"Plötzlich schwarz geworden" Genervter Trump empört Harris und fällt seinen Anhängern in die Arme
01.08.2024, 07:57 Uhr Artikel anhören
Lässt sich von der Menge feiern: Donald Trump am Mittwochabend
(Foto: REUTERS)
Im so wichtigen Bundesstaat Pennsylvania zeigt Trump, wie er Harris im November besiegen will: Er schimpft auf Einwanderer, schiebt alle Schuld auf die Vizepräsidentin und warnt vor den wirtschaftlichen Folgen eines "kommunistischen Landes". Die Rettung? Er selbst.
Es kracht und staubt auf dem riesigen Schrottplatz neben den Eisenbahnschienen. Ein meterhohes Ungetüm frisst Stahl und presst ihn zusammen, Geruch nach Verbranntem zieht bis nah an die Veranstaltungshalle in Harrisburg heran, wo schon Flaggen mit Donald Trumps Namen im Wind flattern. Unter einem Agrar-Relief in Art déco schieben sich an diesem Mittwochnachmittag die Menschen durch die Metalldetektoren ins Innere.
Der Präsidentschaftskandidat der Republikaner wird später auftreten, das erste Mal im Bundesstaat Pennsylvania nach dem Attentat; deshalb auch nicht auf offener Bühne, sondern im Innern, mit rund 8000 Menschen. Pennsylvania, südwestlich von New York gelegen und Teil des sogenannten Rostgürtels, ist für die Präsidentschaftswahl besonders wichtig: Wer hier gewinnt, hat wesentlich höhere Chancen aufs Weiße Haus.
Zweieinhalb Wochen sind seit dem Attentat auf Trump vergangen. Es folgte der Parteitag der Republikaner, wo sich der Ex-Präsident und sein dort präsentierter Vizekandidat J.D. Vance so siegessicher zeigten. Gegen Joe Biden würde der Wahlkampf fast ein Spaziergang, so die einhellige Meinung in Milwaukee. Doch Biden verzichtete auf seine Kandidatur, Kamala Harris rückte nach als nahezu sichere Kandidatin der Demokraten - und stellte die ganze schöne konservative Kuschelwelt auf den Kopf. Die Umfragen zeigen: Jetzt ist es tatsächlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen in Richtung November. Hat sich Trump bereits darauf eingestellt? Wie geht er mit seiner neuen Kontrahentin um?
Die Halle füllt sich, aber nach einer Reihe von Kongressabgeordneten, die Trump preisen, lässt der länger als eine Stunde auf sich warten. Die Bildregie zeigt Screenshots von zwei älteren Meldungen über Harris, die sie als "erste indisch-amerikanische Senatorin" bezeichnen. Der Hintergrund ist jedoch tagesaktuell. Trump war zuvor in Chicago beim nationalen Verband Schwarzer Journalisten, wo er einen kleinen Skandal auslöst: Er stellt Harris' ethnische Herkunft infrage und sagt auf eine entsprechende provokative Frage, es könne sein, dass sie sich aus politischem Kalkül als Schwarze bezeichnet.
Er habe nicht gewusst, dass Harris schwarz sei, "bis sie vor einigen Jahren plötzlich schwarz wurde", sagt Trump weiter. "Also ich weiß es nicht: Ist sie indisch oder ist sie schwarz?" Er respektiere beides, doch Harris selbst tue es angesichts ihrer "Kehrtwende" offenbar nicht. "Ich glaube, das sollte sich jemand anschauen." Trump zeigt sich von den Fragen der Journalistin genervt. Die Sprecherin des Weißen Hauses wird die Äußerungen später scharf kritisieren, Harris sie als "spaltend und respektlos" bezeichnen. Sie hat eine indische Mutter und einen jamaikanischen Vater. Die Republikaner und Trump hoffen, wesentlich mehr Schwarze bei der Wahl von sich überzeugen zu können als 2020, als diese sich mit überwältigender Mehrheit für die Demokraten entschieden hatten.
