Chinas baldiger Premier Li Qiang Vollstrecker von Xis Gnaden
26.10.2022, 20:27 Uhr
Der Präsident und sein künftiger Premier: Li Qiang folgt Xi Jinping.
(Foto: REUTERS)
Alte Seilschaften zählen in Chinas Politik mehr als fachliche Qualifikation. Kaum ein anderer Kader der KP profitiert von diesem ungeschriebenen Gesetz so stark wie der designierte Premierminister Li Qiang. Für die Welt ist das keine gute Nachricht.
Eines vorweg: Li Qiang ist ein heller Kopf. Chinas kommender Premierminister ist studierter Wirtschaftsingenieur, und er hat sich in der Parteihierarchie kontinuierlich nach oben gearbeitet. Dazu gehören Intelligenz und ausreichend Instinkt, politische Fehler zu vermeiden. Was ihm allerdings fehlt, ist tiefgreifendes Wirtschaftswissen. Zwar hat Li an der Zentralen Parteischule schon mal einige Kurse in Weltwirtschaft belegt. Doch fehlt ihm das tiefe Verständnis globaler Zusammenhänge, wie es sein Vorgänger Li Keqiang als promovierter Ökonom mitbrachte.
Die chinesischen Aktienmärkte als Indikator reagierten auf die Neubesetzung des engsten Machtzirkels der Kommunistischen Partei (KP) mit drastischen Kursstürzen. Mangelndes Wirtschaftsverständnis der Führungselite ist dafür aber nicht allein verantwortlich. Stattdessen wirkte der Schock nach, dass Generalsekretär Xi Jinping mit dem künftigen Premier fortan sechs Mitglieder im Ständigen Ausschuss des Politbüros an seiner Seite wähnen kann, die als Loyalisten bezeichnet werden.
Eine solche Konstellation ist gefährlich in einem Regime, in dem Widerspruch auf höchster Ebene der Partei mit folgenschweren Korruptionsvorwürfen geahndet wird. Ob aus Angst vor solchen Konsequenzen oder aus Dankbarkeit für den politischen Aufstieg - die Loyalisten werden sich eher mit automatisierter Zustimmung arrangieren, als die Kompetenz ihres Ziehvaters in Frage zu stellen.
Doch wenn alle dem Alleinherrscher nur noch sagen, was er hören möchte, wächst die Wahrscheinlichkeit von Fehlentscheidungen. Angesichts der Bedeutung Chinas für die globale Wirtschaft, den Frieden oder den Kampf gegen den Klimawandel beträfen die Konsequenzen solcher Fehlentscheidungen längst die ganze Welt. Darum bereitet die Personalie Li Qiang vielen Beobachtern Kopfschmerzen.
Die Gefahr von Fehlern wächst
Der designierte Premier und der Parteichef auf Lebenszeit kamen sich schon in der Vergangenheit sehr nah. Ein fast 20 Jahre altes Fotos zeigt Li Qiang und Xi Jinping vor den Klippen der Insel Nanji vertraut nebeneinander stehen. Die Insel ist der Küste der ostchinesischen Provinz Zhejiang vorgelagert, in der die beiden Politiker einige Wegstrecken ihres Werdegangs gemeinsam zurücklegten.
Als Xi die Geschicke der Partei in Zhejiang leitete, vertrat Li die KP-Interessen zunächst in deren Wirtschaftszentrum Wenzhou. Später übernahm Li für viele Jahre den Posten des Generalsekretärs des Parteikomitees auf Provinzebene. Doch als Xi lange schon nach Shanghai weitergezogen war, um sich dort auf den Aufstieg an die Spitze des Staates vorzubereiten, musste Li Qiang sich noch lange gedulden.
Die mächtige Organisationsabteilung der KP, die ihre Kader landesweit von Posten zu Posten manövriert, damit sie sich für höhere Aufgaben beweisen können, parkte den heute 63-Jährigen an Ort und Stelle. Lis rasanter Aufstieg, der am vergangenen Sonntag mit der Berufung als Nummer zwei im Ständigen Ausschuss des Politbüros seinen Höhepunkt fand, zeichnete sich erst ab, nachdem Xi Jinping den Staat schon jahrelang gelenkt hatte.
