Pressestimmen zur Eskalation "Trump klang eher wie Don Corleone als wie ein Präsident"
01.03.2025, 12:23 Uhr Artikel anhören
Trump geht den ukrainischen Staatschef an.
(Foto: picture alliance / abaca)
Im Oval Office geht es bei der Zusammenkunft von Wolodymyr Selenskyj, Donald Trump und J.D. Vance hoch her. Die Republikaner attackieren den ukrainischen Präsidenten. Der wehrt sich umgehend. Nach dem Zerwürfnis vor den Augen der Welt berichten viele Medien kritisch über das Verhalten von Präsident Trump und seinem Vize. Aber auch Selenskyj kommt nicht immer gut weg.
USA
Die "Washington Post" schreibt in einem Kommentar: "Donald Trump klang am Freitag eher wie Don Corleone (der Mafia-Boss aus "Der Pate") als wie ein US-amerikanischer Präsident. (...) Verbündete weniger freundlich zu behandeln als Gegner, zeugt von Naivität gegenüber der Bedrohung, die ein revanchistisches Russland für die westliche Welt, einschließlich der Nato, darstellt. (...) Trump verhält sich so, als sei er eher auf der Seite des autoritären Aggressors als auf der Seite des demokratischen Opfers. (...) Bedauerlicherweise nahm Selenskyj den Köder auf und wurde energisch. (...) Dennoch hat Selenskyj recht, dass Amerika es bereuen könnte, die Waage zu Putins Gunsten geneigt zu haben. Wie gut gemeint sein Diskutieren auch gewesen sein mag, hat es aber seine Verhandlungsposition untergraben. Trump seinerseits sollte das große Ganze erkennen. Wenn er den Dritten Weltkrieg vermeiden will, sollte er die Lektionen des Zweiten Weltkriegs beherzigen. Diktatoren zu beschwichtigen, funktioniert nicht. (...) Der US-Präsident sollte versuchen, Putin gegenüber so unhöflich zu sein, wie er es am Freitag gegenüber Selenskyj war."
Das konservative "Wall Street Journal" betitelt einen Kommentar mit "Putin gewinnt das Trump-Selenskyj Spektakel im Oval Office". Darin heißt es: "Warum hat der Vizepräsident versucht, einen öffentlichen Streit zu provozieren? (...) Vance tadelte Selenskyj, als wäre er ein Kind, das zu spät zum Essen kommt. (...) Dies war nicht das Verhalten eines Möchtegern-Staatsmannes. Selenskyj wäre klüger gewesen, die Spannungen zu entschärfen, indem er sich erneut bei den USA bedankt und sich Trump unterordnet. Es hat wenig Sinn, vor Trump die Überlieferung zu korrigieren, wenn man ihn gleichzeitig um Hilfe bittet. Aber wie schon den Krieg hat Selenskyj diesen Austausch im Oval Office nicht begonnen. Sollte er eine ausgedehnte öffentliche Verunglimpfung des ukrainischen Volkes dulden, das seit drei Jahren einen Krieg ums Überleben führt? (...) In Sachen Ukraine ist es im Interesse der USA, das imperiale Projekt Putins zu stoppen, ein verlorenes Sowjetimperium wieder aufzubauen, ohne dass US-Soldaten jemals einen Schuss abfeuern müssen. Dieses Kerninteresse hat sich nicht geändert, aber die Ukraine vor der ganzen Welt zu maßregeln, wird es schwieriger machen, es zu erreichen."
Die "New York Times" betitelt einen Bericht: "Trump maßregelt Selenskyj in feurigem Austausch im Weißen Haus". Die Zeitung schreibt: "Die Beziehungen der Vereinigten Staaten zur Ukraine entluden sich am Freitag in einem Sturm der Bitterkeit, als Präsident Trump und Vizepräsident J.D. Vance den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in einem explosiven, im Fernsehen übertragenen Schlagabtausch im Oval Office maßregelten und einen Besuch, der der Koordinierung eines Friedensplans dienen sollte, abrupt abbrachen. In einer feurigen öffentlichen Konfrontation, wie es sie zwischen einem US-amerikanischen Präsidenten und einem ausländischen Staatsoberhaupt in der Neuzeit noch nie gegeben hat, geißelten Trump und Vance Selenskyj dafür, dass er für die Unterstützung der USA im Krieg der Ukraine mit Russland nicht dankbar genug sei, und versuchten, ihn zu einem Friedensabkommen zu den von den Amerikanern diktierten Bedingungen zu zwingen."
