Spezialeinsatz am Gran Sasso Die Mussolini-Befreiung war nur ein Propaganda-Coup der SS
12.09.2023, 16:47 Uhr Artikel anhören
Major Harald Mors (l.) leitet den Einsatz zur Befreiung Mussolinis (M.). Nach der Aktion posiert er mit dem Diktator vor dem Hotel "Campo Imperatore".
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Auf Hitlers Befehl befreien deutsche Soldaten im September 1943 den gestürzten Diktator Mussolini aus seiner Haft in den Abruzzen. Die Propaganda feiert die Aktion als militärische Großtat. Doch in Wahrheit ist der Einsatz weit weniger spektakulär. Der Historiker Riegler spricht von einer "Inszenierung".
Etwa 140 Kilometer nordöstlich von Rom in der Provinz L'Aquila befindet sich das mittlerweile geschlossene Berghotel "Campo Imperatore". Über Jahrzehnte war die Anlage auf einem Hochplateau des Gebirgsmassivs Gran Sasso ein beliebter Ausflugsort für Skiurlauber. Weltweite Bekanntheit erlangte das abgeschiedene Hotel aber erst durch seinen berühmtesten Gast. Im Zweiten Weltkrieg wurde Italiens gestürzter Diktator Benito Mussolini hier festgehalten, ehe deutsche Fallschirmjäger und SS-Männer ihn am 12. September 1943 befreiten.

Das Hotel "Campo Imperatore" (rotes Gebäude) aus der Vogelperspektive. Seit 2019 ruht der Betrieb.
(Foto: picture alliance / NurPhoto)
Die NS-Propaganda bauschte das Kommandounternehmen als militärische Großtat auf und feierte den SS-Offizier Otto Skorzeny als "Mussolini-Befreier". Doch der Einsatz war weit weniger abenteuerlich als behauptet. "Der berühmte Handstreich am Gran Sasso hat so nie stattgefunden", sagt der österreichische Historiker Thomas Riegler ntv.de. "Die Mussolini-Befreiung war eine Inszenierung und ein perfekt eingefädelter Propaganda-Coup der SS."
Hitler hält an seinem Verbündeten fest
Seit 1925 war Mussolini in Italien an der Macht. Mit den militärischen Misserfolgen in Griechenland und Nordafrika begann der Stern des Diktators zu sinken. 15 Tage nach der Landung der Alliierten auf Sizilien kam es am 25. Juli 1943 in Rom zur Rebellion. Das Führungsgremium seiner eigenen Partei, der Faschistische Großrat, entmachtete Mussolini, kurz darauf wurde er verhaftet. Marschall Pietro Badoglio übernahm die Regierungsgeschäfte und suchte Kontakt zu den Westalliierten. Ziel war es, das Bündnis mit Nazi-Deutschland zu beenden.
Adolf Hitler tobte, als er von dem Umsturz in Italien erfuhr. Der Diktator setzte alle Hebel in Bewegung, um herauszufinden, wo sein Verbündeter festgehalten wird. Gleichzeitig befahl er deutschen Truppen, wichtige Einrichtungen in ganz Norditalien zu besetzen. "Hitler wollte mit der Befreiung von Mussolini demonstrieren, dass die 'Achse' Berlin-Rom weiterhin Bestand hat", sagt Riegler. "Außerdem brauchte er den Diktator, um die faschistischen Kräfte im Norden Italiens zu sammeln."

