Politik

Bildungssenatorin angezählt Unter Berlins Lehrern herrscht Corona-Frust

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Scheeres ist bald neun Jahre im Amt.

(Foto: picture alliance/dpa)

Bundesweit haben dieser Tage Schulleitungen und Lehrer den Regelbetrieb unter Pandemie-Bedingungen umzusetzen. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut. In der Hauptstadt aber knirscht es gewaltig. Im Mittelpunkt massiver Anwürfe: die langjährige Bildungssenatorin Scheeres.

Seit dem Schulbeginn vor bald zwei Wochen ist Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres ein kleines Kunststück gelungen: Die SPD-Politikerin hat es geschafft, die Vertretungen von Lehrern, Eltern und Schülern zu vereinen - für ein gemeinsames Vorgehen in der Pandemie und gegen Scheeres. In vielen Bundesländern hadern die Schulbeteiligten mit der Umsetzung von Hygieneplänen und anderen Corona-Vorschriften. In der Hauptstadt aber kann der Start ins Corona-Schuljahr schon jetzt getrost als gescheitert bezeichnet werden. So tief sitzt der Frust an den Schulen, wo sich viele im Stich gelassen fühlen von Senat und Behörden.

"Wir rufen Senatorin Scheeres dringend dazu auf, endlich mit uns zu sprechen und gemeinsam mit uns Lösungen zu finden", hieß es schon vergangenen Woche im Anschluss an ein Treffen von Vertretern der Erziehergewerkschaft GEW, des Landeselternausschusses, des Landesschülerausschusses, von vier Schulleiterverbänden und weiteren Schul-Beteiligten.

Ein unerwarteter Kommentar

Das gemeinsame Gespräch mit Scheeres steht bis heute aus, dabei hat die Wut seither noch zugenommen. Anlass ist der Umgang Scheeres' mit dem ersten Corona-Fall an einer Berliner Schule nach den Sommerferien. Am Gerhart-Hauptmann-Gymnasium hatte der Schulleiter nach dem Positivbefund einer Lehrerin am frühen Mittwochabend vergangener Woche beim Schulamt niemanden mehr erreicht. Mangels klarer Vorgaben hatte der Direktor daher beschlossen, die Schule am Folgetag geschlossen zu halten.

Scheeres' Reaktion in den Abendnachrichten des RBB fiel heftig aus: Es sei "unverhältnismäßig (…) ganze Schulen gleich zu schließen". Aus dem Umstand, dass der Schulleiter offenbar eine Ansteckung anderer Lehrer nicht spontan ausschließen konnte, folgerte Scheeres: "Da bin ich sehr besorgt, weil die Lehrkräfte sich nicht an die Hygienepläne gehalten haben."

Schnell stellte sich heraus, dass sich kein Lehrer des Gymnasiums bei der infizierten Kollegin angesteckt hatte. Dafür schwappte eine Welle der Entrüstung durch Berlin. Darüber, dass Scheeres das erste kleine Ruckeln im neuen Schulregelbetrieb mit vermeintlichem Fehlverhalten ihrer Untergebenen erklärte.

Petition und Brandbrief

Lehrer einer benachbarten Grundschule veröffentlichten am Mittwochabend als Solidaritätsadresse mit dem Gerhart-Hauptmann-Gymnasium eine Petition. Darin fordern die Autoren für den Fall positiver Corona-Tests an Schulen von Scheeres "Unterstützung und Zusammenarbeit und keine Schuldzuweisungen". Zudem müsse die Senatsverwaltung besser kommunizieren und Schulen aktiv beraten.

Mit ihrer Aussage habe Scheeres Schulleiter und Direktor "das Vertrauen entzogen, diese Situation nach bestem Wissen und Gewissen entschieden zu haben", sagte Kristin Kühn, eine der Petitionsverfasserinnen, zu ntv.de. "Wir hätten erwartet, dass die Senatorin zuerst Rücksprache mit der Schulleitung hält, bevor sie sich in der Abendschau äußert." In weniger als 20 Stunden unterzeichneten mehr als 350 Unterstützer, zu denen auch die Berliner GEW-Sektion zählt

"Frau Scheeres reicht die Verantwortung für die Umsetzung des Hygieneplans an die Schulen weiter", sagt GEW-Sprecher Markus Hanisch zu ntv.de. "Da wünschen wir uns, dass sich die Dienstherrin vor ihre Lehrer stellt und ihnen nicht in den Rücken fällt." Scheeres Verhalten sei "unsäglich", weshalb die GEW auf einer Entschuldigung beharrt.

