Flugabwehr-Ausbildung im IranWie russische Militärs heimlich von den Mullahs lernen

Laut Recherchen von "Stern" und RTL ließen sich Offiziere aus Russland 2024 im Iran an Flugabwehrsystemen schulen. Nach dem Kauf von Kampfdrohnen wäre dies eine neue Stufe der Militärkooperation.
Neugierig zücken die Autofahrer ihre Smartphones, als sie die Militärkolonne auf der Autobahn A2 westlich von Teheran überholen. Was dort in Richtung Karadsch auf Tiefladern transportiert wird, soll offensichtlich geheim bleiben. Eine Camouflageplane bedeckt die Fracht, die Militärexperten trotzdem schnell identifizieren können: Es sind Sevom-Khordad-Flugabwehrsysteme der iranischen Streitkräfte, die Ende November im Norden des Landes über den Asphalt rollen.
Vor allem die olivfarbene Lackierung macht Fachleute und Nutzer im Netz stutzig, ist iranisches Militärgerät doch meist in sandigen Farbtönen gehalten. Und so lassen Verhüllung und Lackierung spekulieren: Handelt es sich um ein bislang unbekanntes System? Ist es für den Iran - oder gar für den Export in ein anderes Land bestimmt?
Recherchen von "Stern" und RTL sprechen für Letzteres. Und ganz konkret: für eine neue Stufe der militärischen Kooperation zwischen Russland und den islamistischen Hardlinern in Teheran.
Gehen Russland die Flugabwehrsysteme aus?
Wie aus geleakten und dem "Stern" vorliegenden Flugdaten hervorgeht, reisten bereits im April 2024 mehrere russische Offiziere mit der sanktionierten Fluggesellschaft Mahar Air von Moskau nach Teheran. Dem "Stern" gelang es, mehrere der Militärs zu identifizieren und mit Russlands Luftwaffe in Verbindung zu bringen. Mindestens einer von ihnen ist zudem als Ausbilder an der Flugabwehrakademie in Orenburg tätig. Sein Name: Vadim Malov
Russische Offiziere, die sich im Iran an dessen Flugabwehrsystemen schulen lassen? "Der Austausch von militärischem Personal zu Schulungs- und Ausbildungszwecken ist nichts Ungewöhnliches", sagt Klemens Fischer, Professor für Internationale Beziehungen und Geopolitik an der Universität Köln. Derartige Programme dienten neben reiner Fort- und Weiterbildung auch einem klassischen militärischen Wissenstransfer und damit letztlich auch wichtigen Erkenntnissen für "die Weiterentwicklung von Waffensystemen", führt Fischer aus.
Dass Russlands Machthaber Wladimir Putin die Kooperation mit dem Mullah-Regime vorantreibt, ist kein Geheimnis. In der Vergangenheit hat Russland iranische Shahed-Drohnen gekauft und adaptiert. Mittlerweile stellt es sie in großer Stückzahl selbst her. Russland hat jedoch offenbar auch an anderer Stelle Hilfebedarf: bei seiner Flugabwehr, die angesichts erfolgreicher Drohnenangriffe der Ukraine auf Ölhäfen und Energieinfrastruktur an ihre Grenzen zu kommen scheint. Allein im November 2025 gab es mindestens 14 Drohnenangriffe auf russische Ölraffinerien. Ein neuer Monatsrekord, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete. Geht Russland deshalb nun auch im Bereich Flugabwehr auf Einkaufstour?
"Die bereits jetzt stark ausgelastete russische Waffenindustrie nötigt Moskau zum Ankauf aus Drittländern, da die notwendigen Materialien und Grundstoffe nicht in unbeschränkter Menge am Weltmarkt verfügbar sind", sagt Fischer. Dass der Bedarf Russlands in diesem Bereich sehr hoch sei, liege auch an den westlichen Sanktionen, die "eine nicht unerhebliche Rolle" spielten. Zudem sei Russland durch die rasche Entwicklung auf dem Gefechtsfeld dazu gezwungen, Antworten auf neue Waffensysteme und Einsatzgrundsätze der ukrainischen Armee zu finden, erklärt Fischer.
Hier könnte der Iran helfen, vor allem, weil sich das Land in den vergangenen Jahrzehnten im Bereich Raketentechnik zu den besten Produzenten weltweit entwickelt hat. Im militärischen Bereich profitiere Russland daher überproportional. "Waffensysteme und Munition können vergleichsweise günstig beschafft werden, gleichzeitig wird die russische Kriegswirtschaft entlastet", sagt Fischer. Das gilt auch für Flugabwehrsysteme. Und da kam offensichtlich Luftverteidigungsspezialist und Ausbilder Vadim Malov ins Spiel. Sollte er erst lernen und sein Wissen dann in Russland teilen?