Thomas Riegler ist Affiliated Researcher am Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS). Mit der Biografie von Otto Skorzeny hat sich der Historiker intensiv beschäftigt.
(Foto: Markus Sibrawa )
Ende August spürten Sicherheitsdienst und Gestapo Mussolini auf der kleinen Insel La Maddalena bei Sardinien auf. Doch kurz vor der geplanten Befreiungsaktion wurde der "Duce" aufs Festland verlegt. Ein abgefangener Funkspruch brachte die Deutschen wieder ins Spiel. Die Spur führte zum "Campo Imperatore". Das abgelegene Berghotel auf 2130 Metern Höhe ist nur über eine Drahtseilbahn zu erreichen und daher einfach zu verteidigen.
Himmler mischt sich in die Planungen ein
Der Oberbefehlshaber der deutschen Fallschirmjäger, Generaloberst Kurt Student, bekam von Hitler den Auftrag, Mussolini zu befreien. Zusammen mit seinem Stab erarbeitete er innerhalb weniger Stunden den Plan für das "Unternehmen Eiche". Die Zeit drängte. Am 3. September unterzeichnete die Regierung Badoglio einen Waffenstillstand mit den Alliierten. Am selben Tag landeten US-Truppen in der Region Kalabrien auf dem italienischen Festland.
Dem Befreiungsplan zufolge sollten zehn Lastensegler mit Fallschirmjägern auf dem Plateau landen und die Wachen überrumpeln. Zeitgleich erhielt eine andere Gruppe den Befehl, die Talstation zu erobern, um mit der Seilbahn das Hotel zu erreichen. Doch dann mischte sich SS-Chef Heinrich Himmler ein. Er setzte durch, dass auch eine Abordnung seiner Schutzstaffel in die Befreiungsaktion eingebunden wurde. Die 16 SS-Männer unter dem Befehl von Hauptsturmführer Skorzeny, Mitglied einer Spezialeinheit für Agenteneinsätze, erhielten daraufhin die Aufgabe, die Landezone zu sichern. Mit der Erstürmung des Hotels wurde das Fallschirmjäger-Lehrbataillon unter Major Harald Mors betraut.
Als sich die Schleppflugzeuge mit den Lastenseglern am Nachmittag des 12. September in die Lüfte schwangen, war das Wetter ideal. Große Haufenwolken gaben den Maschinen ausreichend Deckung. 25 Kilometer vor dem Ziel wurden die Lastensegler ausgeklinkt und gingen in den Gleitflug. Doch die ersten Maschinen hatten zu viel Tempo und mussten eine Schleife drehen. Dadurch landete der Lastensegler mit Skorzeny als Erster auf dem Plateau. Die Gelegenheit ließ sich der Österreicher nicht nehmen und lief mit seinen Männern auf das Hotel zu.
Mussolinis Bewacher leisten keinen Widerstand
In seinen Erinnerungen schilderte Skorzeny die anschließenden Ereignisse wie folgt: "Von unserer Seite war noch immer kein Schuss gefallen und wir warfen die vor dem Hotel postierten Maschinengewehre mit den Füßen um. Ein Großteil der italienischen Carabinieri-Bewachung drängte aus dem Hoteleingang heraus, aber es gelang Leutnant Schwerdt und mir, uns durchzuboxen, in den 1. Stock zu kommen und den Raum, wo sich Mussolini befand, zu erreichen. Die dort befindlichen drei italienischen Offiziere wurden mit Brachialgewalt aus dem Raum geworfen."

Mussolinis Bewacher posieren mit den Deutschen für ein Erinnerungsfoto. Skorzeny steht links neben dem Diktator.
(Foto: Bundesarchiv)
Skorzeny übertrieb. Die etwa 70 Mann starke Wachmannschaft hätte die anstürmenden SS-Männer leicht ausschalten können. Doch die Italiener hatten Befehl, nicht zu schießen. Nur wenige Stunden bevor die Lastensegler landeten, hatten die zwei Kommandeure im "Campo Imperatore" einen Anruf vom Polizeichef der Regierung Badoglio erhalten. Dieser wies an, "maximale Vorsicht" walten zu lassen. Daraufhin beschlossen die beiden, keinen Widerstand zu leisten.
Während der Befreiungsaktion waren die meisten Wachen daher zu Tisch oder hielten Mittagsschlaf. Von Kampfstimmung keine Spur. Einige Italiener prosteten den Angreifern mit Rotwein zu. Von einer Entwaffnung der Carabineri sahen die Fallschirmjäger ab. Ein Kriegskorrespondent der Wehrmacht knipste sogar Fotos, auf denen Deutsche und Italiener einträchtig beieinanderstehen.
"Der Umsturz hatte Mussolini innerlich gebrochen"

