
Sieht sich als Kämpfer für die Arbeiter der Öl- und Gasbranche: Donald Trump.
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Keine Technologie hat in den vergangenen Jahren wohl mehr Aufmerksamkeit bekommen als Fracking. Die Methode zur Gewinnung von Erdgas und -öl machte die USA zu einem der größten Produzenten der Welt. Doch sie ist umstritten - und sorgt im Wahlkampfendspurt für Kontroversen.
Es gibt sie durchaus, die Windräder in Oklahoma und Texas. Doch es ist eine andere Technologie, die die Menschen in diesen traditionell konservativen US-Bundesstaaten bewegt: die Gewinnung von Erdgas und -öl mittels "hydraulic fracturing", kurz Fracking. Dank dieser Methode sind die USA zum größten Öl-Produzenten der Welt aufgestiegen. Hunderttausende Arbeitsplätze hängen daran. Aber der Preis ist hoch. Die Berichte und wissenschaftlichen Untersuchungen, die die Schattenseite des Fracking beleuchten, bleiben auch in den Vereinigten Staaten nicht ungehört: Verunreinigung des Trinkwassers, Luftverschmutzung durch freigesetztes Methan, kleinere Erdbeben, radioaktive Stoffe, die an die Oberfläche gespült werden. Die Liste ließe sich fortsetzen.
In dieses teuflische Gemisch begibt sich der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden - beziehungsweise wird er von seinem Kontrahenten, US-Präsident Donald Trump, dort hineingestoßen. Aktuell ist es ein Satz, der Biden scheinbar um die Ohren fliegt: "Ich würde mich von der Ölindustrie entfernen", sagt er, nachdem ihn Trump deswegen bei der TV-Debatte am Donnerstagabend bedrängt hat. "Die Ölindustrie sorgt für eine erhebliche Verschmutzung. Sie muss im Laufe der Zeit durch erneuerbare Energien ersetzt werden."
So weit, so verständlich, möchte man angesichts des menschengemachten Klimawandels und der weltweit von immer mehr Staaten forcierten Energiewende einwerfen. Doch Trump sieht darin ein "großes Statement". Wiederholt hat er Biden im Wahlkampf unterstellt, er wolle Fracking und eine Industrie, die in den vergangenen Jahren vielen Landstrichen und dessen Bewohnern enormen Wohlstand beschert hat, verbieten. Das stimmt so zwar nicht ganz, aber Biden ist offenkundig auch kein Fracking-Fan.
In einer Debatte während der Vorwahlen im März stimmte er einer Äußerung seines damaligen Kontrahenten Bernie Sanders zu. Sanders sprach sich dafür aus, Fracking so schnell wie möglich zu stoppen. Kurz darauf sagte Biden in derselben Debatte: "Nicht mehr ... kein neues Fracking." Später stellte sein Wahlkampfteam klar, dass der 77-Jährige gemeint habe, neue Fracking-Vorhaben zur Erdgas-Förderung einschränken zu wollen.
"Werdet ihr euch daran erinnern?"
Mittlerweile sagt Biden klipp und klar, gegen ein generelles Fracking-Verbot zu sein. Er wolle nur keine neuen Genehmigungen dafür mehr auf Flächen im Besitz des Bundes zulassen. Diese machen allerdings nur einen Bruchteil der Förderstätten aus. Für Trumps Wahlkampfteam sind die relativierenden Ansagen ein gefundenes Fressen. Unmittelbar nach der Debatte veröffentlichte der Präsident auf Twitter einen Zusammenschnitt mehrerer Videos, in denen - mit dramatischer Musik unterlegt - Biden und seine Kandidatin für das Vize-Amt, Kamala Harris, wiederholt Stellung gegen Fracking beziehen. Sie machen allerdings auch klar: Es geht nicht um ein sofortiges Verbot, sondern einen Übergang ("transition"), der Jahrzehnte dauern wird.
