Scholz nennt Papier ungewöhnlich So will die Regierung die nationale Sicherheit stärken
14.06.2023, 11:52 Uhr Artikel anhören
Spionage, Cyberattacken, militärische Verteidigung, aber auch Klimawandel: Die Nationale Sicherheitsstrategie soll Deutschland in Zeiten des russischen Angriffskriegs und einer aggressiver agierenden chinesischen Regierung sowohl vor inneren als auch äußeren Bedrohungen wappnen.
Die Bundesregierung hat nach monatelangen Verhandlungen erstmals eine Nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland beschlossen. Das Kabinett verabschiedete das gut 40 Seiten starke Papier in seiner Sitzung in Berlin. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und einer immer aggressiver auftretenden chinesischen Regierung ist die Grundidee der Strategie, erstmals alle inneren und äußeren Bedrohungen für die Sicherheit Deutschlands zu berücksichtigen.
Bundeskanzler Olaf Scholz hob die Strategie als wichtigen Beitrag hervor, die Sicherheit der Menschen in Deutschland angesichts eines geänderten Umfelds zu gewährleisten. Das Kabinett habe mit der Verabschiedung der Strategie eine ungewöhnliche und wichtige Entscheidung getroffen, sagte der SPD-Politiker. Zentrale Aufgabe des Staates sei es, ohne Abstriche für die Sicherheit der Bürger zu sorgen. Dies geschehe mit der Sicherheitsstrategie, die dem Leitbild der integrierten Sicherheit folge. Was sich früher bei der Planung der Bundesregierung allein auf Verteidigungspolitik beschränkt habe, folge nun einem umfassenderem Gesamtansatz. Der Löwenanteil der Arbeit sei von Außenministerin Annalena Baerbock und ihrem Team geleistet worden.
Baerbock: Papier hat auch Medikamente und sauberes Wasser im Blick
Baerbock ihrerseits bezeichnete die neue Nationale Sicherheitsstrategie als Startpunkt für eine bessere Zusammenarbeit. Nötig sei eine integrierte Sicherheit, für die alle relevanten Akteure, Mittel und Instrumente zusammenwirken, sagte Baerbock. Sie nannte die Verfügbarkeit von Medikamenten und sauberem Wasser, aber auch Fragen wie die Kontrolle über Gasspeicher, deren Verkauf zwar als Sicherheitsthema diskutiert, aber damals "offensichtlich anders bewertet" wurde. Ziel sei es, militärische Wehrhaftigkeit, die Widerstandsfähigkeit ("Resilienz") der Gesellschaft insgesamt sowie Nachhaltigkeit insbesondere mit Blick auf die Klimakrise voranzubringen.
Die Entscheidung gegen einen Nationalen Sicherheitsrat verteidigte Baerbock, die FDP hatte diesen ursprünglich gefordert. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 habe die Bundesregierung im Sicherheitskabinett getagt, sagte Baerbock. Manche hätten Vorurteile gehabt und gedacht, man werde lange streiten. Stattdessen habe sich gezeigt, dass man in kritischen Momenten vertrauensvoll zusammenzukommen und entscheiden könne. Dies werde auch in Zukunft fortgeführt - und eben nicht nur in Verteidigungsfragen, sondern etwa auch bei der Cybersicherheit oder in Fragen des Katastrophenschutzes.
Die Strategie soll ressortübergreifend Vorgaben für alle sicherheitspolitischen Herausforderungen setzen. Auch das Zusammenspiel von Bund und Ländern wird darin berücksichtigt. Die Ampel-Parteien hatten die Ausarbeitung der Strategie bereits in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart - also noch vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Die Vorlage des Papiers hatte sich zuletzt allerdings immer wieder verzögert, unter anderem wegen eines Kompetenzgerangels zwischen Auswärtigem Amt und Kanzleramt. Auf die zunächst angestrebte Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats wurde deshalb verzichtet.
Es braucht Antwort auf Fakenews
Die Bundesregierung formuliert in der Strategie eine Reihe von Zielen: Deutschland solle das Zwei-Prozent-Ziel der NATO "im mehrjährigen Durchschnitt" erreichen. Spionage-, Sabotage- und Cyberabwehr sollen gestärkt werden; die Verteidigungstechnologie soll auf europäischer Ebene gestärkt werden; die Regeln zur Rüstungsexportkontrolle sollen EU-weit harmonisiert werden; die Lage im Weltraum solle mit der Erstellung eines Weltraumlagebilds stärker in den Blick genommen werden.
Um künftig besser gegen Desinformation und andere Formen ausländischer Einflussnahme gewappnet zu sein, strebt die Bundesregierung bei Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischem Abschirmdienst Verbesserungen an. "Die Bundesregierung wird eine Strategie zur Steigerung unserer Handlungsfähigkeit gegenüber hybriden Bedrohungen vorlegen", heißt es. Diese Strategie werde darauf abzielen, ihre Fähigkeiten zur Erkennung, Analyse und Abwehr solcher Bedrohungen auszubauen und die Instrumente zur Reaktion weiterzuentwickeln. "Dazu gehört auch die Stärkung der Analysefähigkeit unserer Nachrichtendienste", wird in dem Papier betont. Unter anderem nach der raschen Machtübernahme der Taliban in der afghanischen Hauptstadt Kabul im August 2021 hatte es vereinzelt Kritik an Einschätzungen des Bundesnachrichtendienstes (BND) gegeben. Geplant sei auch eine Strategie speziell zum Umfang mit Desinformation, heißt es in der Nationalen Sicherheitsstrategie weiter. Dabei gehe es unter anderem darum, "die Instrumente der Früherkennung von manipulativer Kommunikation im Informationsraum auszubauen".
Wehrhaftigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit
"Mit der Nationalen Sicherheitsstrategie will die Bundesregierung einen kontinuierlichen Prozess des Zusammenwirkens aller staatlichen Ebenen, von Wirtschaft und Gesellschaft für die Sicherheit unseres Landes befördern und damit auch einen Beitrag zur Stärkung der strategischen Kultur in Deutschland leisten", erklärte die Regierung. Der Fortschritt der Umsetzung solle regelmäßig überprüft werden.
Die Strategie orientiert sich an drei "zentralen Dimensionen" der Sicherheitspolitik: Wehrhaftigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit. Zum Bereich Wehrhaftigkeit zählen die Stärkung von Bundeswehr, Zivilverteidigung und Bevölkerungsschutz, wie es in dem Papier heißt. Im Bereich Resilienz geht es um die Verteidigung "unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegen illegitime Einflussnahme von außen". Dazu sollten auch "einseitige Abhängigkeiten in der Rohstoff- und Energieversorgung" reduziert und die Lieferbeziehungen diversifiziert werden. Im Bereich Nachhaltigkeit geht es um die Bekämpfung der Klima-, Biodiversität- und Ökosystemkrise, die Stärkung der globalen Ernährungssicherheit und der globalen Pandemieprävention.
Quelle: ntv.de, ysc/AFP/dpa