Wegen "überbelegter Gefängnisse" Ungarn lässt rund 1500 Menschenhändler frei
23.08.2023, 17:43 Uhr Artikel anhören
Beobachter sehen in der Freilassung eine ungarische Vergeltungsmaßnahme gegen Brüssel aufgrund des anhaltenden Streits um die europäische Migrationspolitik.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Insgesamt 2600 Menschenhändler sitzen in ungarischer Haft. Mehr als die Hälfte der Inhaftierten entlässt die Regierung nun in ihre Heimatländer - mit der Aufforderung, die restliche Strafe dort abzusitzen. Eine dahingehende Kontrolle gibt es jedoch nicht. Brüssel ermittelt bereits wegen Vertragsverletzung.
Ungarn hat in den vergangenen vier Monaten offiziellen Angaben zufolge 1468 wegen Menschenhandels verurteilte Strafgefangene freigelassen. Die "Inhaftierten ausländischer Nationalität" seien aus der Haft entlassen worden, erklärte die nationale Strafvollzugsbehörde gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Budapest hatte die Freilassung inhaftierter Menschenschmuggler bereits Ende April beschlossen - und dies mit einer Überbelegung der Gefängnisse im Land begründet. Die EU-Kommission leitete daraufhin Mitte Juli ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Budapest ein.
Die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban hatte beschlossen, einen Teil der insgesamt 2600 in Ungarn wegen Menschenhandels Verhafteten freizulassen, ein Großteil von ihnen stammt aus Nachbarstaaten wie Rumänien, Serbien und der Ukraine. Das entsprechende Regierungsdekret enthält die Aufforderung an die Freigelassenen, das ungarische Staatsgebiet nach der Haftentlassung "binnen 72 Stunden" zu verlassen, um den Rest ihrer Strafe in ihrem Heimatland zu verbüßen.
Der EU-Kommission zufolge sieht das Dekret jedoch keinerlei Kontrolle durch Ungarn vor, ob die Freigelassenen nach dem Verlassen des Landes tatsächlich ihre Strafe in ihren Heimatländern absitzen. Österreich hatte verärgert auf die Bekanntgabe der Haftentlassungen reagiert, die Grenzkontrollen verschärft und den ungarischen Botschafter in Wien einbestellt.
Beobachter sehen in der Freilassung eine ungarische Vergeltungsmaßnahme gegen Brüssel aufgrund des anhaltenden Streits um die europäische Migrationspolitik. Der stellvertretende ungarische Innenminister Bence Retvari hatte erklärt, sein Land habe die Entscheidung "treffen müssen", da die EU sich nicht an den Kosten für die Inhaftierung von Menschenhändlern oder den Bau neuer Gefängnisse beteilige.
Quelle: ntv.de, lno/AFP