Bidens Ziel: Bis 2050 die Netto-Treibhausgas-Emissionen auf null zu setzen. Das ist nicht zwingend mit einem Ende des Frackings verbunden, sondern mit einem Weg hin zu mehr Wind- oder Solarenergie. Der Demokrat betont vielmehr, in die Verbesserung der Fracking-Technologie investieren zu wollen, damit etwa die dadurch verursachten Methan-Emissionen minimiert werden.
Trump nimmt diese Nuancen nicht wahr, spricht auch bei der TV-Debatte davon, Biden wolle die Ölindustrie und dadurch zig Arbeitsplätze vernichten. An die Zuschauer gewandt fragt er: "Werdet ihr euch daran erinnern Texas? Pennsylvania? Oklahoma? Ohio?" Die Staaten profitieren vom Fracking und gelten zum Teil als sogenannte "swing states", in denen es darauf ankommt, wechselwillige beziehungsweise unentschiedene Wähler vor der Stimmenabgabe zu überzeugen.
Knappe Mehrheit ist skeptisch
Ein genauerer Blick auf Pennsylvania lohnt sich. In dem Bundesstaat hängen rund 24.000 Arbeitsplätze an der Fracking-Industrie. Bei einer Wahlkampf-Rallye in dieser Woche sagte Trump der aufgebrachten Menge: "Joe Biden wird Fracking verbieten und die Energie aus Pennsylvania abschaffen." Doch ob diese bewusst verzerrenden Anschuldigungen verfangen, ist fraglich. Wie die Website "Vox" berichtet, liegt Biden in den Umfragen noch immer vor Trump. Zwar unterstütze eine deutliche Mehrheit der republikanischen Anhänger in dem Bundesstaat die Technologie. Doch eine knappe Mehrheit aller registrierten Wähler (52 Prozent) ist gegen Fracking.

Die Fracking-Industrie ist in Pennsylvania ein bedeutsamer Arbeitgeber - aber nicht unumstritten.
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Gerade in den Vorstädten macht sich Skepsis in der Bevölkerung breit. Doch genau jene sind für einen Wahlsieg Trumps besonders bedeutsam. Der Präsident wirbt vehement für deren Stimmen. Doch der enorme Aufwand bei der Bohrung - für die Ausbeutung der Rohstoffe sind viele kleinere, oftmals recht nah beieinander stehende Bohrtürme nötig - und die Infrastruktur, etwa die zahlreichen Pipelines für den Transport des Gases sowie etliche Lkws, die Wasser heranschaffen - sorgen für Unmut.
Im Unterschied zur Gewinnung von konventionellem Erdöl und -gas wird beim Fracking in unkonventionellen Lagerstätten wie Schiefergestein ein Mix aus Chemikalien und enorme Mengen Wasser in den Untergrund gepumpt. Nachdem vertikal und horizontal gebohrt wurde, kommt es zu einem hydraulischen Aufbrechen. Unter Hochdruck werden Wasser und Stabilisatoren beziehungsweise Stützmittel in das Gestein gepresst. Es wird dadurch aufgebrochen, Risse ("Fractures") entstehen. Durch diese kann Erdöl und Erdgas entweichen und durch das Bohrloch an die Oberfläche geleitet werden.
Mit Fracking gelingt es dementsprechend, Erdgas und Erdöl aus Lagerstätten, deren Ausbeutung im vergangenen Jahrhundert noch unprofitabel war, zu fördern. Doch die Methode ist umstritten. Die Fracking-Flüssigkeit besteht zwar zum überwiegenden Teil aus Wasser und Stützmitteln wie Sand oder Keramikperlen. Sie setzt sich zu einem geringen Prozentsatz allerdings aus Chemikalien zur Erhöhung der Zähflüssigkeit des Wassers (Viskosität) zusammen. Kritiker befürchten dadurch eine Verunreinigung des Trinkwassers. Hinzu kommt, dass damit ganz grundsätzlich an fossilen Brennstoffen - Treibern des Klimawandels - festgehalten wird.
