Politik

Fluchtroute für Putins Truppen? Russen errichten Schwimmbrücke bei Cherson

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Bislang nutzten die Russen bei Cherson eine Fähre zur Überquerung des Dnipro.

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Der Vormarsch der ukrainischen Streitkräfte auf Cherson verschärft die Lage von Moskaus Verbänden in der Region. Nun zeigen Satellitenbilder nahe der Stadt eine getarnt angelegte Pontonbrücke über den Dnipro. Will Russland darüber seine Truppen evakuieren?

Im Süden der Ukraine haben russische Truppen eine Pontonbrücke bei der besetzten Stadt Cherson errichtet. Das belegen von ntv.de verifizierte Satellitenbilder, auf denen eine Konstruktion im Schatten der Antoniwkabrücke zu erkennen ist. Die Aufnahmen stammen vom 18. Oktober. Demnach wurde der Übergang innerhalb kürzester Zeit im Schutz der beschädigten Betonbrücke errichtet. Der Sicherheitsexperte Tim Ehrhart veröffentlichte auf Twitter zwei Satellitenfotos, die zeigen, wie ein Lastkahn die letzten Pontonteile in Position bringt. Im Netz kursieren zudem weitere Fotos, auf denen die vertäute Schwimmbrücke im Schatten der Antoniwkabrücke aus seitlicher Perspektive zu sehen ist.

Der heimliche Bau einer gut getarnten Ersatzbrücke wirft zahlreiche Fragen auf: Für die russischen Kräfte in der Region wird die Lage aufgrund der seit Wochen laufenden ukrainischen Gegenoffensive immer brenzliger. Am Vorabend war plötzlich von einer "Evakuierung" der Zivilbevölkerung die Rede, am Vormittag dann verkündeten die Besatzungsbehörden ihren vollständigen Rückzug aus der Stadt.

Das Ausmaß des russischen Rückzugs ist noch unklar. Verwaltungschef Wladimir Saldo teilte zum Beispiel mit, die russische Armee werde in Cherson "bis zum Tod" kämpfen. Bereits gestern sprach der neue russische Oberbefehlshaber in der Ukraine, General Sergej Surowikin, von einer schwierigen Lage in dem Frontabschnitt. "Wir werden bedacht und rechtzeitig handeln und schließen auch schwierige Entscheidungen nicht aus", sagte der General, im Fernsehen. Details nannte er nicht.

Cherson liegt am Westufer des Flusses Dnipro. Das erschwert die Verteidigung der Stadt für Moskaus Militärplaner. Denn Nachschub und Verstärkungen müssen erst über den Strom gebracht werden, der auf Höhe der Antoniwkabrücke gut 940 Meter breit ist. In den vergangenen Wochen hatte die ukrainische Artillerie immer wieder die von den Russen gehaltenen Übergänge über den Dnipro unter Feuer genommen, darunter auch die strategisch wichtige Antoniwkabrücke bei Cherson.

Seit Ende Juli griff Russland daher auf ein Fährsystem zurück, um seine Truppen am westlichen Ufer zu versorgen. Über die nun errichtete Pontonbrücke könnte Moskau zum einen schweres Militärgerät an die Front am Westufer befördern oder aber Truppen aus dem Brückenkopf ans östliche Ufer evakuieren.

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In Reichweite ukrainischer HIMARS-Raketen: Die Antoniwka-Brücke bei Cherson.

(Foto: Kartendaten: © OpenStreetMap-Mitwirkende, SRTM | Kartendarstellung: © OpenTopoMap (CC-BY.SA))

Laut dem österreichischen Oberst und Militärexperten Markus Reisner ist die Gegenoffensive bei Cherson für die Ukraine wichtiger als die Operationen im Osten des Landes. Im Fall eines etwaigen Misserfolgs könnten die Russen im Frühjahr aus dem Brückenkopf am westlichen Dnipro-Ufer heraus neue Angriffe starten und versuchen, die Ukraine zu einem Binnenland zu machen, erklärte Reisner bei ntv.

Ähnlich äußerte sich auch der Sicherheitsexperte Carlo Masala. "Wenn die Ukraine Cherson zurückerobern sollte, würde sie die Russen zurück über den Dnipro schicken", sagte Masala kürzlich im "Stern"-Podcast "Ukraine - die Lage". "Russland könnte dann keine Landbrücke zwischen dem Osten und dem Süden bis runter zur Krim schaffen. Gleichzeitig würde die Eroberung von Odessa fast völlig unmöglich werden." Für die russischen Streitkräfte hätte das eine "massive Niederlage" zur Folge, die sich auch "zu Hause nicht mehr verschweigen" ließe.

(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 19. Oktober 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de, jpe/mmo

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