Politik

US-Präsident drohtVölkermord an Christen in Nigeria? Eine Zahl spricht für Trump

15.11.2025, 11:18 Uhr
imageVon Kevin Schulte
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Nigerianische Christen stellen am Karfreitag in der Hauptstadt im Rahmen eines Theaterstücks die Kreuzigung von Jesus nach. (Foto: IMAGO/Anadolu Agency)

Donald Trump ist überzeugt: In Nigeria begehen Islamisten einen Völkermord an Christen. Der US-Präsident droht mit einer Intervention. Die Statistiken sind gespalten wie das Land. Nigeria wirkt überfordert, denn es mag Trump so sehr wie kein anderes Land auf der Welt.

Ende Oktober schaut Donald Trump mal wieder Fox News. Dort läuft ein Beitrag über verfolgte Christen in Nigeria. Und dann ist es auch schon passiert: Der US-Präsident nimmt Nigeria ins Visier. Er bittet seine Mitarbeiter um weitere Informationen zur Lage vor Ort und schreibt in seinem Online-Netzwerk Truth Social, dass er Nigeria zu einem "Land von besonderer Besorgnis" erklären wird. So beschreiben US-Regierungsbeamte den Ablauf in amerikanischen US-Medien.

Wenig später konkretisiert der US-Präsident seine Sorgen: Im bevölkerungsreichsten Land Afrikas würden Christen systematisch von Islamisten verfolgt und die Regierung in Abuja unternehme nichts dagegen, wirft Trump Nigeria vor. Der 79-Jährige spricht von einem "Massenmord", der das Christentum in Nigeria "existenziell bedroht".

Bedrohlich klingt auch, was Trump als Reaktion darauf verkündet: Der US-Präsident droht mit einer Intervention der Amerikaner, sollte die nigerianische Regierung nichts gegen die Taten der Islamisten unternehmen. "Wir werden Nigeria Dinge antun, über die Nigeria nicht glücklich sein wird", warnt der US-Präsident in seiner Ansprache. "Wir werden ins Land gehen, mit Waffengewalt, um die islamistischen Terroristen vollständig auszulöschen … Wenn wir angreifen, wird es schnell, brutal und süß sein."

Muslime im Norden, Christen im Süden

Nigeria ist ein tief gespaltenes Land. Das bevölkerungsreichste Land Afrika hat 36 Bundesstaaten. Im Norden leben mehrheitlich Muslime, hier gilt die Scharia. Im Süden leben überwiegend Christen. Mehrere Millionen Menschen sind in den vergangenen Jahren aus dem muslimisch geprägten Norden in den christlich geprägten Süden geflohen.

Die Sicherheitslage in Nigeria ist prekär. Das Land werde von "drei großen Sicherheitskrisen" regelrecht überfordert, analysiert der "Economist". In Nigeria gibt es mehrere Sicherheitskrisen gleichzeitig, erklärt Sicherheitsexperte Jamil Jaffer bei CNN. "Im Norden dominieren die Terroristen von Boko Haram, im Nordwesten sind vor allem Banditengruppen aktiv. Und dann gibt es noch den Konflikt zwischen Bauern und Hirten, nomadischen Stammesangehörigen, die seit langem miteinander im Konflikt stehen", sagt der Leiter des National Security Institute an der George-Mason-Universität in Virginia. Einen gezielten Völkermord an Christen erkennt Jaffer jedoch nicht. Es gebe zwar "religiöse Dynamiken" in Nigeria, aber in den meisten Konflikten gehe es "um Wirtschaft und Ressourcen".

In der Öffentlichkeit ist die Dschihadistengruppe Boko Haram wahrscheinlich die bekannteste Bedrohung: Die Islamisten verüben reihenweise Terrorangriffe im Land. Auch Entführungen sind an der Tagesordnung. Wer sich in Nigeria fortbewegt, riskiert, von Fake-Polizisten oder Fake-Soldaten angehalten und beraubt zu werden. Das Auswärtige Amt in Berlin warnt in den Reise- und Sicherheitshinweisen vor "unkalkulierbaren Risiken für Leib und Leben durch Bedrohung, Erpressung, Raub, Entführung und Mord". Überall in Nigeria bestehe ein "hohes Entführungsrisiko", im Norden des Landes sogar ein "sehr hohes Entführungsrisiko".

Völkermord? "Maßlos übertrieben"

Die Sicherheitskrise ist im Norden Nigerias besonders ausgeprägt. "Hier kommt es tatsächlich vor, dass Muslime Christen ermorden", berichtet der "Economist". Aber es würden auch Muslime Muslime töten, heißt es weiter. Die Gewalt habe oft andere Ursachen als Religion. Die Aussage, dass es in Nigeria einen "Völkermord an Christen" gebe, ist laut dem britischen Wirtschaftsmagazin "maßlos übertrieben".

