US-Wahl 2024

Unkalkulierbarer US-Präsident Ukrainer sehen auch Chancen im Wahlsieg von Trump

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Donald Trump (r.) hat Wolodymyr Selenskyj immer wieder als Bittsteller dargestellt.

Donald Trump (r.) hat Wolodymyr Selenskyj immer wieder als Bittsteller dargestellt.

(Foto: picture alliance / abaca)

Die USA sind der größte Waffenlieferant der Ukraine und sichern somit deren Überleben. Weil Donald Trump sich in der Vergangenheit ablehnend zu den Hilfen geäußert hat, fallen die Reaktionen auf seinen Wahlsieg in Kiew verhalten aus. Es herrscht aber nicht nur Pessimismus.

Monatelang hat die ukrainische Staatsführung mit aller Kraft versucht, mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahl so neutral wie möglich zu wirken. Und so war es an diesem Mittwoch kaum überraschend, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Donald Trump zu seinem Wahlsieg gratulierte, sobald dieser bekannt wurde.

Sowohl Selenskyj als auch sein mächtiger Stabschef Andrij Jermak erinnerten an das "wunderbare" Treffen mit Trump Ende September, welches jedoch lange auf der Kippe stand und erst in letzter Sekunde zustande gekommen war. "Ich schätze das Engagement des Präsidenten Trump für den Ansatz Frieden durch Stärke bei globalen Angelegenheiten", betonte das ukrainische Staatsoberhaupt. Dies unterstrich Jermak, der daran erinnerte, dass Selenskyj und Trump während der ersten Amtszeit Trumps gute Arbeitsbeziehungen pflegten.

Doch obwohl es in Kiew während des US-Wahlkampfes niemand öffentlich oder auch im Hintergrund sagte, ist es ein offenes Geheimnis: Die Ukraine hat sich ein anderes Wahlergebnis gewünscht. Auch wenn man von der Strategie des bisherigen Präsidenten Joe Biden, bei aller Dankbarkeit für die geleistete Hilfe, alles andere als begeistert war. "Genug, um nicht zu sterben, zu wenig, um zu siegen", hieß es oft in Kiew. Im Falle des Sieges der jetzigen Vizepräsidentin Kamala Harris wäre diese Linie wohl fortgesetzt worden.

Greift Trump bei Scheitern von Diplomatie durch?

In der Ukraine gibt es Stimmen, die sich im Falle des Scheiterns der wohl zu erwartenden diplomatischen Bemühungen Trumps mit dem Kreml eine härtere Linie gegenüber Russland als unter Biden erhoffen. Der Konsens bleibt jedoch: Trump sei ein viel zu großes Risiko für Kiew - und das einzig Gute an seinem Sieg sei, dass der Wahlkampf endlich vorbei sei und nun Klarheit in Bezug auf die Präsidentschaft herrsche.

Denn neben der riskanten Gesprächsaufnahme mit Moskau erwartet Kiew von Trump vor allem zwei Dinge: Dass er die Ukraine-Hilfen völlig streicht, ist unwahrscheinlich. Dass konkrete Finanzhilfen gänzlich gestrichen werden und Militärhilfen zukünftig als Kredit, nicht mehr als Schenkung gewährleistet werden, dürfte dagegen nahezu unausweichlich sein.

"Die Welt ist wieder mal falsch abgebogen", schreibt der berühmte Star-Banker Serhij Fursa. "Putin feiert, Orban feiert, Musk öffnet eine Flasche Sekt. Das Einzige, was einen freut: Die Erwartungen an Trumps Präsidentschaft, vor allem im Bezug auf die Ukraine, sind so schlecht, dass es nicht sehr schwierig sein wird, sie zu übertreffen." Zumindest in dieser Hinsicht könnte die Ukraine eine positive Überraschung erwarten.