Heimspiel in Harrisburg
Trump hat also einen langen Tag hinter sich, als er sich in Harrisburg endlich zeigt und auf den roten Bühnenteppich tritt. Die Tausenden Anhänger reißt es vor Begeisterung von den Sitzen, sie halten Schilder mit "NEVER SURRENDER" hoch, niemals aufgeben. Der Ex-Präsident nimmt sich alle Zeit der Welt; winkt, drückt seinen Dank aus, wartet, bis die Musik zu Ende ist. Schon bei Trumps Vorrednern war klar geworden: Die Wahlkämpfer haben die erste Überraschung überwunden und sind nun besser eingestellt auf Harris. Über die sagt Trump nach ein paar einleitenden Worten: "Ich kann nicht gesteuert werden; anders als sie." Die Anwesenden sind begeistert.
Es ist eine kleine thematische Neuauflage für Trump: Was der "Sumpf von Washington" war, ist nun das Establishment, vertreten von Harris, die eine von Geldgebern installierte Marionette sei. Er hingegen kämpfe "bis zum letzten Atemzug" für die Menschen, obwohl er es gar nicht nötig hätte. Er macht sich über Harris' Telefonat mit den Obamas lustig, als diese der Vizepräsidentin ihre Unterstützung versicherten, und macht die gespielte Überraschung nach. "Waren die vier Kameras zufällig im Raum?!" Das Publikum amüsiert sich über die Komiker-Einlage. Eineinhalb Stunden wird das so gehen, Trump wird politischere Teile vom Teleprompter im leiernden Ton ablesen, aber vor allem improvisieren, plaudern und den Alleinunterhalter geben.
Trump hat an diesem Abend ein Heimspiel in der Arena von Harrisburg, er wirkt geradezu entspannt nach dem konfrontativen Interview früher am Tag. Er wird nicht infrage gestellt, sondern bejubelt. Trumps Angriffslinien sind hingegen deutlich: Harris sei eine "radikale linke Verrückte", viel schlimmer (also linker) als Biden, verantwortlich für die historisch hohen Einwandererzahlen an der Südgrenze zu Mexiko, die Inflation und immer höheren Lebenshaltungskosten. Und nun wolle sie Steuern erhöhen, illegale Einwanderer in die Sozialversicherung aufnehmen und sie damit zerstören, die privaten Krankenversicherungen abschaffen und allen vorschreiben, dass sie ein Elektroauto fahren müssten.
"Größte Abschiebeaktion der Geschichte"
Der Kandidat der Republikaner warnt: Pennsylvania werde in eine wirtschaftliche Depression rutschen. Unter anderem deshalb, weil Harris das Fracking verbieten wolle. Der Bundesstaat war der Ausgangspunkt für den Boom der Fördertechnik für Gas. "Falls sie gewinnt, seid ihr am Arsch." Harris hatte sich vor vier Jahren für einen Förderstopp ausgesprochen, inzwischen aber ihre Position geändert. Den meisten Jubel erntet Trump, wenn es um die Grenze geht, die illegale Einwanderung, die er beenden wolle. "Wenn ich gewählt werde, werden wir am ersten Tag mit der größten Abschiebeaktion in der amerikanischen Geschichte beginnen", tönt er unter tosendem Applaus.
Als sich die Rede dem Ende zuneigt, verlassen immer mehr die Halle. Davor warten schon die Händler mit den Fahnen, den Fanartikeln wie T-Shirts. Für zehn US-Dollar gibt es das Foto des Attentats mit "FIGHT, FIGHT, FIGHT", oder "TRUMP STRONG", "Du hast vorbeigeschossen" oder einfach: "Nein zur Schlampe", kombiniert mit einem Foto von Harris. Drinnen bedankt sich Trump und fängt an, zu dem alten Soulklassiker "Hold On, I'm Comin'" von Sam and Dave zu klatschen: "Stütze dich auf mich, wenn die Zeiten schlecht sind / Wenn der Tag kommt und du niedergeschlagen bist / In einem Fluss voller Probleme und kurz davor zu ertrinken / Halte einfach durch, ich komme / Halte durch, ich komme".
Quelle: ntv.de