Ebenfalls am Mittwoch brachte der Landespersonalrat die "große Verärgerung" der Berliner Lehrer in einem offenen Brief zum Ausdruck. Der Personalrat widerspricht zudem entschieden Scheeres Behauptung aus dem RBB-Interview, die Senatsverwaltung habe relevante Gremien an der Erarbeitung des Hygienekonzepts beteiligt. Scheeres wird de facto der Lüge bezichtigt. Und weiter: "Wir lassen uns von Ihnen nicht diskreditieren."

War Behörde im Urlaub?

Tatsächlich zieht sich eben dieser Vorwurf durch die Äußerungen aller an den Berliner Schulen Lehrenden und Lernenden: Die Sommerpause sei trotz entsprechender Angebote der Gremien nicht für die Erarbeitung eines gemeinsamen Konzepts genutzt worden, Schulleitungen würden von neuen Vorgaben oft zuerst aus den Medien erfahren, im Ergebnis sei das bestehende Hygienekonzept nicht umsetzbar und realitätsfremd.

"Das Konzept wurde unter Ausschluss der Schulen vorangetrieben", klagt Hanisch. Die Empfehlung zum Lüften lasse sich nicht umsetzen, wenn sich Fenster gar nicht öffnen lassen. Schüler könnten auch nicht permanent Hände waschen, wenn auf 450 Kinder 18 Waschbecken kommen und das Personal zur Durchsetzung der Regeln fehle. Das Abstandsgebot lasse sich im Praxisbetrieb an den Schulen kaum einhalten und auch die Unterteilung der Schüler in kleine, feste Lerngruppen scheitere am fehlenden Personal und zu engen Räumlichkeiten. Beides war schon vor der Pandemie äußerst knapp.

Zusätzlich fordere der Senat von den Schulleitungen, selbst zu entscheiden, ob Lehrer trotz eines Risikogruppen-Attests zur Arbeit erscheinen müssen. "Die Direktoren haben keine medizinische Ausbildung und müssen nun entscheiden, ob sie mit noch weniger Personal auskommen oder die Gesundheit ihrer Mitarbeiter gefährden wollen", sagt Hanisch.

In der Behörde ging niemand ans Telefon

Eine andere Schieflage: Während die Senatsverwaltung von Lehrern und Schülern Regelbetrieb erwartet, weilt die Berliner Schulverwaltung weiter im Home Office und ist daher schlecht erreichbar. Auch deshalb hatte der Schulleiter des Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums auf eigene Faust entscheiden müssen, als der eigentlich erwartbare Ernstfall eintraf: In Scheeres' Behörde ging niemand ans Telefon.

"Wenn die Behörde Regelbetrieb für die Schulen beschließt, soll sie bitte auch selbst im Regelbetrieb arbeiten und für die Schulen und ihre Beschäftigten ansprechbar sein. Die Verwaltung hat hier eine Vorbildfunktion", erklärte der Berliner Schulleiter Ronald Rahmig schon vergangene Woche. Bei allen Beteiligten herrscht zumindest Argwohn, ob die Verwaltung in den vergangenen Wochen selbst zu einem großen Teil in den Ferien war. Das neun Tage vor Schulbeginn versandte Konzept fiel jedenfalls relativ dünn aus. Viele Vorgaben, aber kaum Hilfestellungen bei der Umsetzung.

Ähnlich war es schon während des Lockdowns gelaufen, als die Senatsverwaltung vor allem den Eindruck vermittelte, sich selbst absichern zu wollen. Scheeres begründet die relativ große Handlungsfreiheit der Schulen mit den enormen baulichen, strukturellen und personellen Unterschieden zwischen den einzelnen Schulen, weshalb sie von pauschalen Vorgaben absehe. Dabei ist der Wunsch nach mehr Unterstützung an den Schulen nicht zu überhören. Als aber die Gremien von sich aus in der vergangenen Woche zusammentraten, folgte Scheeres einer Einladung dazu nicht.

"Man hat das Gefühl, die Senatorin mauert sich ziemlich ein", sagt Hanisch. Dass die seit neun Jahren als Bildungssenatorin amtierende Scheeres die direkte Auseinandersetzung meidet, könnte auch damit zu tun haben, dass sie schon lange angezählt ist. Der "Tagesspiegel" berichtet, dass wegen diverser anhaltender Probleme an den Berliner Schulen schon im vergangenen Jahr im Senat ihre Ablösung debattiert wurde. Auch die Opposition fordert Scheeres' Rücktritt, wieder einmal. Dass aber Scheeres nun auch noch das letzte Jahr bis zur Neuwahl des Berliner Abgeordnetenhaus überstehen wird, gilt demnach als gesichert. Schlichte Begründung: Den Job, Berlins Schullandschaft nur ein wenig wieder in Ordnung zu bringen, wolle sich in der regierenden SPD niemand zumuten.

Quelle: ntv.de

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