"Was wir nicht ändern können, muss akzeptiert werden - und wir müssen lernen, damit zu leben", sagt Jaroslaw Jurtschschyschyn, Parlamentsabgeordneter von der nationalliberalen Partei Stimme. "Es kommt eine Administration, für die gewöhnlich ist, den Schwanz gänzlich zu hacken und nicht in kleine Stücke zu schneiden, damit die Katze weniger Schmerzen hat." Daher sei es für die Ukraine wichtig, alles zu unternehmen, damit der russische und nicht der ukrainische Schwanz gehackt wird.

Unvorhersehbarkeit als Chance

"Es ist keine Katastrophe", sagt Oleksandr Krajew, der das Nordamerika-Programm von Ukrajinska Prisma, dem ukrainischen außenpolitischen Rat, leitet. "Wir hatten bei dieser Wahl keine wirklich bessere oder schlechtere Option. Es gab eine riskantere und eine weniger riskante Option." Donald Trump sei dabei eindeutig die erstere.

"Trump bedeutet Instabilität und Unvorhersehbarkeit - aber nicht ausschließlich im negativen Kontext", setzte Krajew fort. "Er könnte uns tatsächlich unerwartet alles geben. Oder eben auch die Waffenlieferungen stoppen, falls er plötzlich vergessen sollte, wo wir uns überhaupt auf der Karte befinden." Die Ukraine müsse nun sehr klar und deutlich verstehen, wie man sich für bilaterale Beziehungen mit den USA aufstellen sollte.

"Wir müssen uns im Klaren sein, dass die Diplomatie mit Washington jetzt zweigleisig wird", betonte Krajew weiter. "Es wird weiterhin die offizielle Diplomatie geben: Botschaften, parlamentarische Diplomatie, Ministerien. Sehr wichtig wird aber die persönliche Diplomatie zwischen Selenskyj und Trump." Es sei gut möglich, dass der zweite Weg aktiver und wichtiger werden könnte. Daher sei die wichtigste Folge der US-Wahl für das politische Kiew: Es gebe ab jetzt noch mehr Arbeit als zuvor.

Von Moskau erhofftes Chaos ist nicht eingetreten

Julija Sabelina, die gut informierte politische Journalistin der Zeitschrift NV, die des Öfteren in den USA unterwegs ist, sieht in Trump ebenfalls keine Katastrophe für die Ukraine und schaut auf seine Amtszeit insgesamt optimistischer als die meisten ukrainischen Experten. "Für die Ukraine bedeutet sein Sieg vor allem Veränderungen - sowohl im Inneren, was einige Personalfragen wie zum Beispiel die Person der Botschafterin in Washington anbetrifft, als auch nach außen - und in der Kommunikation", schreibt sie. "Ich habe insgesamt aber ganz ruhige Gefühle - nicht nur, weil ich diesen Sieg erwartet habe. Er ist deswegen keine Katastrophe, weil es Verständnis gibt, wie man mit Trump umgehen sollte. Aber es wird nicht einfach. Doch nicht einfach wäre es in beiden Fällen gewesen."

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Der Star-Publizist Witalij Portnykow ist vom Sieg Donald Trumps alles andere als begeistert. Dieser vertrete, anders als Kamala Harris, keine politischen Werte. Auf eine gewisse Art und Weise sieht er jedoch sogar einen "sehr schlechten Tag" für den Kreml: "Denn Moskau rechnete weniger mit dem Sieg eines der Kandidaten, sondern mit dem Chaos, das durch den Wahlkampf und die Auszählung der Stimmen entstehen sollte. Und die ganze russische Propaganda betonte stets, dass es Chaos geben würde", sagte er. "Aber es herrschte kein Chaos. Schließlich zweifelt niemand daran, wer die Wahl gewonnen hat."

Dass beide Kammern des US-Kongresses wohl an die Republikaner gehen, sieht Portnykow als Chance, dass eine Situation wie bis April 2024 verhindert werden kann, als die Ukraine-Hilfen monatelang wegen der Krise im Repräsentantenhaus ausgesetzt wurden. Doch dafür braucht es den politischen Willen Donald Trumps, die Unterstützung überhaupt fortzusetzen, was nicht gesichert ist.

Quelle: ntv.de

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