Politik

Neuer Job für GründerinWagenknecht geht, aber plant bereits ihr Comeback

10.11.2025, 18:17 Uhr 473393580-1969698476857448-8816325097772902729-nHubertus Volmer
Sahra-Wagenknecht-BSW-Buendnis-Sahra-Wagenknecht-M-BSW-Bundesvorsitzende-nimmt-zwischen-Fabio-De-Masi-und-Amira-Mohamad-Ali-BSW-Bundesvorsitzende-an-einer-Pressekonferenz-zur-Neuaufstellung-des-BSW-teil-Beim-BSW-Bundesparteitag-in-Magdeburg-soll-die-neue-Parteifuehrung-dann-gewaehlt-werden
Fabio De Masi, Sahra Wagenknecht und Amira Mohamad Ali (v.l.) stellen die neue Führung des BSW vor. Ein Generalsekretär wird noch gesucht. (Foto: picture alliance/dpa)

Den Parteivorsitz der Partei, die derzeit noch ihren Namen trägt, legt Sahra Wagenknecht nieder. Stattdessen schafft sie sich einen Posten, den man als Hüterin der reinen Lehre bezeichnen kann. Die Rückkehr als Fraktionschefin in den Bundestag hat sie fest im Blick.

Ein Hauch von Trude Herr weht durch den schmucklosen Raum im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin. "Niemals geht man so ganz", mit diesem Lied verabschiedete sich die 1991 verstorbene Kölner Schauspielerin in den 1980er Jahren aus der Öffentlichkeit, "irgendwas von mir bleibt hier". Es könnte das Motto von BSW-Chefin Sahra Wagenknecht sein.

"All die, die das schon herbeigeschrieben haben, muss ich enttäuschen. Ich werde heute keinen Rückzug ankündigen", sagt Wagenknecht zum Auftakt der Pressekonferenz des BSW, auf der die künftige Aufstellung der Partei bekanntgegeben werden sollte. Dann spricht sie über ihre Forderung nach einer Neuauszählung des Bundestagswahlergebnisses - und: über ihre künftige Arbeit als Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, auf die sie sich "schon jetzt" freue. Soll heißen: Die Neuauszählung wird kommen, und sie wird im Sinne des BSW ausfallen. Dazu später mehr.

Ein bisschen Rückzug gibt es dann doch, denn irgendwann wird klar, dass Wagenknecht den Parteivorsitz aufgibt. Als BSW-Chefin sei sie "extrem durch Aufgaben des Parteimanagements und der Organisation beansprucht", was ihr die Möglichkeit genommen habe, die Partei inhaltlich und strategisch zu profilieren. "Ich möchte in Zukunft den Kopf wieder freihaben für die Dinge, mit denen ich dem BSW helfen kann."

Ein Generalsekretär wird noch gesucht

Da ist sie, die Ankündigung: Sahra Wagenknecht hört als Vorsitzende ihrer Partei auf. Beim nächsten BSW-Parteitag Anfang Dezember wird sie nicht mehr kandidieren. Neuer Parteichef soll der Europaabgeordnete und Wagenknecht-Vertraute Fabio De Masi werden. "Mir ist bewusst, dass ich in sehr große Fußstapfen trete", sagt er nüchtern, "aus großer Überzeugung" sei er "der Bitte von Sahra Wagenknecht und anderen nachgekommen".

Die Doppelspitze bleibt, Wagenknechts Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali soll ihr Amt behalten. Das Personalpaket ist am Wochenende geschnürt worden, auf einer Klausurtagung des BSW-Parteivorstands mit den Landesvorsitzenden. Ein neuer Generalsekretär wurde da allerdings noch nicht gefunden. Der alte, Christian Leye, soll auf dem Parteitag stellvertretender Parteichef werden. Man werde sich dazu äußern, "wenn wir wissen, wer es macht", sagt Mohamed Ali und klingt etwas ratlos.

Künftig wacht Wagenknecht über die reine Lehre

Das BSW ohne Wagenknecht als Chefin, kann das funktionieren? Für die Partei sei es "unglaublich wichtig, dass Sahra Wagenknecht weiter an der Spitze steht", sagt die Politologin und BSW-Expertin Sarah Wagner im Interview mit ntv.de. "Ohne sie wäre es für das BSW beispielsweise so gut wie unmöglich, den Kampf um die Neuauszählung der Bundestagswahl weiterzuführen - dafür braucht man eine so große Stimme wie Sahra Wagenknecht sie hat."

Das wird auch der Grund sein, warum Wagenknecht nicht wirklich geht, sondern vor allem entlastet wird. Sie soll eine Grundwertekommission aufbauen, dann den Vorsitz des Gremiums übernehmen und es im Parteipräsidium und im Vorstand vertreten. Man könnte sagen: Sie wird über die Einhaltung der reinen Lehre wachen und das BSW weiter in den Talkshows vertreten.

Nur eben ohne die lästige Parteiarbeit. Wagenknecht spricht über tagesfüllende Videokonferenzen, die ihr, so muss man das verstehen, die Zeit gestohlen haben. De Masi, der diese Konferenzen künftig übernehmen muss, schließt Konflikte in der neuen Konstellation aus. Wagenknecht habe "eine überragende Rolle" darin, für die Partei "Impulse zu setzen", sagt er.

