Land der sinnfreien Baurekorde Turkmenistan baut eine Stadt, die niemand braucht
15.04.2023, 11:47 Uhr Artikel anhören
Die Achal-Tekkiner-Pferderasse stammt aus Turkmenistan und ist im Land überall präsent. Hier eine Statue zu Ehren des Ex-Präsidenten Gurbanguly Berdimuhamedow.
(Foto: picture alliance / Valery Sharifulin/TASS/dpa)
In Turkmenistan regieren Prunk und Protz, obwohl der Großteil der Einwohner des Landes in Armut lebt. Die Macht liegt seit 17 Jahren in den Händen der Familie Berdimuhamedow. Ex-Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow bekommt zu seinen Ehren nun sogar eine ganze Stadt gebaut.
Wäre Gurbanguly Berdimuhamedow kein brutaler Diktator, gäbe es viel zu lachen. Jedenfalls versorgt kein Staatsmann die Welt mit so vielen kuriosen Videos wie der frühere Präsident von Turkmenistan: Berdimuhamedov hat zusammen mit seinem Enkel Kerimguly einen Rapsong aufgenommen, außerdem ein Lied über sein Lieblingspferd, und an Silvester tritt er gerne mal als DJ auf.
In anderen Aufnahmen spielt er im Bayern-Trikot Basketball, schießt vom Fahrrad aus auf Zielscheiben oder wirft Messer auf Zielscheiben. Ebenso existieren Videos von Berdimuhadedow, wie er mit einem Rallyeauto um einen riesigen Krater rast, eine Kabinettssitzung mit einer vergoldeten Hantelstange eröffnet oder einen Aktionsmonat zur "Verkehrssicherheit und dem Wohlergehen unseres Lebens" zelebriert, indem er über eine leere sechsspurige Straße radelt.
Gurbanguly Berdimuhamedow ist der Alleskönner, der die Turkmenen beschützt - diese Erzählung versucht der mittlerweile 65-Jährige seit Jahren unters Volk zu bringen. Deshalb trägt Berdimuhamedow auch den Beinamen "Arkadag", zu Deutsch "Beschützer".
Und passenderweise wird in Turkmenistan derzeit eine Stadt gebaut, die den Namen Arkadag trägt. "Das ist eines dieser klassischen, für Turkmenistan typischen überdimensionierten nationalen Prestigeprojekte im Bausektor. Seit Mitte der 1990er-Jahre wurden immer größere Summen aus dem Export von Erdgas damit versenkt. Die breite Bevölkerung spürt davon relativ wenig", erklärt Politikwissenschaftler und Zentralasien-Experte Hannes Meissner im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".
Die neue Stadt liegt 30 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Aschgabat. Ende vorigen Jahres wurde Arkadag zur neuen Hauptstadt der Provinz Ahal benannt. Die Region liegt in der Mitte Turkmenistans, grenzt im Süden an den Iran und Afghanistan, ist das Machtzentrum der Eliten des Landes und der Familie Berdimuhamedow.
Familienclan regiert das Land
Mittlerweile ist Gurbanguly zumindest auf dem Papier nicht mehr der starke Mann des zentralasiatischen Landes. Sohn Serdar hat im März 2022 das Präsidentenamt übernommen, der Vater ist seitdem "nur" noch Vorsitzender des Volksrates, dem obersten Staatsorgan.
"Turkmenistan zeichnet sich seit der Unabhängigkeit 1991 dadurch aus, dass sehr starke Führer das Land beherrschen", erklärt Meissner. Bis zu seinem Tod im Jahr 2006 regierte Saparmurad Nijasow das Land mit harter Hand, ihm folgte Berdimuhamedow. "2022 wurde die Macht an seinen Sohn Serdar transferiert. Der tut sich schwer mit der neuen Rolle, muss in dieses Amt erst noch hineinwachsen. Das ist sichtbar."
