Wagenknecht-Partei "Russland ist das stärkste Zugpferd des BSW"
09.11.2025, 08:13 Uhr Artikel anhören
Seit Wochen wird darüber spekuliert, ob Sahra Wagenknecht sich aus der Führung des BSW zurückzieht. Sie werde sich für die Partei "weiter in führender Rolle einsetzen", sagte Wagenknecht am Donnerstag.
(Foto: picture alliance / dts-Agentur)
An diesem Montag verrät Sahra Wagenknecht, ob sie weiterhin an der Spitze ihrer Partei stehen wird. Ohne sie wäre das BSW auf nationaler Ebene nicht präsent, sagt die Politologin Sarah Wagner im Interview mit ntv.de. Das Problem der Partei ist, dass sie kein Thema exklusiv besetzen kann. Am ehesten gelingt das dem BSW noch mit dem Krieg in der Ukraine - allerdings um den Preis, im Westen kaum eine Rolle zu spielen.
ntv.de: Das BSW will am Montag verraten, wer die Partei künftig führen wird - ob also Sahra Wagenknecht sich beim BSW-Bundesparteitag Anfang Dezember als Parteivorsitzende wiederwählen lässt. Wie wichtig ist Wagenknecht für das BSW?
Sarah Wagner: Das BSW ist in einer schwierigen Situation. Auf der einen Seite ist es für die Partei unglaublich wichtig, dass Sahra Wagenknecht weiter an der Spitze steht. Ohne sie wäre es für das BSW beispielsweise so gut wie unmöglich, den Kampf um die Neuauszählung der Bundestagswahl weiterzuführen - dafür braucht man eine so große Stimme wie Sahra Wagenknecht sie hat. Ohne Wagenknecht wäre das BSW auf nationaler Ebene nicht präsent.
Sarah Wagner ist Politikwissenschaftlerin, sie hat unter anderem zum BSW publiziert. Wagner forscht als Assistant Professor an der Queen's University Belfast.
(Foto: privat)
Weil das BSW die Fünfprozenthürde verfehlt hat und nicht im Bundestag vertreten ist.
Ja. Und trotzdem sitzt Sahra Wagenknecht bei Markus Lanz und redet dort über Russland. Das BSW ist immer noch eine junge Partei - in der Führungsspitze gibt es niemanden, der sie ersetzen könnte. Wagenknecht gibt dem BSW eine Präsenz, die es ohne sie nicht annähernd hätte.
Und auf der anderen Seite?
Wir merken andererseits, dass die Partei versucht, ein bisschen von der starken Personalisierung wegzukommen. Das BSW will sich ja nun auch einen neuen Namen geben, es soll künftig nicht mehr Bündnis Sahra Wagenknecht heißen.
Sondern "Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft", weiterhin abgekürzt als BSW.
Da merken Sie schon, so ein sperriger Name flutscht einem nicht gerade von der Zunge.
Ist so eine Namensänderung für den politischen Erfolg der Partei eine relevante Veränderung?
Nein, ich denke, das spielt eigentlich keine Rolle. Das Kürzel BSW ist recht etabliert, egal, was dahintersteht. Wichtiger ist die Verbindung zu Sahra Wagenknecht. Ich glaube nicht, dass die Personalisierung der Grund ist, warum das BSW jetzt da steht, wo es steht.
Bei 3 Prozent im letzten Trendbarometer, kurz vor der Zählung unter "sonstige Parteien".
Mit Sahra Wagenknecht hat das BSW eine große Projektionsfläche, die der Partei sehr schnell sehr großen Zuwachs bescherte. Gerade im Osten ist die Zustimmung zum BSW weiterhin hoch. Das liegt zu einem großen Teil auch an Wagenknecht und ihrer persönlichen Verbindung zu Ostdeutschland.
In Umfragen kommt das BSW derzeit nur in den fünf ostdeutschen Flächenländern auf mehr als 5 Prozent. Könnte es sein, dass das BSW zur Regionalpartei wird?
Die Frage ist, wo sich das BSW in der Zukunft sehen will. Als die Partei sich gegründet hat, ging es vor allem um Themen mit bundespolitischer Relevanz. Landespolitik spielte kaum eine Rolle. Auch bei den Koalitionsverhandlungen in Brandenburg und Thüringen ging es stark um Themen, für die Landesregierungen gar nicht zuständig sind: um Waffenlieferungen an die Ukraine oder die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland. Letztlich dreht sich alles um Russland. Keine Partei hat den Krieg in der Ukraine so sehr zum Teil der eigenen Partei-DNA gemacht.
Das Migrationsthema spielt keine so große Rolle mehr?
Neue Parteien müssen es schaffen, ein eigenes Thema auf die Agenda zu setzen. Bei den Grünen war es die Umwelt, bei der AfD die Migration. Im Kern hat das BSW kein eigenes Thema; neu war bei dieser Partei die Kombination aus linker Wirtschaftspolitik und konservativen Positionen in soziokulturellen Fragen. Wagenknecht setzt deshalb strategisch vor allem auf das Russland-Thema. Sie hat sich natürlich auch zur Stadtbild-Debatte geäußert, auch in diesem Themenbereich ist das BSW weiterhin stark. Aber in unseren Studien sehen wir immer wieder, dass Russland thematisch das stärkste Zugpferd des BSW ist.
