Syrskyj verjüngt die Führung Was die neue Armeespitze über die Pläne der Ukraine verrät


Präsident Selenskyj bei einem Treffen mit der neuen Armeeführung am vergangenen Wochenende. Rechts im Bild der neue Befehlshaber Syrskyj.
(Foto: IMAGO/ABACAPRESS)
Nicht nur der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee ist neu, auch weitere Führungsposten werden neu besetzt. Generaloberst Syrskyj setzt auf eine Mischung aus Erfahrung und Nachwuchs. Einer seiner Stellvertreter ist erst 39 Jahre alt.
Anders als sein Vorgänger Walerij Saluschnyj, der vergleichsweise selten die Front besuchte, war der neue ukrainische Armee-Befehlshaber Olexander Syrskyj als Kommandeur der Landstreitkräfte bekannt dafür, häufig direkt bei der Truppe unterwegs zu sein. So war es für niemanden überraschend, dass der 58-Jährige seit seiner Ernennung zusammen mit Verteidigungsminister Rustem Umerow an den am stärksten umkämpften Ecken der Front unterwegs ist. Ebenfalls wenig überraschend war der Akzent auf Awdijiwka im Bezirk Donezk und Kupjansk in der Region Charkiw.
Auch wenn General Saluschnyj öfter von Kiew aus arbeitete, war er bei der Truppe beliebt und galt allgemein als kompetent. Ohnehin sollten Frontbesuche für die operative Kriegsführung nicht überschätzt werden: Für die Ukraine ist es im Abwehrkampf gegen Russland von großer Bedeutung, die eigene Armee zu einer modernen Netzstruktur zu entwickeln, in der Kommandeure vor Ort zumindest auf der taktischen Ebene so viel Freiheit wie möglich haben. Unter den aktuellen Bedingungen durch die Blockade im US-Kongress geht es in Kiew derzeit vor allem darum, die bestehenden Ressourcen dort zu verteilen, wo sie am dringendsten gebraucht werden.
Nötig sind Flexibilität und Innovation
Unter diesen Voraussetzungen braucht die ukrainische Armee innovative Lösungen, um den Mangel möglichst auszugleichen, aber auch Strategien für ganz unterschiedliche Ausgangssituationen - je nachdem, wie es mit der Unterstützung durch die USA und die anderen Verbündeten weitergeht. Präsident Wolodymyr Selenskyj scheint der Meinung zu sein, Syrskyj - das Mastermind hinter der Verteidigung von Kiew und der Offensivoperation in der Region Charkiw im Herbst 2022 - sei hier besser geeignet als Saluschnyj.
Allerdings dreht sich die ukrainische Armee, in der aktuell bis zu einer Million Menschen in unterschiedlichen Funktionen dienen, nicht allein um Saluschnyj und Syrskyj - und auch nicht um Selenskyj. Deswegen sind fundamentale Veränderungen an der Armeespitze wichtiger als der Name des Befehlshabers. Diese Veränderungen dauern an, doch gibt es bereits Hinweise, wie die ukrainischen Streitkräfte künftig aufgestellt sein sollen.
Dass die meisten Saluschnyj-Vertrauten wie Serhij Schaptala, der bisherige Leiter des Generalstabs, gehen müssen, war klar. Die Frage war nur, wer nun diese Jobs übernimmt. Letztlich hat sich Syrskyj, der acht Jahre älter als sein Vorgänger ist, für eine Mischung aus Erfahrung und jüngeren Brigadegenerälen entschieden - mit klarem Akzent auf den letzteren Bereich. Eng an der Seite des neuen Befehlshabers wird der erfahrene 54-jährige Generalmajor Anatolij Bargylewytsch stehen, der die Position des Generalstabsleiters von Schaptala übernimmt.
"Legenden des Kriegs"
Bis zu seiner Ernennung war Bargylewytsch Kommandeur der Kräfte der territorialen Verteidigung. Zuvor hatte er bei der Verteidigung von Kiew den Sektor um die Stadt Hostomel verantwortet, in der sich ein wichtiger Militärflugplatz befindet, auf dem die Russen landen wollten, um von dort aus die Hauptstadt zu erobern - was bekanntlich nicht gelang. Später war Bargylewytsch Stabschef der Gruppierung Chortyzja, die Syrskyj bei der Befreiung des Bezirks Charkiw anführte.
