"Hauptsächlich Mist" bei der Bundeswehr Twittern von der Front
05.09.2011, 13:25 Uhr
Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan bietet jede Menge Stoff für Soziale Netzwerke. Doch die Armee fürchtet eine "Medialisierung des Krieges".
(Foto: REUTERS)
In deutschen Kasernen und Feldlagern nutzen die Soldaten längst Twitter und Facebook, um mit der Heimat Kontakt zu halten und ihre Version der Kampfeinsätze zu zeigen. Weit weniger selbstverständlich geht die Institution Bundeswehr mit Social Media um – im Gegensatz zur NATO oder den US-Streitkräften.
Soziale Netzwerke haben unsere Wahrnehmung von internationalen Konflikten revolutioniert. Über Facebook tauschen Nutzer längst nicht mehr nur Ideen und Fotos aus, sie können auch (fast) live mitverfolgen, wenn Geschichte geschrieben wird. Als die US-Armee zum entscheidenden Schlag gegen Osama bin Laden ausholte, waren Twitter-Nutzer hautnah mit dabei. Die libysche Rebellion ist im Minutenprotokoll auf Facebook nachzulesen. Und den Kampf der Syrer gegen das Regime von Baschar al-Assad dokumentieren jeden Tag neue Videos auf Youtube. Die sozialen Netzwerke spiegeln inzwischen den Rhythmus der internationalen Sicherheitspolitik wider. Und nicht selten werden Umwälzungen wie in der arabischen Welt über Facebook, Twitter und Youtube mit angestoßen.

Die Kommunikation der Bundeswehr im Netz ist eine Einbahnstraße. Einen echten Dialog bietet die Truppe mit ihrem Youtube-Kanal nicht an.
Dass diese Instrumente auch für die Kommunikation westlicher Militärorganisationen wichtig sind, haben die NATO oder die US-Armee schon erkannt. Einzig die Bundeswehr hinkt noch hinterher. Zwar twittert die Truppe und stellt Videos bei Youtube ein. Doch ein echtes Kommunikationskonzept lässt die Hardthöhe im Internet bislang vermissen.
Ausgerechnet die NATO bedient die sozialen Medien bereits sehr versiert – was viele Beobachter überrascht. Das transatlantische Bündnis galt lange Zeit nicht gerade als besonders mitteilungsfreudig. Diesen Wandel begleitet hat unter anderen Stefanie Babst. Sie ist stellvertretende Generalsekretärin für Öffentlichkeitsarbeit der NATO.
Auf diesem Posten hat Babst miterlebt, wie die NATO Social Media für sich entdeckt hat. Das Verteidigungsbündnis twittert, streamt und bloggt nun schon seit einigen Jahren aus allen Rohren. Die Uniformträger in der Brüsseler Zentrale haben gelernt, dass es ohne ständige Präsenz bei Facebook, Youtube, Twitter und Co. nicht mehr geht, auch nicht in der diskreten Welt der Verteidigungspolitik. Deswegen habe man bei der NATO "etliche radikale Schritte zugunsten digitaler Medien und sozialer Netzwerke unternommen", so Babst. Öffentliche Diskussionen über NATO-Politik im Netz gehören genauso dazu wie die mediale Nachbereitung von Einsätzen.
Rasmussen kein Bundeswehr-Follower
Die neuen Messinstrumente des digitalen Erfolgs hat man auch verstanden: Follower. Der eifrig twitternde Chef von Babst, NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, hat bereits über 72.000 davon. Rasmussen selbst folgt unter anderem diversen NATO-Generälen oder dem Internationale Strafgerichtshof. Wem er nicht folgt: der Bundeswehr.

Die deutschen Soldaten nutzen das Netz wie selbstverständlich. Nur der Dienstherr kann mit Twitter, Facebook & Co. nicht viel anfangen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Auch die hat zwar einen Twitter-Auftritt, einen eigenen Youtube-Kanal und eine Facebook-Seite. Die Anzahl der Freunde und Follower hält sich noch in Grenzen, doch auch für die Bundeswehr werden die sozialen Netzwerke wichtiger. Seit der Umstellung auf eine Freiwilligenarmee müssen die deutschen Streitkräfte jetzt noch aktiver mit den deutschen Bürgern kommunizieren. Ob sie dazu jedoch in der Lage ist, bezweifeln manche Kritiker.
