Presseschau zu US-Wahlen "Biden entpuppt sich als egoistischer Greis"
19.07.2024, 10:51 Uhr Artikel anhören
Präsident Joe Bidens Alter und Gesundheit sind im US-Wahlkampf immer wieder Thema.
(Foto: picture alliance / zz/Dennis Van Tine/STAR MAX/IPx)
Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus erscheint immer wahrscheinlicher. Mehrere Zeitungen kommentieren mögliche Folgen einer zweiten Amtszeit des Republikaners. Ein Moskauer Blatt richtet seinen Blick auch auf Trumps nominierten Vizepräsidenten J.D. Vance.
Donald Trumps Wiederwahl zum US-Präsidenten im November sei fast sicher, schreibt die "Neue Zürcher Zeitung". "Biden, der vernünftige Staatsmann, der die USA nach vier Jahren des Tumults befriedete, entpuppt sich als egoistischer Greis. Mit jeder Faser klammert er sich an die Macht, die ihm deshalb nur umso gewisser entgleitet. Er nötigt zwar niemanden zu Rechtsbeugung und Wahlfälschung, aber er kann genauso wenig wie Trump von dem Amt lassen. Je länger das unwürdige Spektakel dauert, je verbissener er auf seiner physischen und geistigen Stärke beharrt, umso ähnlicher wird Biden seinem Vorgänger und mutmaßlichen Nachfolger. Wer von beiden das größere Übel ist, scheint unklarer denn je. Trump, der Kraft und Männlichkeit zelebriert und damit längst eine Karikatur seiner selbst abgibt, fällt ebenfalls ein ungewohnter Part zu. Er ist das Opfer. Mag er, blutbeschmiert und mit der amerikanischen Flagge als Gloriole, noch so kämpferisch die Faust ballen, es bleibt ein Moment der Schwäche und Verletzlichkeit. In einem Zeitalter, in dem sich beinahe jeder als Opfer sieht, kann Trump daraus Kapital schlagen".
US-Präsident Joe Biden scheine die Wahrheit aber zu leugnen und sich der Schwere der Krise um seine Kandidatur nicht bewusst zu sein, kommentiert die "Washington Post". "Der Parteitag geht ein großes Risiko ein, in dem er so tut, als hätte sich nichts geändert - und die Sorgen der Wähler als weder legitim noch dringlich behandelt. Schon vor der TV-Debatte (mit Herausforderer Donald Trump) weigerte sich Biden, Umfragen anzuerkennen, die zeigten, dass er in den meisten Swing States hinter Trump lag. Diese Verleugnung hat sich nur noch verstärkt".
Die spanische Zeitung "La Vanguardia" beleuchtet am Donnerstag die möglichen Folgen einer zweiten Amtszeit Trumps als US-Präsident. "Die Meinungen darüber, wie viel Schaden Trump den USA zufügen kann, sind geteilt, nicht aber darüber, wie sehr er der liberalen Demokratie, insbesondere Europa, und den multilateralen Institutionen schaden wird. Trump wird höchstwahrscheinlich auf die Kapitulation der Ukraine drängen, dem Land nur noch wenig (oder gar keine) Hilfe mehr zukommen lassen und die EU mit der heißen Kartoffel eines zerstörten Landes konfrontieren, das sich in Europa integrieren will, aber mit nur zweifelhaften Sicherheitsgarantien. Die Frage ist, was die EU tun sollte. Es heißt, dass sie nur in Krisenzeiten Fortschritte macht. (...) Die Zukunft Europas ist heute unsicherer, und es braucht mehr Integration und gemeinsame Politiken, aber Macron ist gescheitert, in Deutschland gibt es keine Führung, und die extreme Rechte ist in den europäischen Institutionen vertreten. Die politische Mitte muss reagieren."
Auch das "Wall Street Journal" sieht Gefahren bei einer möglichen Wiederwahl Trumps. "Ein Risiko, und es ist ein großes, besteht darin, dass die Republikaner unter Trump keine politische Philosophie mehr haben, die über das hinausreicht, was im Kopf des ehemaligen Präsidenten vorgeht. Das Wirtschaftsprogramm der Partei ist eine widersprüchliche Mischung aus Steuersenkungen und Zollerhöhungen. (...) Er will die Kriege im Ausland beenden, hat aber keine konkreten Vorschläge gemacht, wie er das erreichen will. (...) Das andere Risiko besteht darin, dass Trump eine Agenda der Vergeltung verfolgt. Wenn er das tut, wird seine zweite Amtszeit schnell in Grabenkämpfe und Polarisierung übergehen, was wahrscheinlich zu einer Niederlage der Republikaner bei den Zwischenwahlen und einem weiteren Amtsenthebungsverfahren führen wird."
Die Moskauer Tageszeitung "Nesawissimaja Gaseta" richtet den Blick nicht nur auf den US-Präsidentschaftskandidaten, sondern auch auf Trumps nominierten Vize J.D. Vance. "Mit Blick auf Trumps Alter, die Strafprozesse gegen ihn und schließlich darauf, dass es in den USA sogar zu Schüssen auf den Präsidentschaftskandidaten gekommen ist, ist es viel wahrscheinlicher geworden, dass Vance Staatschef wird. 'Wir werden nicht mehr Wall Street dienen. Wir werden dem arbeitenden Menschen dienen', sagte er. (...) Man kann sagen, dass die Rede des Vizepräsidentenkandidaten alle Programmpunkte der neuen trumpistischen Republikanischen Partei enthielt. Sie positioniert sich jetzt als Beschützerin der einfachen Leute, die unter der misslungenen Handels-, Wirtschafts- und abenteuerlichen Außenpolitik derer gelitten haben, die Vance die "herrschende Klasse" nannte. Das ist neu für die Republikaner. Denn die Rolle als Beschützerin der Arbeiterklasse in den USA haben bislang die Demokraten beansprucht, vor allem ihr linker Flügel."
Quelle: ntv.de, lar/dpa