Mussolini mit deutschen Fallschirmjägern: Kurz nach seiner Befreiung wird er mit einer Maschine vom Typ Fieseler Storch ausgeflogen.
(Foto: Bundesarchiv)
Unrasiert und in einen schwarzen Mantel gehüllt trat Mussolini aus dem Hotel. Viele der Fallschirmjäger berichteten nach Kriegsende, wie sehr der Anblick des einst mächtigsten Mannes Italiens sie erschreckt habe. Statt eines charismatischen Führers begegnete ihnen ein apathisch wirkender, kränkelnder Mann mit eingefallenen Gesichtszügen. "Der Umsturz hatte Mussolini innerlich gebrochen", sagt Riegler. "Zudem wusste er, dass diese 'Befreiung' durch die Deutschen auch eine Gefangennahme war." Heute weiß man: Der Diktator hatte mit der Politik innerlich abgeschlossen und sehnte sich nach einem Rückzug ins Privatleben.
Warum die Italiener Mussolini kampflos hergaben, ist nicht eindeutig geklärt. Einige Historiker gehen davon aus, dass die Regierung Badoglio wahrscheinlich nichts dagegen hatte, das Problem Mussolini loszuwerden. So war sie nicht mehr in der Verpflichtung, den "Duce" an die Alliierten auszuliefern, was wahrscheinlich Repressionen der Deutschen nach sich gezogen hätte. Spekuliert wird daher auch, dass den Deutschen das Versteck von Mussolini absichtlich zugespielt wurde.

Skorzeny (2.v.l.) während seiner Ehrung im Berliner Sportpalast.
(Foto: picture-alliance / akg-images)
Über Wien und München traf Mussolini am 14. September im Führerhauptquartier in Ostpreußen ein. Hitler machte seinen amtsmüden Verbündeten zum Chef eines Marionettenregimes in Norditalien. Später schlug Mussolini in Saló am Gardasee sein Lager auf. Doch die sogenannte Italienische Sozialrepublik hatte weder Einfluss noch Bestand. Kurz vor Kriegsende wurde Mussolini am 28. April 1945 von Partisanen erschossen.
Skorzeny veröffentlicht nach dem Krieg seine Memoiren
Für den Einsatz am Gran Sasso erntete Skorzeny die Lorbeeren. Der Österreicher wurde befördert, mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet und im Rahmen einer Kundgebung im Berliner Sportpalast geehrt. Nach dem Krieg flüchtete der überzeugte Nationalsozialist ins spanische Exil und brachte die Erinnerungen an seine Spezialeinsätze zu Papier. Die Legende über die Mussolini-Befreiung bekam erst nach und nach Risse.
1973 rückte Mors, zu dem Zeitpunkt Mitarbeiter beim Bundesnachrichtendienst, die Geschehnisse ins rechte Licht. "Das Kommandounternehmen war eine reine Wehrmachtsangelegenheit", schimpfte er in einem Interview. Aus "propagandistischen Gründen" sei der Ruhm allerdings der SS zugeschanzt worden. Dabei sei Skorzeny nur als "Beobachter" dabei gewesen.
"Skorzeny hat es meisterhaft verstanden, sich in den Vordergrund zu drängen und der SS zu einem Propagandaerfolg zu verhelfen", sagt auch Riegler. "Er war charismatisch, aber als Militär hat er bestenfalls durchschnittliche Leistungen erbracht." Die meisten seiner späteren Unternehmen - in den Ardennen oder an der Oder - seien verlustreiche Fehlschläge gewesen. "Trotzdem entstand nach dem Krieg die Legende vom 'gefährlichsten Mann Europas', weil Skorzeny als Figur interessant und spannend war. Mit seinen Memoiren hat er an diesem Mythos selbst mitgestrickt."
Quelle: ntv.de