Mit Lis Berufung ins Politbüro der Partei und zum Parteisekretär in Shanghai ebnete Xi seinem Zögling 2017 den Weg an seine Seite. Doch selbst diese Beförderungen hätten ihn nach jahrzehntelang geltenden Gepflogenheiten nicht ausreichend für das Amt des Regierungschefs qualifiziert. Denn traditionellerweise war es stets einer von vier Vize-Premierministern, die befördert wurden.
KP besetzt alle staatlichen Nervenzellen
Offiziell zum Premierminister ernannt werden, kann Li jedoch erst im kommenden Jahr, wenn der Nationale Volkskongress als Organ des Staates zusammentritt. Offiziell sind Partei und Staat immer noch zwei verschiedene Paar Schuhe. In der Praxis besetzt die Partei allerdings alle staatlichen Nervenzellen.
Seit Sonntag wird nun spekuliert über den künftigen Handlungsspielraum des kommenden Premierministers. Sein abgekürzter Karriereweg ohne die Station des Vize-Premiers bedeutet zweierlei. Zum einen hat Li Qiang wenig Erfahrung auf dem internationalen Parkett, was angesichts der wachsenden Bedeutung Chinas in der Welt eine Herausforderung bedeutet.
Zum anderen hat Li ganz offensichtlich Xi Jinping zu verdanken, dass er bald dort sein wird, wo ihn niemand vermutet hat. Das bedeutet auch, dass er in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Generalsekretär steht. "Li hat keine besondere politische Leistung vorzuweisen, die ihm den Rücken stärkt, daher ist er sich sehr bewusst, dass er seine Position Xi verdankt. Was auch immer Xi ihm befiehlt, er wird es umsetzen", prophezeit Willy Lam von der Jamestown Foundation in Washington im britischen "Guardian".
Während sich der noch amtierende Premierminister Li Keqiang der Rückendeckung seiner KP-Jugendliga gewiss sein konnte, hat Li Qiang keinerlei Unterstützung einer namhaften Fraktion im Machtgefüge der Partei. Die Wahrscheinlichkeit, dass er sich unter diesem Umständen von Xi Jinping emanzipieren kann, wird dadurch deutlich gesenkt.
Li machte Lockdown - ohne Rücksicht auf Verluste
Dennoch bringt auch der neue Li Qualitäten mit, die Xi benötigt. Das hat er bewiesen, als er im Frühjahr die Megacity Shanghai rigoros unter Lockdown stellte. Gegen alle Widerstände hielt Li die Stadt monatelang dicht. Wegen der hohen Zahl an Ausländern in Shanghai, die ihre schlechten, teils dramatischen Erfahrungen über das Internet in alle Welt posaunten, wurde der Druck auf Li besonders hoch. Doch der machte weiter, wie vom Staatschef offenbar aufgetragen: ohne Rücksicht auf Verluste.
"Li hat sich als loyaler Vollstrecker von Xis Null-Covid-Politik erwiesen", sagt der Politologe Chen Daoyin, ein ehemaliger Professor an der Shanghaier Universität für Politikwissenschaft und Recht. Allerdings gibt es auch Berichte darüber, dass Li ins Wanken geraten sein soll, was die konsequente Umsetzung des Lockdowns anging. Wie groß der Dissens zwischen Peking und Shanghai wirklich war, ist Spekulation. Ob Li jedoch tatsächlich als Premierminister in Frage gekommen wäre, wenn er vehement eine andere Politik gefordert hätte, ist äußerst fraglich.
In seiner Zeit in Zhejiang, später in Jiangsu und Shanghai erarbeitete sich Li Qiang auch den Ruf eines Machers, der die Interessen des Mittelstandes aufgriff. In Zhejiang schob er eine Initiative an, die kleiner Städte des Landes für Unternehmer attraktiver machen sollte. Solche Ansätze kommen bei Xi gut an. Er will die Einkommen in China gerechter verteilen, um soziale Unruhen zu vermeiden. Da scheint die wirtschaftliche Entwicklung von kleinen Städten eine gute Idee zu sein.
Quelle: ntv.de