In einem Bericht des Trump-nahen Nachrichtensenders Fox News heißt es: "Die Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine kamen am Freitag jäh zum Erliegen, nachdem sich bei einem Treffen zwischen Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Oval Office der Zorn entlud. Die Welt fragt sich nun, wie es mit den Verhandlungen weitergeht und ob die beiden Staatsoberhäupter ihre Beziehungen so weit verbessern können, dass die USA den Frieden vermitteln können. Einige sagen, Europa müsse sich einschalten, um die Feindseligkeiten zu beenden, während andere meinen, Selenskyj müsse entweder Schadensbegrenzung betreiben oder zurücktreten."
Spanien
Die spanische Zeitung "El País" sieht im Schlagabtausch von Selenskyj, Trump und Vance "das beeindruckende Symbol für das Ende einer Ära". Zu erleben sei eine amerikanische Abkehr von Europa sowie eine Kluft bei Interessen und Werten. "Wir Europäer stehen auf dem Speiseplan der imperialistischen Mächte. Falls noch Zweifel an der Dringlichkeit bestanden haben sollten, ist eine eindeutige Botschaft aus dem Oval Office angekommen. Wir müssen unseren Platz in der Welt mit Mut völlig neu überdenken."
England
"Das westliche Bündnis scheint auf der Kippe zu stehen", meint auch die britische Zeitung "The Telegraph". Eine derartige Zurschaustellung von Aggression durch das Weiße Haus gegenüber einem westlich orientierten Staatsoberhaupt sei beispiellos, heißt es. Die Zeitung spricht zudem von einem Propagandasieg für Kremlchef Wladimir Putin.
Ukraine
US-Präsident Trump habe sich dafür entschieden, "lieber mit einem mörderischen Tyrannen gemeinsame Sache zu machen als mit einem demokratisch gewählten Staatsführer", kommentiert der "Kyiv Independent". Die Amerikaner sollten aufstehen und ihrer politischen Führung die Botschaft senden, dass sie keine Allianz mit Russland wollen und die Ukraine nicht verraten wollen, schreibt das Medium. "Erhebt die Stimme jetzt, bevor es zu spät ist."
Schweiz
In der "Neuen Zürcher Zeitung" ist zu lesen: "Trumps Tiraden führten den Europäern nun nochmals deutlich vor Augen, wo der amerikanische Präsident und seine Regierung wirklich stehen. Offenkundig hegt Trump mehr Sympathien für den russischen Diktator und seine Geschichtsklitterung als für eine unabhängige Ukraine." Wenn die Europäer wirklich einen stabilen Frieden in der Ukraine wollen, "müssen sie vermutlich selbst die Führungsrolle übernehmen, ohne auf eine amerikanische 'Rückversicherung' hoffen zu können".
Belgien
Eine ähnliche Bilanz zieht ein Artikel in der belgischen Zeitung "De Standaard": "Der öffentliche Streit zwischen zwei Präsidenten, von denen einer sich in einem Krieg gegen Russland verteidigt, signalisiert das Ende des Westens. Die Ukraine und Europa müssen es nun ohne militärische Unterstützung der USA mit Russland aufnehmen. Fortan ist es angemessener, von 'Donald Trumps Regime' zu sprechen als von Trumps Präsidentschaft."
Niederlande
Von einem "ungewöhnlich konfrontativem" ukrainischen Präsidenten ist in der niederländischen Zeitung "De Telegraaf" die Rede. Dieser habe den Amerikanern erklärt, dass sie Moskau zu viel Vertrauen schenken würden und Präsident Putin seine Versprechen schon oft gebrochen habe. Diese Kritik sei schlecht angekommen. Weiter heißt es: "Wolodymyr Selenskyj macht mit seiner Haltung und seinen Vorwürfen offenbar mehr kaputt, als der britische Premierminister Keir Starmer und der französische Präsident Emmanuel Macron Anfang der Woche aufzubauen versucht haben. Es ist unklar, welche Folgen dieses Gezeter für die Sicherheitsgarantien haben wird, die die Ukraine zu erhalten hofft."
Frankreich
In Moskau könne Präsident Wladimir Putin seinen Augen und Ohren kaum trauen, schreibt die französische Tageszeitung "Le Figaro": "Wer hätte auf ein solches Abdriften der Kontinente gewettet, bei dem Amerika näher an Russland heranrückt? Ungeachtet dessen, was er als seine Interessen ansieht, hat Donald Trump mit seiner Ausrichtung auf den Kreml wenig zu gewinnen. Er bittet mit voller Geschwindigkeit um Frieden, aber der andere will den Sieg und hat viel Zeit.
Quelle: ntv.de, hul/lme/dpa