Auch der Ersatz für Syrskyj als Kommandeur der Landstreitkräfte, bei denen rund 600.000 Menschen im Einsatz sind und die damit die wichtigste Truppengattung der ukrainischen Armee sind, ist alles andere als überraschend. "Ich hatte gar keine andere Kandidatur für diese Position", so der Befehlshaber bei der Vorstellung des 53-jährigen Generalleutnants Olexander Pawljuk, zuvor erster Stellvertreter von Verteidigungsminister Umerow. Vor dem russischen Großangriff am 24. Februar 2022 war Pawljuk als Kommandeur der ukrainischen Operation im Donbass tätig. Gleich nach dem Überfall wurde er Leiter der Militärverwaltung der Region rund um Kiew und hat sowohl die militärische Strategie zusammen mit Syrskyj mitbestimmt als auch zwischen Militärs und der zivilen Verwaltung erfolgreich vermittelt. Für seine Arbeit bekam er intern viel Lob.
Es gibt auch weitere erfahrene Vertraute von Syrskyj im neuen Team. Eine wichtige Rolle spielen aber die jüngeren "Legenden des Kriegs", wie der Verteidigungsexperte Roman Kostenko von der Oppositionsfraktion "Stimme" sie nennt. Zu diesen gehört Ihor Skybjuk, der neue Kommandeur der ukrainischen Luftsturmtruppen. Der 48-jährige Brigadegeneral diente im ursprünglichen Donbass-Krieg in einer Brigade, die an den kompliziertesten Ecken der damaligen Front im Einsatz war: bei den Kämpfen um Slowjansk, an den Flughäfen von Donezk und Luhansk sowie beim Industriegebiet von Awdijiwka. Nach dem direkten russischen Überfall nahm Skybjuk aktiv an der Charkiw-Gegenoffensive teil und wechselte dann in die Führung der Luftsturmtruppen. Es ist eine Ernennung, über die sich die Soldaten dort sehr freuen, da der vorige Kommandeur einen zwiegespaltenen Ruf hatte.
Ein 39-Jähriger wird Chef der Drohnen-Abteilung
Für richtige Verjüngung steht aber vor allem der neue Stellvertreter Syrskyjs für Drohnen, der 39-jährige Oberst Wadym Sucharewskyj. Erst vor Kurzem kündigte Präsident Selenskyj an, in absehbarer Zeit eine eigene Truppengattung für die Drohnenstreitkräfte gründen zu wollen. Dies ist zwar bisher nicht geschehen, doch es ist gut vorstellbar, dass Sucharewskyj dann die Position des Kommandeurs übernehmen könnte. Im April 2014 war er der Erste auf ukrainischer Seite überhaupt, der im Donbass-Krieg den Befehl zur Eröffnung des Feuers gab, als die Truppen um den Russen Igor Girkin in Richtung Slowjansk vorzustoßen versuchten. Im aktuellen Krieg hat seine 59. Brigade die Eigenproduktion sowie die Reparatur von Drohnen organisiert - und nun soll Sucharewskyj seine Erfahrungen auf die gesamte Armee übertragen.
Es stehen noch weitere Personalveränderungen an, und ob die völlige Erneuerung der Armeespitze mitten im Krieg gelingt, wird erst mit der Zeit klar sein. Doch gerade die Drohnenangelegenheit offenbart einige der Gründe, warum Selenskyj eine derart radikale Entscheidung getroffen hat: In seinem aufsehenerregenden Artikel für den britischen "Economist" und auch in einer späteren Veröffentlichung für den US-Sender CNN hatte Saluschnyj die Wichtigkeit von Drohnen betont, unternahm aber offenbar in der Praxis zu wenig, um entsprechende Strukturen tatsächlich voranzutreiben. Dies soll nun anders laufen.
Quelle: ntv.de