Entscheidung in diesem Jahr

Künftig soll es "mehr Koordination geben, mehr strategische Beratung, mehr Abstimmung", um dem BSW ein schärferes Profil zu geben, sagt Wagenknecht mit Blick auf die beiden Bundesländer, in denen ihre Partei mitregiert. Es ist kein Geheimnis, dass die Parteigründerin Koalitionen skeptisch sieht. Für Landesminister des BSW ist im künftigen Parteipräsidium kein Platz, obwohl das Gremium größer werden soll. Wagenknecht begründet dies damit, dass es "ein Fulltimejob ist, Minister zu sein". Die Regierung in Brandenburg, versichert sie, wolle das BSW fortsetzen, sie sehe "überhaupt keinen Grund", die dortige Koalition zu beenden. Das Bündnis hatte zuletzt über die Zustimmung zu den Rundfunkstaatsverträgen gestritten.

Die Posten der Grundwerte-Chefin will Wagenknecht auch dann behalten, wenn sie Fraktionschefin werden sollte, sagt sie auf Nachfrage. Das BSW geht fest davon aus, dass es zu einer Neuauszählung der Bundestagswahl kommt und dass die Partei dann die Fünfprozenthürde überspringen wird. Sie wolle daran glauben, dass Deutschland noch ein Rechtsstaat sei, betont Wagenknecht mehrfach und macht damit deutlich, dass dieser Glaube davon abhängt, wie der Streit ausgeht.

Derzeit liegt der Fall beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestags, mit einer Entscheidung des Gremiums wird noch in diesem Jahr gerechnet. Das BSW findet das reichlich spät; sollte die Entscheidung nicht bald kommen, will die Partei ein weiteres Mal vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Eilanträge waren im März von den Karlsruher Richtern abgelehnt worden, was über die Erfolgsaussichten einer weiteren Klage nichts sagt.

De Masi fordert Reform des Wahlprüfungsrechts

Bei der Bundestagswahl am 23. Februar fehlten dem BSW weniger als 10.000 Stimmen, um in den Bundestag einzuziehen. Die Partei erhielt laut amtlichem Endergebnis 2.472.947 Stimmen, 4,981 Prozent. Zur Fünfprozenthürde fehlten demnach 0,019 Prozent - rund 9500 Stimmen. Erst vor zwei Wochen hatten sich Wagenknecht und Mohamed Ali mit einem Brief an Bundestagspräsidentin Julia Klöckner gewandt und gefordert, diese möge dafür sorgen, dass der Wahlprüfungsausschuss rasch über die Forderung der Partei entscheidet.

De Masi wirft dem Gremium vor, "in den Bummelstreik" getreten zu sein, "weil die eigenen Mandate betroffen wären". Das ganze Wahlprüfungsrecht sei "nicht mehr hinnehmbar". Er fordert eine Reform der entsprechenden Regelungen: Dies wäre eines der Themen, "die wir sofort anfassen würden".

Tatsächlich ist problematisch, dass der Bundestag sein eigenes Wahlergebnis kontrolliert. Aber so sieht es das Grundgesetz vor: "Die Wahlprüfung ist Sache des Bundestages", heißt es in Artikel 41. Erst nach dieser Prüfung "ist die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig".

"Indizienlage ist eindeutig"

Ganz unschuldig ist das BSW am Bummelstreik aber wohl auch nicht: Die Partei hatte ihre Beschwerde beim Wahlprüfungsausschuss Ende April eingelegt, am letzten Tag, der für einen solchen Einspruch möglich ist. Ende August reichte sie eine umfangreiche Stellungnahme nach.

Eine automatische Neuauszählung bei einem knappen Wahlergebnis sieht das deutsche Wahlrecht nicht vor. Nach dem regulären Prozess der Überprüfung der ersten Auszählung auf der Ebene der Wahlkreise und Bundesländer hatte die Bundeswahlleiterin die Zahl der BSW-Zweitstimmen im amtlichen Endergebnis im Vergleich zum vorläufigen amtlichen Endergebnis auf 4277 Stimmen nach oben korrigiert, von 4,972 auf 4,981 Prozent. Zum Vergleich: Auch das CDU-Ergebnis wurde um 1674 Stimmen nach oben korrigiert.

Das BSW argumentiert daher, bei einer systematischen Überprüfung der Wahl würden noch sehr viel mehr Stimmen für die Partei gefunden. Die "Indizienlage" sei eindeutig, sagt De Masi, eine Neuauszählung sei dringend erforderlich. Wagenknecht hält die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, für "relativ groß". Zudem geht sie "mit sehr, sehr großer Wahrscheinlichkeit" davon aus, dass die fehlenden 9500 Stimmen dann auftauchen werden.

Die Neuauszählung "muss zu einer Neubildung der Regierung führen", sagt Wagenknecht, wobei sie einen Schritt überspringt: Zunächst einmal müsste der Bundestag neu zusammengesetzt werden, wenn sich bei einer Neuauszählung herausstellen sollte, dass das BSW doch mehr als fünf Prozent der Stimmen erhalten hat. Dann allerdings hätte die schwarz-rote Koalition in der Tat keine Mehrheit mehr, eine neue Regierung müsste gebildet werden. Wie die aussähe, darüber will bei Union und SPD derzeit vermutlich niemand nachdenken. "Niemals geht man so ganz" wäre als Motto dann falsch. Es wäre ein spektakuläres Comeback.

Quelle: ntv.de

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