Politik

Wagner-Rebellion in Russland Was wir über Prigoschins Putschversuch wissen

Wagner-Kämpfer in Rostow am Don.

Wagner-Kämpfer in Rostow am Don.

(Foto: REUTERS)

In Russland tobt ein offener Machtkampf zwischen dem russischen Söldnerchef Jewgeni Prigoschin und der Führung in Moskau: Kämpfer von Prigoschins Truppe Wagner marschierten in der vergangenen Nacht von der Ukraine aus nach Russland ein, nachdem der Söldnerchef zum Aufstand gegen die Armeeführung aufgerufen hatte. Die Kämpfer übernahmen die Kontrolle über Militäreinrichtungen in Rostow am Don. In der südrussischen Region Woronesch kam es zu Kämpfen zwischen der regulären Armee und Söldnern. Einheiten Prigoschins bewegten sich Richtung Moskau, kehrten aber noch vor den Toren der Hauptstadt wieder um. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema im Überblick:

Wie kam es zur Eskalation des Konflikts?

Seit Monaten bezichtigt Prigoschin die Militärführung in Moskau der Inkompetenz. Im Zentrum der Kritik stehen besonders Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow. Am Freitagabend warf Prigoschin Schoigu vor, Raketenangriffe auf seine Truppen angeordnet zu haben, bei denen zahlreiche Wagner-Söldner getötet worden sein sollen. Daraufhin gelobte der Wagner-Chef, die russische Militärführung zu "stoppen". Die Russen rief Prigoschin auf, sich seinen Kämpfern anzuschließen.

Was ist das Ziel von Prigoschin?

In einer Sprachnachricht auf Telegram beschrieb Prigoschin die eigene Rolle mit den Worten: "Wir sind Patrioten unserer Heimat." Er kündigte an, "Korruption, Lügen und Bürokratie" in Russland zu beenden. Damit forderte der Söldnerchef erstmals auch Putin offen heraus. "Prigoschin ist der Ansicht, dass Russland den Krieg beenden muss, weil ein langer Krieg nicht zugunsten Russlands ausgehen wird", sagt der Politikwissenschaftler Andreas Heinemann-Grüder im Gespräch mit ntv.de. "Putin dagegen glaubt, dass dieser Krieg zwar sehr lange dauern wird, aber weitergeführt werden muss."

Wie reagiert Putin?

Für den Kremlchef ist der Aufstand die ernsthafteste Herausforderung und die größte Sicherheitskrise im Land seit seinem Aufstieg an die Macht im Jahr 1999. Prigoschin galt bisher als Vertrauter Putins, den er zu dessen Zeiten als Beamter in St. Petersburg verköstigt hatte. Daher wird der Wagner-Chef auch "Putins Koch" genannt. Bislang konnte er sich Kritik erlauben, für die andere längst bestraft worden wären. Nun stellt sich Putin jedoch öffentlich gegen Prigoschin. Der Kremlchef nennt die aufständischen Wagner-Söldner "Verräter", die "unweigerlich bestraft" würden. Der Aufstand sei eine "tödliche Bedrohung" für Russland, warnte er in einer Fernsehansprache an die Nation. "Das ist ein Stoß in den Rücken unseres Landes und unseres Volkes." Er rief die Russen zur "Einigkeit" auf und betonte, er werde einen Bürgerkrieg in Russland nicht zulassen.

Wer steht an Putins Seite?

Der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow setzte nach eigenen Angaben bereits seine Truppen in Bewegung, um bei der Niederschlagung der "Meuterei" zu helfen. Das russische Verteidigungsministerium forderte die Söldner zur Aufgabe auf. Der Inlandsgeheimdienst FSB rief die Wagner-Kämpfer sogar dazu auf, ihren Chef festzusetzen. Auch russische Parlamentsvorsitzende und von Moskau eingesetzte Verwaltungsbeamte in den besetzten Gebieten der Ukraine sicherten Putin ihre Unterstützung zu.

Die Vorsitzende des russischen Oberhauses, Valentina Matwienko, versicherte, Putin habe die "volle Unterstützung" der Parlamentskammer. Auch der Unterhaus-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin rief die Russen zur Unterstützung des Kremlchefs auf. Der Kreml-treue russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill stellte sich ebenfalls klar auf die Seite Putins, der versuche, "die Unruhe in unserem Land" zu verhindern und rief die Bevölkerung zur "Einigkeit" auf.

Wie ist die Lage in Moskau?

In der Hauptstadt wurde der Anti-Terror-Notstand verhängt und die Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Militärfahrzeuge sind in der Metropole unterwegs. Dem Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin zufolge gibt es zusätzliche Kontrollen auf den Straßen, Großveranstaltungen in der Hauptstadt könnten begrenzt werden. In Onlinediensten warb Sobjanin um Verständnis für die Maßnahmen und teilte mit, sie dienten zur "Verstärkung der Sicherheit".