Sascha Stoltenow zum Beispiel. Der ehemalige Offizier ist heute Kommunikationsberater und kommentiert seit 2007 auf seinem "Bendler Blog" die Medienpolitik der Bundeswehr. Sein Fazit heute: Ausgerechnet in Sachen "Social Media" komme aus dem Verteidigungsministerium "hauptsächlich Mist". Stoltenows Hauptkritik: Noch habe man auf der Bonner Hardthöhe nicht verstanden, die neuen Medien richtig einzusetzen, so sein Urteil. Kein Wunder, wenn sich schon der Chef dieser Entwicklung verschließt. Im Gegensatz zu NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen twittert Verteidigungsminister Thomas de Maizière nicht.
Bundeswehr wirbt mit Wohlfühl-Videos
Auffällig wird das Bemühen der Bundeswehr lediglich auf Youtube. Mit zackigen Videos will die Truppe hier Werbung für sich machen. Die Plattform soll vor allem als Karriereportal genutzt werden, soll Einstiegspunkt für zukünftige Soldaten sein. Doch eine klare Kommunikationsstrategie kann Stoltenow darin nicht erkennen. Denn die tatsächliche Realität im Einsatz werde nur zensiert gezeigt. Bilder von verletzten deutschen Soldaten gehören zum Beispiel nicht dazu – obwohl diese Realität längst in den Köpfen der potenziellen Rekruten angekommen ist. "Das Ministerium verweigert sich bewusst der Medialisierung des Militärischen."
Heraus kommt Bundeswehr-Werbung, die mit den Inhalten von nicht-militärischen Usern im Netz konkurrieren muss. Die sind entweder unterhaltsamer – vom Rumblödeln in der Kaserne bis zum Unfall auf der Schießbahn. Oder sie sind realistischer – so wie die unzähligen Gefechtsvideos aus dem Irak oder aus Afghanistan.
Außerdem lässt die Online-Community die deutsche Rekrutierungspropaganda in der Regel nicht unkommentiert stehen. "Das alte Prinzip 'wir senden, ihr empfangt' funktioniert nicht mehr", sagt Stoltenow. Das Web 2.0 reagiert sofort – oft mit Hohn und Spott.
Von der Kommunikation zur Spionage
Wie weit die Nutzung von sozialen Netzwerken gehen kann, beweisen die US-Streitkräfte. Die sind schon seit Jahren multimedial im Netz unterwegs. Und das mit einigem Erfolg. Schließlich haben die USA Erfahrung mit dem ständigen Werben um neue Rekruten. Army, Navy und Air Force investieren Millionen in komplexe Online-Kampagnen. Mit "America's Army" warf man vor einigen Jahren sogar ein eigenes Ego-Shooter-Spiel auf den Markt, das ausschließlich online gespielt wird - und neben reichlich Werbung für die US-Streitkräfte auch gleich die Möglichkeit enthielt, sich für den Militärdienst zu melden.
Jetzt bereitet man im Pentagon den nächsten Schritt vor. Eine Forschungsorganisation des US-Verteidigungsministeriums hat gerade rund 30 Millionen Euro ausgelobt für ein System, das Soziale Netzwerke im Internet für das US-amerikanische Militär nach Informationen durchforstet. Ziel des Projekts: potenziell gefährliche Ideen, Themen und Diskussionen rechtzeitig zu finden, sie zu beobachten und gegebenenfalls gleich mit Gegenpropaganda zu bekämpfen. Außerdem sollen Info-Kampagnen feindlicher Akteure im Netz frühzeitig erkannt und behindert werden.
Auf Facebook der Taliban-Gruppe beizutreten oder den islamistischen Dschihad zu "liken", könnte also bald gefährlich werden – denn das Pentagon liest mit.
Quelle: ntv.de