dort die Verteidigung seines Landes zu koordinieren. Hebestreit sprach von einer "wahnsinnig gefährlichen Situation, auch für den ukrainischen Präsidenten". Zur Frage, ob dieser bei Bedarf Asyl in Deutschland erhalten werde, möglicherweise auch zur Bildung einer Exilregierung, äußerte sich Hebestreit zurückhaltend. Selenskyj sei in Kiew, "unter erheblichen persönlichen Risiken". Daher wäre es "zum jetzigen Zeitpunkt vermessen, solche Planspiele durchzuführen". Die Frage nach Asyl für den Präsidenten in Deutschland werde die Bundesregierung "dann beantworten, wenn sie sich stellt. Derzeit stellt sie sich nicht." Paris ging da einen Schritt weiter: Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian bot an, den Präsidenten notfalls auszufliegen: "Wir können ihm helfen, falls es nötig wird."

Vom Komiker zum russischen Ziel Nummer eins

Die Zeiten, in denen Selenskyj als ehemaliger Komiker belächelt wurde, der eher durch Zufall ins Präsidentenamt der Ukraine rutschte, sind spätestens seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine vorbei. Trotz des russischen Vorrückens will Selenskyj als Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee weiter in der Hauptstadt bleiben, versprach er am Morgen in einer Videobotschaft. "Nach unseren Informationen hat der Feind mich als Ziel Nummer eins ausgemacht. Und meine Familie als das Ziel Nummer zwei" sagte er.

Tatsächlich lässt die russische Führung keinen Zweifel daran, dass es ihr in der Ukraine auch um einen Sturz der politischen Führung geht, die sie als vom Westen gesteuerte "Junta" brandmarkt. Russlands Präsident Wladimir Putin selbst sagte, Ziel des Militäreinsatzes in der Ukraine sei "die Entmilitarisierung und Entnazifizierung" des Landes, wobei letzteres offenbar auf staatliche Verantwortungsträger gemünzt ist. Berichten zufolge soll es sogar schon russische "Todeslisten" mit den Namen ukrainischer Bürger geben.

Viele Ukrainer waren bis vor Kurzem, auch knapp drei Jahre nach Selenskyjs Wahl, nicht von seinen staatsmännischen Fähigkeiten überzeugt. Der Konflikt mit Russland hat ihn jedoch in ein neues Licht gerückt. Selbst als Russland am Donnerstag in das Nachbarland einmarschierte, bewahrte der Staatschef einen kühlen Kopf und rief seine Mitbürger auf, nicht in Panik zu geraten. "Wir sind auf alles vorbereitet, wir werden siegen", sagte er.

TV-Drehbuch und wahres Leben

Selenskyjs politische Laufbahn hatte skurril begonnen. Bis zu seiner Wahl zum Präsidenten 2019 hatte der Komiker und Schauspieler keinerlei politische Erfahrung. Sein Weg ins Präsidentenamt ähnelte dem Drehbuch seiner populären Fernsehserie "Diener des Volkes".

In der Serie spielte er einen Geschichtslehrer, der zum Präsidenten gewählt wird, nachdem sich ein Video, in dem er gegen die Korruption im Lande wettert, im Internet rasant verbreitete. Auch im echten Leben verdankte Selenskyj seine Beliebtheit seinem erfolgreichen Auftritt im Internet. Die weitverbreitete Unzufriedenheit mit dem damaligen Staatschef Petro Poroschenko verhalf ihm zum Wahlsieg.

Doch vom Witze-Reißen zum Führen eines Landes ist es ein großer Schritt. Einige Ukrainer befürchteten deshalb nach dem Amtsantritt des aus der russischsprachigen Industriestadt Krywy Rig stammenden Schauspielers das Schlimmste. Dass seine ersten Schritte auf dem internationalen politischen Parkett zögerlich ausfielen, stärkte das Vertrauen in ihn nicht. "Ich glaube, unsere internationalen Partner haben es ziemlich schwer mit ihm", sagte der ukrainische Politologe Mykola Dawydjuk. "Sie spielen auf einem sehr hohen Niveau, das er nicht erreichen kann - und nicht verstehen kann."

"Er schlägt sich nicht schlecht"

Hinter vorgehaltener Hand zeigen sich Diplomaten nun aber durchaus beeindruckt von der Art und Weise, wie der Ex-Komiker die Krise mit Moskau handhabt. "Ehrlich gesagt, schlägt er sich nicht schlecht", sagte ein Diplomat. Selenskyj bewahre einen kühlen Kopf. "Er hat einen unmöglichen Job, er ist gefangen zwischen dem Druck sowohl der Russen als auch der Amerikaner."

Für Selenskyj stellte die Eskalation der Konfrontation mit Moskau einen Wendepunkt in seiner Präsidentschaft dar. Er war 2019 mit dem Versprechen angetreten, den Konflikt mit Moskau um die Ostukraine zu lösen. Doch Putin schoss sich mehr und mehr auf das Nachbarland und dessen Staatschef ein. Nun ist Selenskyj seit Donnerstag mit einem groß angelegten russischen Angriffskrieg konfrontiert - der sein Land die politische Unabhängigkeit und ihn selbst nicht nur das Präsidentenamt kosten könnte.

Quelle: ntv.de, mau/AFP

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