Wie stark ist Prigoschin?

Prigoschin soll Schätzungen zufolge über 25.000 kampferprobte Söldner verfügen. Die russischen Streitkräfte haben etwa 1,5 Millionen Angehörige. Die entscheidende Frage ist, auf welche Seite sich die staatlichen Sicherheitskräfte schlagen. Das britische Verteidigungsministerium betonte: "In den kommenden Stunden wird die Loyalität der russischen Sicherheitskräfte und insbesondere der russischen Nationalgarde entscheidend für den Verlauf der Krise sein." Heinemann-Grüder geht davon aus, dass Putin den Aufstand niederschlägt. "Für Putin wird es ein Pyrrhussieg sein", so der Experte zu ntv.de. "Seine maximalistische Position wird sich zwar durchsetzen. Aber die Frage, ob es sinnvoll ist, einen Kampf bis zum Untergang zu führen, wird weiter schwelen."

Mit welcher Begründung wurde der Vormarsch auf Moskau gestoppt?

Wagner-Einheiten bewegten sich seit dem Morgen auf der Schnellstraße M4 Richtung Moskau und standen am frühen Abend nur wenige Hundert Kilometer vor der Hauptstadt. Doch dann stoppte Prigoschin den Vormarsch. "Unsere Kolonnen drehen um und gehen in die entgegengesetzte Richtung in die Feldlager zurück", teilte er auf Telegram mit. Als Grund gab er an, er wolle ein Blutbad vermeiden. Die belarussische Präsidentschaft erklärte, Machthaber Alexander Lukaschenko habe ein Ende der Truppenbewegungen ausgehandelt. Lukaschenko habe sich in Absprache mit Russlands Präsident Putin als Vermittler eingeschaltet, hieß es weiter.

Welche Auswirkungen hat der Machtkampf auf den Kriegsverlauf in der Ukraine?

Diese Frage ist schwer zu beantworten. Die Wagner-Söldner waren bislang eine bedeutende Stütze der russischen Truppen in der Ukraine. Nun kontrollieren Prigoschins Männer strategisch wichtige Punkte in Russland. "Rostow ist das Logistikzentrum für die Front bei Donezk, Woronesch für die Charkiw-Front", twitterte der Militärexperte Gustav Gressel. In Rostow befindet sich zudem das Hauptquartier des südlichen Militärbezirks, eine wichtige Kommandozentrale. Unterbindet Prigoschin die Versorgungslinien, hätte das schwerwiegende Folgen für die russischen Truppen im Osten der Ukraine. Die ukrainischen Streitkräfte könnten die Gunst der Stunde für neue Angriffe nutzen. Die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar sprach bereits von einer "einmaligen Gelegenheit".

Wie bewertet Kiew den Machtkampf?

In der Ukraine wird die jüngste Entwicklung im Nachbarland genau verfolgt. Präsident Wolodymyr Selenskyj betonte: "Jeder, der den Weg des Bösen wählt, zerstört sich selbst." Der bewaffnete Aufstand sei ein klares Zeichen für Putins Schwäche, twitterte Selenskyj. "Lange Zeit bediente sich Russland der Propaganda, um seine Schwäche und die Dummheit seiner Regierung zu verschleiern. Und jetzt ist das Chaos so groß, dass keine Lüge es verbergen kann." Präsidentenberater Mychajlo Podoljak twitterte: "Die nächsten 48 Stunden werden über den neuen Status von Russland entscheiden".

Wie verhält sich der Westen?

International wird die Eskalation in Russland mit Zurückhaltung aufgenommen. Die Bundesregierung erklärte, sie beobachte "die Ereignisse in Russland aufmerksam". Es sei zu früh für eine Bewertung, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius. "Wenn man das jetzt täte, würde man den offenen Blick eintrüben für das, was tatsächlich passiert." Auf eine Frage nach den Möglichkeiten Deutschlands antwortete der Minister: "In dieser Situation gibt es für uns keine Handlungsoptionen. Es ist ein innenpolitischer Konflikt in Russland." Derweil tagte auch der Krisenstab der Bundesregierung im Auswärtigen Amt. Das Ministerium passte zudem die Reise- und Sicherheitshinweise für Russland an. Auch die EU verfolge die Entwicklung der Lage "genau", schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel auf Twitter. Frankreich, Italien, Großbritannien teilten gleichfalls explizit mit, dass sie die Lage in Russland ständig verfolgten.

Quelle: ntv.de, jpe/dpa/AFP

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