Bemerkenswert ist, dass auch Trumps Afrika-Berater Massad Boulous, Schwiegervater von Trumps Tochter Tiffany, die Lage differenzierter sieht als sein Chef. "Terrorismus hat keine Hautfarbe, keine Religion, keinen Stamm. Menschen aller Religionen und Stämme sterben infolge terroristischer Handlungen. Wir wissen sogar, dass Boko Haram und Isis mehr Muslime als Christen töten", sagt Boulous dem nigerianischen Fernsehsender TVC News bei seinem Besuch vor Ort. "Wir können definitiv nicht sagen, dass die Attacken gezielt gegen eine bestimmte Gruppe gerichtet sind. Wir müssen zusammenarbeiten, um dem ein Ende zu setzen."

Unterschiedliche Zahlen zur Christenverfolgung

Die bekannten Zahlen zeichnen ein gemischtes Bild: Laut der amerikanischen Beobachtungsstelle für bewaffnete Konflikte (ACLED) gab es in Nigeria seit 2020 rund 12.000 Angriffe auf Zivilisten. Bei diesen Attacken starben demzufolge fast 21.000 Menschen. Unter den gemeldeten Todesopfern befanden sich demnach weniger als 500 Christen, die wegen ihres Glaubens getötet wurden.

Das christliche Hilfswerk Open Doors aus Deutschland schätzt die Lage dramatischer ein. Im aktuellen Christenverfolgungsbericht von Open Doors landet Nigeria auf dem siebten Platz - demzufolge ist das Land eines der gefährlichsten für Christen. Allein voriges Jahr seien 3100 Christen in Nigeria getötet worden.

Leiter Markus Rode begrüßt deshalb, dass sich Trump so deutlich zur Situation der Christen in Nigeria geäußert hat. Im Interview mit dem christlichen Medienmagazin "Pro" beklagt er, dass Christen in Nigeria nicht ausreichend geschützt werden. "Manchmal werden Pastoren in christlichen Dörfern gewarnt, jegliche Gottesdienste sofort einzustellen, zum Islam überzutreten und die Kirche in eine Moschee umzuwidmen, andernfalls drohe ihnen der Tod", berichtet Rode. "Sie töten Christen mit Macheten und sparen sich die Kugeln für die, die fliehen."

Nigerianer sind "Trump-freundlichste Menschen der Welt"

Nigerias Präsident Bola Tinubu weist Vorwürfe dieser Art zurück. Sein Land bemühe sich, die Religions- und Glaubensfreiheit aller Menschen in Nigeria zu schützen. "Nigeria lehnt religiöse Verfolgung ab und fördert sie nicht", schreibt Tinubu auf X. Der Präsident zeigte sich offen dafür, mit der amerikanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, um die Sicherheitslage in Nigeria zu verbessern.

Grundsätzlich stehen die Nigerianer der aktuellen US-Regierung ohnehin aufgeschlossen gegenüber. Die Bürger des westafrikanischen Landes "gehören zu den Trump-freundlichsten Menschen der Welt", schreibt der "Economist". Fast 80 Prozent der Nigerianer haben großes Vertrauen in den amtierenden US-Präsidenten, hat Anfang des Jahres eine Umfrage des Pew Research Centers ergeben. Das Meinungsforschungsinstitut hat Menschen in 24 Ländern befragt - nirgendwo war das Vertrauen in Trump größer als in Nigeria. Zum Vergleich: Insgesamt vertrauen Trump laut der Umfrage nur 34 Prozent der Befragten in den 24 Ländern, in Deutschland sogar nur 18 Prozent.

Ob Trump die Umfrage kennt? Fraglich. Ob der US-Präsident Nigeria dann auch als "Land von besonderer Besorgnis" eingestuft hätte? Das ist eine offizielle Klassifikation für Länder, um den Weg für amerikanische Sanktionen zu ebnen. Senator Ted Cruz aus Texas hat vorige Woche im Weißen Haus Trump einen Gesetzentwurf präsentiert. Dieser sieht Sanktionen gegen nigerianische Politiker vor, die angeblich Massaker an Christen begünstigen.

"Nigeria braucht Hilfe, keine Besatzungsmacht"

US-Militärexperte Cedric Leighton sagt bei CNN, die nigerianische Regierung versuche bereits, die Lage im Land zu stabilisieren, aber sie habe nicht die nötigen Ressourcen. "Nigeria arbeitet unter den gegebenen Umständen sehr hart daran, Boko Haram zu bekämpfen. Sie sind noch nicht am Ziel, es gibt definitiv einige Probleme." Nigeria sei auf Hilfe fremder Staaten angewiesen, aber eine "Besatzungsmacht, die einmarschiert", könne Nigeria nicht gebrauchen.

Es sieht derzeit so aus, als würde Trump mit seinen Drohungen versuchen, die nigerianische Regierung aufzurütteln. Präsident Tinubu werde damit enorm unter Druck gesetzt, heißt es im "Economist". Nigeria müsse Trump nun "beweisen, wirklich etwas gegen den Terror zu tun". Ansonsten könnte der US-Präsident seine Drohungen realisieren - und das Militär nach Nigeria schicken.

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Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

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Quelle: ntv.de

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