Streit um Booster für Jüngere Spahn legt nach
03.11.2021, 16:01 Uhr
Zusätzlich zu Arztpraxen haben Berlinerinnen und Berliner noch immer die Möglichkeit, sich in öffentlichen Stellen gegen Corona impfen zu lassen.
(Foto: imago images/Jochen Eckel)
Alle wollen boostern - aber bei der Frage wo und wen gibt es Streit. Minister Spahn wünscht sich öffentliche Angebote und Auffrischung für jeden. Die Kassenärzte lehnen beides ab. Das sorgt für Unsicherheit bei den Impfwilligen.
Günstig ist das nicht mitten im Kampf gegen eine tödliche Pandemie, der nur zu gewinnen ist, wenn die Bevölkerung solidarisch und eigenverantwortlich mithilft: Zwischen dem noch amtierenden Gesundheitsminister Jens Spahn und den Vertretern der Ärzteschaft knirscht es hörbar. Der eine bemängelt, dass die Booster-Impfung nicht auf Touren kommt, und macht öffentlich Druck. Die anderen fordern, dass man sie in Ruhe ihre Arbeit machen lässt.
Vor der Presse legte Spahn in diesem Konflikt heute nach: "Das Tempo beim Boostern reicht nicht", kritisierte er und erinnerte daran, dass die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) schon Anfang August beschlossen hatte, dass "alle Bewohnerinnen und Bewohner in den Pflegeeinrichtungen, sowie das Personal ein drittes Mal ein Impfangebot bekommen sollen". Kurz darauf habe man vereinbart, "vorsorglich allen über 60-Jährigen in Deutschland ein entsprechendes Impfangebot zu machen". In den drei Monaten seit Anfang August habe es jedoch nur gut zwei Millionen Auffrischimpfungen in Deutschland gegeben. "Das ist deutlich zu wenig", so der scheidende Minister.
Diese Kritik richtet sich in erster Linie an die Landesregierungen, die größtenteils nicht - wie beispielsweise das Land Berlin - betagte Bürgerinnen und Bürger per Post zum Boostern angeregt haben. So mutmaßen Impfexperten, dass viele Alte sich noch für geschützt halten, die es, wenn die Impfung mehr als ein halbes Jahr zurückliegt, vermutlich nicht mehr sind. Die Nachfrage nach Auffrischungen ist mäßig und dem drastischen Anstieg der Inzidenzen und Belastungen der Intensivstationen nicht angemessen.
Angesichts von etwa 30 Millionen Menschen in Deutschland, die dem Impfstoffexperten Leif Sander zufolge zeitnah eine Auffrischung benötigen, ist Spahn aber nicht nur mit dem schleppenden Tempo unzufrieden. Der Minister möchte das Booster-Angebot auch deutlich ausweiten - auf jüngere Geimpfte.
Am Dienstag hatten sich Vertreter der Kassenärzte in einem Pressetermin klar gegen eine Auffrischung für jüngere Menschen positioniert: "Jetzt Booster-Impfungen wahllos für alle zu empfehlen, macht keinen Sinn", sagte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Er verwies auf die relativ hohe Quote von Menschen, die noch gar nicht geimpft seien, und betonte, dass sich die Kassenärzte "sehr stringent" an die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) hielten.
63-Jährigen wird gesagt: "Nee"
Die STIKO wiederum empfiehlt das Boostern erst ab 70 Jahren. Was nach Darstellung des Ministers dazu führt, dass Ärzte Jüngeren die dritte Impfung teilweise verweigern. "Wir bekommen Berichte, dass 63-Jährigen, die sich eine Auffrischimpfung wünschen, gesagt wird: Nee!", so Spahn. "Das ist nicht gut." Er verstehe nicht, warum eine solche Impfung für Menschen, die "eine Situation vielleicht haben, in der sie auch vielen anderen Menschen begegnen, und sich eine Auffrischimpfung wünschen", nicht möglich sein soll. "Impfstoff ist da, Zulassung ist da, die Erkenntnisse aus anderen Ländern sind da, und insofern macht das aus meiner Sicht Sinn."
Spahn sieht den Konflikt nicht mit der STIKO. Das Auswerten von Daten sei sehr wichtig, betonte der Minister. Er sieht aber keine Notwendigkeit seitens der Ärzte, sich bei den Impfungen nur auf diejenigen zu beschränken, denen die STIKO eine Impfung empfiehlt. "In einer Pandemie, in der wir jetzt aktuell sind, ist doch darüber hinaus wichtig auch zu sehen, welche Erfahrungen und Erkenntnisse wir aus andern Ländern haben." Man sehe am Beispiel Israel, "dass das Boostern tatsächlich einen echten Unterschied macht".
Und Spahn legte nochmal nach, am Beispiel der Kinder und Jugendlichen: Dort war der Impfstoff Ende Mai für Kinder ab 12 Jahren zugelassen worden, die STIKO hatte ihre Empfehlung dann Mitte August gegeben. "Bis dahin war schon ein Viertel der Altersgruppe - Gott sei Dank - geimpft. Also wir konnten schon deutlich früher Menschen schützen." Und mit diesem Ziel, früher Menschen zu schützen, verwies Spahn auch auf die Vereinbarung mit den Landesgesundheitsministern, dass die "öffentlichen Angebote in den Standby-Betrieb gehen und bei Bedarf zügig wieder hochgefahren werden können. Diesen Bedarf sehen wir aktuell, wenn es um die Auffrischimpfungen geht".
Dies ist ein weiterer Punkt, der bei der Ärzteschaft auf Ablehnung stößt. Die GKV will das Impfen in der Hand der niedergelassenen Ärzte belassen und es bis auf weiteres auf Menschen über 70, Pflegepersonal und Heimbewohner beschränken. In den Pflegeeinrichtungen "spielt vom Krankheitsgeschehen her die Musik", sagte Gassen am Dienstag. Die GKV pocht auf dem medizinischen Prinzip, "das Wichtigste zuerst zu tun".
Einigung am Donnerstag?
Allerdings würden die Kassenärzte womöglich kaum darin gehindert, das Wichtigste zuerst zu tun, nämlich Alte und Vulnerable zu impfen, wenn die Jüngeren die Möglichkeit bekämen, sich in öffentlichen Impfeinrichtungen boostern zu lassen - was die Ärzte ablehnen. Eine Einigung in diesem Streit zeichnet sich kaum ab, auch wenn am Donnerstag beide Seiten miteinander sprechen wollen.
Was bleibt, ist eine unklare Situation für Impfwillige, die sich ein drittes Mal immunisieren lassen möchten, aber jünger als 70 sind. Solange Impfzentren - wie in den meisten Bundesländern - weiterhin geschlossen bleiben, müssen Jüngere darauf hoffen, eine Arztpraxis zu finden, die sich nicht "sehr stringent" an die Empfehlung der STIKO hält, sondern der Argumentation des Bundesgesundheitsministers folgt. Und die genug Kapazität und Impfstoffe hat, sodass nicht Ältere und Schutzbedürftigere darunter leiden.
Quelle: ntv.de