Pennsylvania gehört neben Texas zu den größten US-Erdgasproduzenten. Doch grundsätzlich gilt in den Vereinigten Staaten: Der einstige Fracking-Boom, der vor rund zehn Jahren begann, ist längst vorbei. Die Industrie leidet unter zunehmender Unprofitabilität, weil zu viel gefördert wird und der Gas- und Ölpreis in den vergangenen Monaten zu niedrig war. Immer mehr Firmen verschulden sich. Die Zahl der Jobs nahm "Vox" zufolge in den vergangenen Jahren stetig ab.
Kritik auch aus den eigenen Reihen
Laut Nachrichtenagentur AP geben drei von vier Amerikanern bei Umfragen an, angesichts der Erderwärmung besorgt zu sein. Wenn es Biden gelingt, diese Sorgen mit einem angemessenen Plan zu mildern, dürfte ihm das bei der Wahl helfen. Die verbalen Attacken Trumps, Biden wolle Fracking auf der Stelle verbieten, könnten allerdings bei lokalen Akteuren und Betroffenen in der Industrie zunehmend Wirkung hinterlassen. Denn es ist eine vergleichsweise einfache Aussage im Gegensatz zu einer abstrakten Vision, die Biden verfolgt. Das Dilemma, in dem der Demokrat nun steckt, erinnert an die vehemente Verteidigung der Kohleindustrie in Deutschland, die auch so manchen Sozialdemokraten in regionaler Verantwortung dazu verführt, sich zu Statements pro fossiler Industrie hinreißen zu lassen.
Doch im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Hillary Clinton gelingt es Biden, die weiße Arbeiterschaft besser von sich zu überzeugen, schreibt die "Washington Post". Er vertritt einen moderateren Standpunkt, was die Zukunft der Öl-, Gas- und Kohleindustrie angeht. Er ist nahbarer, jemand, dem zugetraut wird, mit den Arbeitern auch mal ein Bier nach Feierabend zu trinken. Sein Team legt großen Wert darauf, mit Gewerkschaftsvertretern der Branche gute Kontakte zu pflegen.
Bei der TV-Debatte am Donnerstagabend richtet Biden zudem das Augenmerk weg von Arbeitsplätzen und Wohlstand, hin zu Gesundheit und Sicherheit. Es komme den Menschen, die in der Nähe von Kraftwerken, Fracking-Bohrstätten und Öl-Raffinerien leben, nicht darauf an, dass sie viel Geld verdienten. Es komme darauf an, dass sie nicht durch Giftstoffe in der Luft und anderes erkrankten. Ein Aspekt, auf den der Unternehmer Trump, der vor allem mit einer starken Wirtschaft Wähler überzeugen will, nicht eingeht.
Für seine Aussagen muss Biden auch Kritik aus den eigenen Reihen einstecken. Die demokratische Abgeordnete des Repräsentantenhauses, Kendra Horn, twitterte, dass sie mit ihm in dieser Frage nicht übereinstimme. "Wir müssen uns für die Öl- und Gasindustrie einsetzen." Es müsste ein Ansatz verfolgt werden, der sämtliche Energieträger berücksichtigt, kundenfreundlich ist, Energieunabhängigkeit berücksichtigt und Arbeitsplätze sichert. Horn stammt aus Oklahoma. Nach der Debatte sah sich Biden daher bemüßigt, noch einmal klarzustellen, dass er nicht vorhabe, fossile Energieträger zu verbieten. Er werde an ihnen "für eine lange Zeit" festhalten. Verfängt sein Ansatz, könnte er damit mindestens die Menschen in Pennsylvania überzeugen. Vor vier Jahren gaben sie noch mehrheitlich Trump ihre Stimme.
Quelle: ntv.de