Erklärt das, warum das BSW vor allem im Osten erfolgreich ist?
Bei den Kommunalwahlen in NRW kam das BSW nur auf 1,1 Prozent - ein Hinweis, dass die Partei im Westen nicht wirklich Fuß fassen konnte. Das hat auch mit einer anderen Perspektive auf Russland und einer stärkeren Skepsis mit Blick auf die Nato bei vielen Ostdeutschen zu tun.
Die zentrale Streitfrage beim BSW ist die gleiche wie früher bei der Linken: Soll die Partei Regierungsverantwortung übernehmen, oder nicht? Wagenknecht setzt wie früher vor allem auf Opposition; der Regierungsbeteiligung des BSW in Thüringen unter Katja Wolf steht sie erkennbar skeptisch gegenüber. Was ist sinnvoller für das BSW?
Im BSW wurden die Beteiligungen an den Landesregierungen in Brandenburg und Thüringen auch ein bisschen als Ausrede benutzt, um zu erklären, warum das Momentum aus der Anfangszeit verloren gegangen ist. Ich halte das für keine plausible Erklärung. Diese Landesregierungen dürften auf BSW-Anhänger kaum skandalös wirken. Gleichzeitig ist eine Regierungsbeteiligung für eine so junge Partei eine Herausforderung. Für eine Regierungspartei reichen einfache Parolen nicht. Und in der Regierung wird es für das BSW auch zum Problem, die Ambiguität auszuhalten, die die Partei bei verschiedenen Themen hat.
Welche Ambiguität meinen Sie?
Zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik. Da ist die Breite der Positionen im BSW besonders groß. Das spielte auch eine Rolle beim Rücktritt des hessischen BSW-Vorsitzenden Oliver Jeschonnek: Dahinter stand die Frage, wie "links" die Wirtschaftspolitik der Partei sein soll. Sahra Wagenknecht kann solche Konflikte überdecken, aber eine kohärente Position entsteht so noch nicht. Fairerweise muss man allerdings sagen, dass das bei einer jungen Partei ein normaler Prozess ist.
Woran hat es gelegen, dass das BSW bei der Bundestagswahl nur 4,98 Prozent geholt hat? Denn eigentlich füllt die Partei BSW doch "eine riesige Repräsentationslücke".
Zunächst einmal muss man sagen, dass die Story des BSW eine Erfolgsgeschichte ist. Sie ist zwar nicht in den Bundestag gekommen, aber wir haben in Deutschland noch nie eine Partei gesehen, die so schnell so viele Stimmen bei einer Bundestagswahl erreicht hat. Dass ihr am Ende Stimmen gefehlt haben, hatte zum einen logistische Gründe: Zum Zeitpunkt der Wahl war das BSW organisatorisch noch nicht komplett strukturiert, die Wahl kam ja auch recht plötzlich. Die gesamte Organisation ist hierarchisch von oben nach unten aufgestellt, mit einem nur langsamen Mitgliederzuwachs, auch wenn das so gewollt ist, um sich möglichst keine Konflikte in die Partei zu holen. Damit hatte das BSW im Wahlkampf nicht die Mobilisierungskraft, die die anderen Parteien haben.
Und dann war zum Zeitpunkt der Wahl ein bisschen die Luft raus aus dem Ukraine-Thema. Im November und Dezember vor der Wahl dominierten wirtschaftliche Aspekte. Dann haben die tragischen Anschläge die Migrationsdebatte nach vorne geschoben. Im Januar fand dann durch die Abstimmungen im Bundestag eine weitere Verschiebung des Wahlkampfes statt.
Als Friedrich Merz unter dem Eindruck des Anschlags von Aschaffenburg ein "Zustrombegrenzungsgesetz" in den Bundestag einbrachte und dabei bewusst eine Mehrheit mithilfe der AfD in Kauf nahm.
Auch die BSW-Abgeordneten, die es damals noch im Bundestag gab, stimmten für diesen Gesetzentwurf, nachdem sie sich zwei Tage vorher beim Fünf-Punkte-Plan der Unionsfraktion enthalten hatten. Aber profitiert von dieser Debatte hat vor allem die AfD, nicht das BSW. Und natürlich die Linke.
Anders als dem BSW geht es der Linkspartei sehr gut, sie hat es in den Bundestag geschafft und liegt in den Umfragen stabil über 10 Prozent. War Wagenknechts Abgang die Voraussetzung für den Erfolg der Linken?
Auf jeden Fall hat die Trennung von Sahra Wagenknecht der Linken geholfen, sich selbst wiederzufinden und sich im Bundestagswahlkampf als vereinte Alternative darzustellen. Der "Fall der Brandmauer" hat es den Linken sicherlich ermöglicht, Anhänger von SPD und Grünen für sich zu gewinnen. Denn die Wahrscheinlichkeit war sehr hoch, dass eine der beiden Parteien am Ende mit der Union regieren würde. Die Linke konnte sagen: Nur eine Stimme für uns ist eine Stimme gegen Merz. Das hat viele Wähler mobilisiert. Die Linken hätten das nie geschafft, wenn sie selbst noch mitten im Streit über die Migrationspolitik gewesen wären. Auch die Rede von Heidi Reichinnek im Bundestag hätte dann keine solche Wirkung erzielt.
Mit Sarah Wagner sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de