NATO-kompatibler Umbau Ukraine stellt Einkauf beim Militär um
15.12.2024, 01:58 Uhr Artikel anhören
Nach Korruptionsskandalen soll der ukrainische Verteidigungsminister Umerow die Rüstungsbeschaffung neu organisieren.
(Foto: via REUTERS)
Um der NATO beizutreten, muss Kiew nicht nur politische Hürden überwinden. Auch die Korruption bei der Beschaffung von Rüstungsgütern ist ein Hindernis. Eine neue Behörde soll Transparenz schaffen, doch viele Mitarbeiter fremdeln mit der Digitalisierung.
Eine neue Behörde ist die Antwort der ukrainischen Regierung auf eine ausufernde Korruption bei der Beschaffung von Militärgütern: Das ukrainische Verteidigungsministerium stellte im vergangenen Jahr das Amt für Einkäufe der Streitkräfte vor. Es soll auch zum Reformmotor auf dem Weg zur NATO-Mitgliedschaft werden.
Zuständig ist das Institut mit dem Namen Staatlicher Logistikdienstleister (auf Ukrainisch abgekürzt als DOT) für die Anschaffung nicht-letaler militärischer Güter wie Lebensmittel, Kleidung und Treibstoff. Man habe bereits die Verträge für 95 Prozent der angeforderten Produkte geschlossen und dabei 25 Prozent eingespart, sagt der Behördenleiter Arsen Schumadilow. Bald werde die DOT auch mit der Beschaffung von Drohnen beginnen.
Die Behörde ist ein Beispiel für die Art von Reformen, von denen sich die Ukraine erhofft, dass sie den Weg in Richtung NATO als wichtigem Abschreckungsinstrument gegen Russland freimachen. Die Mitgliedschaft in der Allianz bleibt weitgehend eine politische Frage. Wichtige Staaten sind zögerlich, da sie eine Eskalation seitens Moskau befürchten. Westliche Staats- und Regierungsspitzen warten zudem mit Spannung die Vereidigung des designierten US-Präsidenten Donald Trump ab, bevor sie in der Frage eine Erklärung abgeben. Doch NATO-Vertreter haben auch weitreichende Anti-Korruptionsmaßnahmen gefordert, bevor Kiew beitreten kann.
Tief verwurzelte Probleme
Für viele in den postsowjetischen Institutionen des Landes sind die Veränderungen eine bittere Pille. Die vielversprechenden Ergebnisse der DOT stehen bislang in scharfem Kontrast zu den tief verwurzelten Problemen, die die Amtszeit von Verteidigungsminister Rustem Umerow prägen. Dazu gehören nur schleppende Fortschritte beim Umbau der Institution und anhaltende Vorwürfe von Korruption bei der Beschaffung letaler Waffen.
Westliche Regierungen beobachten die DOT sehr genau, wie AP aus Diplomatenkreisen erfuhr. Bislang seien sie mit den Ergebnissen im ersten Jahr seit Gründung der Behörde zufrieden. Diese steht vor besonderen Herausforderungen: Ihr Büro strahlt eine frische Start-up-Atmosphäre aus, dient aber einem der starrsten Ministerien des Landes. Der Kontrast unterstreicht den Geist, in dem der russische Krieg in der Ukraine geführt wird, wo moderne Drohnen und Schützengräben nach Art des Zweiten Weltkriegs aufeinandertreffen.
"Uns ist klar, dass wir auf dem Radar der NATO, der G7-Staaten, aller NATO-Mitgliedsstaaten sind in Hinblick darauf, ob es uns gelingt, ein Beschaffungssystem zu implementieren, das resilient, effektiv und effizient und nicht korruptionsanfällig ist", sagt Schumadilow.
Wechsel im Verteidigungsministerium
Nicht-letale militärische Anschaffungen standen im Mittelpunkt von zwei Korruptionsskandalen unter Führung des vorherigen Verteidigungsministers Olexij Resnikow. Im ersten ging es um überhöhte Preise für Lebensmittelvorräte, im zweiten um Winterjacken von minderwertiger Qualität.
Resnikows Nachfolger Umerow beschrieb die DOT nicht nur als neue Behörde, sondern als Beginn eines neuen Systems im öffentlichen Auftragswesen des Verteidigungssektors. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Umerow speziell damit beauftragt, in der seit jeher von Korruption durchzogenen öffentlichen Beschaffung für mehr Transparenz zu sorgen.
Der einflussreiche, als Reformer bekannte Schumadilow wurde wegen seiner bisherigen Erfolgsbilanz als Chef der DOT ausgewählt. Er hatte zuvor die Beschaffung für Medizinbedarf geleitet. Über die Wand der neuen Behörde erstreckt sich ein von der hauseigenen Marketingabteilung entworfenes Moodboard. Nebeneinander hängen Fotos eines Militärfahrzeugs, einer gewundenen Straße durch den Dschungel, einer Drohne im Kampf, eines flauschigen Hundewelpen, eines Zauberwürfels und einer Designerkerze. Die Beschäftigten tragen Oversize-Hoodies und T-Shirt - ein Kontrast zu den Militäruniformen des Ministeriumspersonals.
Mitarbeiter verweigern das Smartphone
Das Instrument der Behörde zur Erhöhung der Transparenz ist das IT-System DOT-Chain, das den gesamten Beschaffungsprozess digitalisiert, von der Einreichung der Anträge bis zur Ausstellung der Rechnungen. Das größte Digitalprojekt der Einrichtung wurde von IT-Fachleuten der DOT entwickelt und könnte die Lieferzeit um das Vierfache verkürzen. Vorerst wird es nur die Lebensmittelbeschaffung umfassen, doch Schumadilow plant eine Ausweitung. Verteidigungsminister Umerow hat eingeräumt, dass die Beschaffung im Bereich der Verteidigung in der Ukraine seit Jahren von Korruption durchzogen sei. Der Staat müsse den "sowjetischen, oligarchischen" Umgang mit öffentlichen Geldern beenden, sagte er.
Doch das ist leichter gesagt als getan. Laut Schumadilow stößt die DOT noch immer auf Widerstand bei Ministeriumsbeschäftigten, die in alten Gewohnheiten verharren. "Wir versuchen, offen zu sein zu unseren Kollegen im Verteidigungsministerium und bei den Streitkräften der Ukraine, aber zugleich, und das ist auch eine gute Nachricht, sind wir eine autonome Behörde innerhalb eines größeren Ökosystems und können hier unsere eigene Kultur pflegen", sagt er.
DOT-Chain beispielsweise, das die Bürokratie bei der Armee eindämmen soll, wird nach wie vor von Beschäftigten abgelehnt, die lieber Tausende Dokumente pro Woche unterzeichnen, als auf ein Smartphone zu klicken. "Sie sagen, das brauchen wir nicht. Wir wollen weiter auf Papier unterschreiben", erklärt Schumadilow. "Wir antworten ihnen: Schauen Sie sich die schiere Menge an Papieren an, die Sie jede Woche unterschreiben - das ist einfach nicht nachhaltig."
Quelle: ntv.de, mau/AP