Den Rücktritt von Gurbanguly und die Wahl seines Sohnes bezeichnet Meissner als "klassischen Herrschaftswechsel in einem klientelistischen System". Die Berdimuhamedows seien eine Art Familienclan, der Turkmenistan beherrscht und auf Dauer seine Macht absichern möchte. Aus Altersgründen habe man den Vater durch den Sohn ersetzt, im Hintergrund ziehe der Älteste aber immer noch die Fäden, erklärt der Turkmenistan-Kenner.
Der Bau der neuen Stadt Arkadag unterstreicht das. Das Projekt wurde während der Amtszeit von Gurbanguly Berdimuhamedow angestoßen. Die erste Bauphase begann 2019 und wurde Ende März dieses Jahres abgeschlossen. Bislang flossen laut turkmenischen Angaben umgerechnet rund drei Milliarden Euro in die Stadt. In der zweiten Bauphase, die bis 2026 dauern soll, will Turkmenistan demnach weitere 1,5 Milliarden Euro ausgeben. Ursprünglich sollten die gesamten Baukosten nicht mehr als 1,5 Milliarden Euro betragen.
"Gigantische Möglichkeiten, sich selbst zu bereichern"
Der normalen Bevölkerung Turkmenistans nutzt Arkadag kaum. Die Stadt vom Reißbrett entsteht aus anderen Gründen, ist Hannes Meissner überzeugt. Zum einen, um "Beschützer" Gurbanguly Berdimuhamedow zu ehren. Die unmittelbare Gefolgschaft der Herrscherfamilie sei es, die solche Projekte immer wieder initiiere, sagt Experte Meissner, und bezeichnet das als "vorauseilende Ehrerbietung".

Der größte Stern der Welt ist Teil des Fernsehturms von Aschgabat und hat einen Eintrag im Guinessbuch der Rekorde.
(Foto: imago images/velirina)
Darüber hinaus freut sich die Baubranche im Land. "Einer der wenigen Sektoren in Turkmenistan, die tatsächlich boomen, weil die Gaseinkünfte dort kanalisiert werden", sagt Meissner und erklärt die Hintergründe: "Erstens wird eine nationale Symbolpolitik bedient. Man gibt vor, ein sehr reiches Land zu sein, das im Überfluss und Wohlstand lebt. Zweitens eröffnet der Bausektor gigantische Möglichkeiten für die herrschende Elite, sich selbst zu bereichern."
Es ist nicht das erste Mal, dass die turkmenische Regierung ihr Gasgeld in sinnlosen Prestigeprojekten versenkt. Denkmäler und Statuen, die die Geschichte des Landes glorifizieren. Einen Fernsehturm als "architektonisches Unikat", wie es Turkmenistan-Kenner Meissner formuliert. Und Marmorgebäude an so gut wie jeder Ecke, die Aschgabat sogar ins Guinessbuch der Rekorde verhalfen.
2013 wurde Turkmenistans Hauptstadt zum Ort mit der höchsten Dichte an Marmorgebäuden weltweit gekürt. Zu dem Zeitpunkt gab es bereits über 500 davon in Aschgabat, seitdem sind Hunderte weitere dazugekommen. Nicht immer handelt es sich um echten, sondern häufig auch um Kunstmarmor, der nur als Verkleidung dient. Eine Reisebloggerin formuliert es so: "Es ist eine bizarre Erfahrung, ein glänzendes, weißes Marmorgebäude zu betreten und dann in einen grauen, betonierten, sowjetisch aussehenden Korridor zu gehen."
Turkmenistan nutzt Weltrekorde für die eigene Imagepflege, erklärt Meissner. Das größte Indoor-Riesenrad, der größte architektonische Stern, das größte Gebäude in der Form eines Pferdes.
Und der nächste Eintrag ins Guinessbuch wird höchstwahrscheinlich nicht lange auf sich warten lassen. Gurbanguly Berdimuhamedow soll jedenfalls bereits befohlen haben, dass auch die neue Stadt Arkadag einen Eintrag bekommt, berichtet die französische Nachrichtenagentur AFP. Irgendein mehr oder weniger absurder Rekord wird sich schon aufstellen lassen.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
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Quelle: ntv.de