Ausbildung in Region, in der Revolutionsgarde Waffen testet
Malovs Name taucht in einem Zertifikat auf, das die Gruppe YourAnonUKRIR vor einigen Monaten veröffentlichte. Laut dem Dokument erhielt Malov an der Teheraner Ashura Universität für Raumfahrtwissenschaft und -technologie, die eng mit den iranischen Revolutionsgarden verbunden ist, eine mehrmonatige Schulung an verschiedenen Systemen. Demnach dauerte das Training von Juni bis September 2024.
Nach "Stern"-Informationen fand der praktische Teil der Ausbildung südöstlich von Teheran in der Region Garmsar statt. Das Gebiet ist bekannt dafür, dass die Revolutionsgarden dort Waffentests durchführen. Fotos oder Videoaufnahmen der Schulung existieren nicht, jedoch bestätigte eine während der Ausbildung anwesende Person dem "Stern", dass neben dem Sevom-Khordad-System auch weitere Systeme gezeigt wurden. Aus Sicherheitsgründen möchte die Quelle in diesem Artikel anonym bleiben. Zum Abschluss habe sogar ein Fußball-Freundschaftsspiel zwischen den russischen Offizieren und ihren iranischen Ausbildern stattgefunden.
Vadim Malov, Jahrgang 1978, ist Absolvent der Flugabwehrakademie in Orenburg, an der er nun selbst lehrt und stationiert ist, wie Steuerdaten von ihm belegen. Mittlerweile trägt er den Rang eines Majors und ist als stellvertretender Ausbildungsleiter für angehende Offiziere zuständig.
Mit seiner Familie hat er es sich in einem Einfamilienhaus am Rande der Stadt gemütlich gemacht. Er reist und angelt gern, wie Fotos nahelegen. Ansonsten hält er sich in den sozialen Medien eher bedeckt. Als der "Stern" ihn kontaktiert und nach dem Grund seiner Iranreise fragt, will er nicht reden und bricht den Schriftverkehr ab.
Auch Malovs iranischer Gegenpart, ein Mann namens Kamal Rabbani-Zadeh, will das Zusammentreffen im vergangenen Jahr auf "Stern"-Anfrage nicht kommentieren. Rabbani-Zadehs Unterschrift ziert erwähntes Zertifikat, einer Quelle zufolge kam ihm die Schlüsselrolle bei dem militärischen Austausch zu.
Rabbani-Zadeh war früher selbst bei den Revolutionsgarden, mit denen er immer noch eng verbunden ist, wie Fotos belegen. Zwischenzeitlich arbeitete er im iranischen Landwirtschaftsministerium. Aktuell ist er laut der Quelle im Auftrag einer Unterabteilung der Revolutionsgarden für die russisch-iranischen Militärkooperationen zuständig. Sowohl die russische als auch die iranische Botschaft ließen eine Bitte um Stellungnahme unbeantwortet.
Seeroute für Transport von Shahed-Drohnen
Dass von der Ausbildungsphase keine Aufnahmen an die Öffentlichkeit gelangten, dürfte an hohen Sicherheitsstandards liegen. Mobiltelefone und andere Technologien seien verboten gewesen, die Beteiligten hätten sich während der Unterrichtseinheiten nur in Begleitung bewegen dürfen, so die Quelle. Insgesamt sollen an den Schulungen mehr als hundert russische Militärangehörige teilgenommen haben. Rabbani-Zadeh sei bei jeder Eröffnungs- und Abschlusszeremonie anwesend gewesen.
Dass der Ende November gefilmte Militärkonvoi westlich von Teheran unterwegs war, könnte geografisch begründet sein. Von Karadsch sind es nur noch gut 300 Kilometer bis Bandar Anzali, einer der wichtigsten Hafenstädte am Kaspischen Meer. Regelmäßig machen sich dort Güterschiffe ins russische Astrachan und in Gegenrichtung auf den Weg, wie Daten des Schifftrackingdienstes Marine Traffic zeigen. Auf dieser Route wurden in der Vergangenheit bereits Schattenschiffe entdeckt, die Shahed-Drohnen und andere Waffen transportiert haben sollen.
Nicht auszuschließen also, dass demnächst auch iranische Sevom-Khordad-Systeme in Richtung Russland in See stechen. Oder schon längst dort angekommen sind.