Massenproteste in Ostrussland Unmut über Putin hält an
21.07.2020, 20:52 Uhr
Die Demonstrationen in Chabarowsk sind die größten und längsten, die es in der russischen Provinz unter Putin je gegeben hat.
(Foto: picture alliance/dpa)
Nach der Verhaftung des Gouverneurs von Chabarowsk ernennt Russlands Präsident Putin einen Übergangsnachfolger. Doch damit beruhigt sich die Lage nicht, die Menschen in Ostrussland demonstrieren weiter. Ihre Wut richtet sich auch gegen Moskau.
Die Massenproteste im äußersten Osten Russlands gehen auch nach dem Einsetzen eines neuen Gouverneurs durch Kremlchef Wladimir Putin weiter. "Schande!" und "Freiheit, Freiheit!", riefen Menschen in Sprechchören in der Großstadt Chabarowsk, wie auf Videos aus der Region zu sehen war. Sie forderten den von Moskau übergangsweise eingesetzten Gouverneur Michail Degtjarjow auf, in die Hauptstadt zurückzukehren.
Die sibirische Region Chabarowsk kommt seit der Verhaftung des Gouverneurs Sergej Furgal nicht zur Ruhe. Die Demonstranten halten das Vorgehen der Justiz gegen den Politiker für politisch motiviert. Furgal gilt als vom Machtapparat in Moskau unabhängiger Politiker, der 2018 die Wahl gegen den Kandidaten der Kremlpartei Geeintes Russland gewonnen hatte. Präsident Putin hatte den Gouverneur am Montag entlassen und den Parlamentsabgeordneten Degtjarjow übergangsweise zum Gouverneur ernannt. Der 39-Jährige ist wie der inhaftierte Furgal Mitglied der systemtreuen Liberaldemokratischen Partei Russlands (LDPR).
Experten in Moskau nannten Degtjarjow die schlechteste mögliche Wahl. In Moskau hatte er bei der Bürgermeisterwahl 2013 rund 2,86 Prozent der Stimmen geholt. Russische Medien bezeichneten ihn als einen "Troll", der in der Staatsduma durch seltsame Initiativen aufgefallen sei. Degtjarow wollte demnach etwa den Dollar in Russland und Einwanderern die Arbeit auf Obst- und Gemüsemärkten verbieten.
Vorwurf gegen Furgal: Morde in Auftrag gegeben
Den Menschen in Chabarowsk gehe es nicht um die Partei LDPR, die dort keine Anhänger habe; vielmehr gehe es ihnen um Furgal, den sie zu ihrem Gouverneur wählten, sagte der Politologe Alexander Kynjew. Die Ermittler werfen Furgal vor, er habe als Geschäftsmann vor 15 Jahren zwei Morde in Auftrag gegeben. In einem weiteren Fall sei es bei versuchtem Mord geblieben. Sie berufen sich auf bereits verurteilte Verbrecher, die Furgal belastet haben sollen.
Die Demonstrationen in der Nähe der Pazifikküste sind die größten und längsten, die es in der russischen Provinz unter Putin je gegeben hat. Seit zwei Wochen dauern sie an - an vielen Tagen mit Zehntausenden Teilnehmern. Sie werden auch als ein Zeichen des Unmuts darüber interpretiert, dass Putin unlängst die Verfassung ändern ließ, um so weiter an der Macht zu bleiben. Er kann so noch zweimal gewählt werden und bis 2036 regieren. In Moskau werden ungenehmigte Proteste wie in Chabarowsk rasch von Sicherheitskräften beendet. In Chabarowsk ist das bislang nicht geschehen.
Quelle: jrh/dpa