Politik

Tote in Kundus "So einen Angriff haben wir noch nie erlebt"

Das in Flammen stehende Krankenhaus der Organisation Ärzte ohne Grenzen im afghanischen Kundus

Das in Flammen stehende Krankenhaus der Organisation Ärzte ohne Grenzen im afghanischen Kundus

(Foto: picture alliance / dpa)

Bei einem Bombenangriff auf ein Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in Kundus sterben 22 Menschen. War die Attacke Absicht? Geschäftsführer Florian Westphal erklärt im Interview: Der Standort der Klinik war allen Kriegsparteien gut bekannt.

n-tv.de: Was genau ist in der Nacht zum Samstag geschehen?

Florian Westphal ist Geschäftsführer der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen.

Florian Westphal ist Geschäftsführer der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen.

(Foto: Ärzte ohne Grenzen)

Florian Westphal: Zwischen 2.08 und 3.15 Uhr Ortszeit gab es mehrere Luftschläge gegen das Krankenhaus, das Ärzte ohne Grenzen in Kundus betrieben hat. Während der Angriffe sind 22 Personen ums Leben gekommen, darunter 12 Mitarbeiter und 10 Patienten. Mindestens 37 weitere Menschen wurden verletzt. Das Hauptgebäude des Krankenhauses ist mehrfach getroffen worden und wurde vollständig zerstört. Die Angriffe fanden statt, obwohl wir mehrfach und zuletzt am 29. September den afghanischen Verantwortlichen, aber auch der US-geführten Koalition die GPS-Daten übermittelt hatten. Der Standort war bekannt.

Wenn selbst eine solche Vorsichtsmaßnahme nicht ausreicht: Wie können Sie Ihre Einrichtungen künftig überhaupt noch schützen?

Diese Frage stellen wir uns auch. Für uns ist der Angriff unerklärlich, zumal das Krankenhaus nicht nur einmal, sondern mehrfach durch Bombenabwurf getroffen wurde.

Können Sie sich vorstellen, dass die Bombardierung des Krankenhauses absichtlich erfolgte?

Das können wir nicht beurteilen. Umso wichtiger ist jetzt eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle.

Können Sie Ihre Arbeit in Kundus fortsetzen?

Nein. Die Vorfälle zwingen uns dazu, unsere Arbeit in dem einzig wirklich funktionierenden chirurgischen Krankenhaus in Kundus einzustellen. Es bleibt uns keine andere Wahl, weil wir keinerlei verlässliche Erklärung oder Sicherheitsgarantie bekommen haben, unter diesen Umständen dort weiterzumachen. Was das für die Bevölkerung bedeutet, zeigt allein ein Blick auf die vergangene Woche. Allein zwischen Montag und Freitag haben wir dort 400 Patienten behandelt.

Das afghanische Verteidigungsministerium hat erklärt, dass sich "eine Gruppe von Terroristen mit leichten und schweren Waffen" in der Klinik aufgehalten habe.

Wir haben die Augenzeugenberichte unserer Mitarbeiter, die sich im Krankenhaus aufgehalten haben. Kein Einziger hat von Kampfhandlungen berichtet.

US-Präsident Barack Obama sprach von einer "Tragödie". Meinie Nicolai, Präsidentin der belgischen Sektion von Ärzte ohne Grenzen, sprach von einem "schweren Bruch des Völkerrechts". Werden Sie die USA nun verklagen?

Nein, wir drängen erst einmal auf eine unabhängige Untersuchung durch eine glaubwürdige Instanz. Das bedeutet auch, dass dies nicht nur durch eine Konfliktpartei und den vermeintlich Verantwortlichen geschehen darf. Je nachdem, was die Untersuchung ergibt, müssen die nötigen Schlüsse gezogen werden. Man muss aufhören, von Menschen als Kollateralschäden zu sprechen und gleich zur Tagesordnung überzugehen. Dagegen werden wir uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln wehren.

Werden sich Ärzte ohne Grenzen weiter in Afghanistan engagieren?

Ja, wir haben ja auch in anderen Städten Hilfsprojekte, in Kabul und in Lashkar Gah. Zum jetzigen Zeitpunkt deutet nichts darauf hin, dass sich das ändern wird. Wir können aber natürlich nur arbeiten, wenn wir verlässliche Garantien von den Konfliktparteien erhalten, dass unsere medizinische Hilfe akzeptiert wird.

Wie häufig kommen Fälle wie der am Wochenende in Kundus vor?

Wir als Organisation haben einen Angriff wie diesen noch nie zuvor erlebt. Leider kommt es weltweit aber immer wieder zu Angriffen auf medizinische Einrichtungen. Zum Beispiel in Syrien gab es wiederholt gravierende Übergriffe gegen Krankenhäuser. Dabei ist das Recht auf medizinische Versorgung inmitten eines Krieges eines der Grundrechte des humanitären Völkerrechtes der Genfer Konvention, die von so gut wie allen Staaten ratifiziert worden ist. Wenn dieses Recht mit Füßen getreten wird, dann leidet die Zivilbevölkerung, denn ein grundlegendes Element für ihren Schutz greift dann nicht mehr.

Mit Florian Westphal sprach Christian Rothenberg

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen