Interview mit Stephan Mayer "Wir erleben eine Verrohung der Gesellschaft"
04.01.2019, 15:40 Uhr
Blick auf die oberpfälzische Stadt Amberg, wo am 29. Dezember vier Asylbewerber wahllos Passanten angegriffen haben.
(Foto: dpa)
Die Ermittlungen im Fall des Datenklaus laufen auf Hochtouren, sagt Innenstaatssekretär Stephan Mayer im Interview mit n-tv.de. Außerdem erklärt der CSU-Politiker, wie die Union die SPD von der geplanten Verschärfung der Abschieberegelungen überzeugen will. Noch 2019 soll es zudem eine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts geben. "Wenn Bürger sich terroristischen Organisationen im Ausland anschließen und zwei Staatsangehörigkeiten haben, werden wir ihnen künftig die deutsche Staatsangehörigkeit aberkennen können", so Mayer.
n-tv: Auf einem Twitter-Account wurden über Wochen private Daten von Politikern und Prominenten veröffentlicht, ohne dass dies bemerkt wurde. Was ist jetzt zu tun?

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Mayer ist Staatssekretär im Bundesinnenministerium.
(Foto: picture alliance/dpa)
Stephan Mayer: Als erstes müssen die Betroffenen und die Parteien informiert werden. Das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik hat die Federführung übernommen, das Cyber-Abwehrzentrum des BSI koordiniert die Zusammenarbeit mit den anderen Bundessicherheitsbehörden. Wir versuchen, den Schaden möglichst klein zu halten. Die Aufklärungsarbeit, wer hinter dem Angriff steckt, läuft auf Hochtouren.
Gibt es schon Hinweise auf den oder die Täter?
Es ist noch viel zu früh, Aussagen darüber zu treffen, denn die Bundessicherheitsbehörden haben erst am Donnerstag von diesem Fall erfahren. Bisher wissen wir nicht, ob es sich bei dem Täter um jemanden aus dem Inneren einer Behörde oder von außen handelt. Eins scheint klar zu sein: Das Regierungsnetzwerk ist nicht betroffen. Das ist zumindest eine gute Botschaft. Aber dieser Vorfall ist außerordentlich schwerwiegend und ernst zu nehmen.
Es wurden neue und teilweise sehr alte Daten gestohlen. Sagt das vielleicht etwas aus?
Sehr viele Daten sind authentisch, das stimmt. Wir können aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht feststellen, dass alle Daten wirklich echt sind. Viele Mobilfunknummern, die veröffentlicht wurden, sind noch in Benutzung. Die betroffenen Personen sind angehalten, ihre Mobilfunknummer schnellstmöglich zu ändern, damit nicht auch noch mögliche Trittbrettfahrer die Nummern nutzen, um einen weiteren Angriff auf die Smartphones zu betreiben.
Anderes Thema: In Kürze will der Bundesinnenminister einen Gesetzesentwurf vorlegen, der schnellere Abschiebungen ermöglichen soll. Ist das eine Reaktion auf Amberg, wo vier Asylbewerber prügelnd durch die Stadt gezogen sind?
Das Vorhaben von Horst Seehofer hat nicht direkt mit den schrecklichen Vorfällen in Amberg zu tun. Es war schon länger geplant, dass wir ein zweites Gesetz zur besseren Umsetzung der Ausreisepflicht vorlegen. Dieses Gesetz werden wir bald mit den Fachpolitikern der Großen Koalition debattieren. Es geht vor allem darum, dass wir effektiver und schneller abschieben. Wir sind noch nicht so gut wie wir sein wollen. Die Anzahl der Rückführungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens müssen erhöht werden. Da haben wir 2018 gerade einmal 25 Prozent dessen geschafft, was möglich war - zwar mehr als im Vorjahr, aber nicht genug. Wir müssen deutlicher machen: Wer ausreisepflichtig ist, hat unser Land auch zu verlassen. Unsere Erfahrung zeigt, dass es am Tag der geplanten Abschiebung schwer ist, diese Personen anzutreffen, wenn sie sich vorher nicht in Abschiebehaft befunden haben.
Wofür braucht man schärfere Regelungen, wenn die Umsetzung der vorhandenen Gesetze nicht wirklich klappt und offenbar zu wenig Personal bei der Polizei für diese Vorhaben vorhanden ist?
Wir müssen zunächst die Defizite im Vollzug beseitigen. Da liegt auch Verantwortung in den einzelnen Bundesländern. Leider gibt es da eklatante Unterschiede. Kein Bundesland schiebt so konsequent ab wie Bayern - andere halten sich da vornehm zurück. Es gibt bundesweit nur 400 Abschiebehaftplätze. Das ist deutlich zu wenig. Was die Tat in Amberg betrifft, geht es mir überhaupt nicht darum, den Vorfall zu instrumentalisieren. Aber einer der vier Straftäter von Amberg ist offenkundig rechtskräftig ausreisepflichtig und hat unser Land trotzdem nicht verlassen. Wir haben an der einen oder anderen Stelle Defizite im Vollzug. Da kann man nicht drüber hinwegsehen.
Die SPD könnte bei einigen Vorschläge nicht begeistert sein. Fürchten Sie keine neuen Debatten?
Uns in der CSU ist nicht an Streit gelegen. Wir wollen aber die richtigen Dinge voranbringen. Noch im Januar wird Horst Seehofer die Verbesserungsvorschläge vorlegen. Und dann liegt es an der SPD, ob sie eine Verschärfung bei der Abschiebehaft und beim Ausreisegewahrsam mitträgt. Wenn nicht, muss die SPD den Bürgerinnen und Bürgern erklären, warum sie keine effektiveren und besseren Regelungen will.
In diesem Frühjahr bringen wir das Fachkräftezuwanderungsgesetz auf den Weg. Alle Maßnahmen für Menschen, die bereit sind, Deutsch zu lernen, sich in die Gesellschaft zu integrieren und hier einen Arbeitsplatz anzunehmen, werden nur auf Zustimmung in der Bevölkerung treffen, wenn wir konsequent auch die außer Landes bringen, die als Intensivstraftäter aufgefallen sind und unsere Rechtsordnung mit Füßen getreten haben.
Angehörige der Bundespolizei haben beklagt, die Begleitung der Abschiebung abgelehnter Asylbewerbern sei zu personalintensiv und eine starke psychische Belastung. Ein Überführungsflug kann fast 40 Stunden in Anspruch nehmen. Zudem gebe es keine angemessene Bezahlung für diesen schwierigen Einsatz. Was sagt das Bundesinnenministerium zu der Kritik?
Abschiebungen sind ein mühsames und mit Sicherheit auch kein angenehmes Geschäft. Aber es ist notwendig, es zu tun. Ich bin überzeugt, dass unsere Rechtsordnung nur akzeptiert wird, wenn gewisse Verhaltensweisen rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Ich habe persönlich großen Respekt vor der Arbeit der Bundespolizei, und wir werden auch hier einiges verbessern. Derzeit sind 1100 Mitarbeiter der Bundespolizei für die Durchführung von Abschiebeflügen besonders geschult. Die Zahl dieser Polizeibeamten wird auf über 2000 erhöht. Zudem werden wir eine finanzielle Zulage für diese Bundespolizisten ermöglichen, um die besondere Mehrbelastung zu berücksichtigen.
Laut Polizeigewerkschaft finden sich kurzfristig nur wenige Kolleginnen und Kollegen, die Abschiebung umsetzen.
Die 1100 Beamtinnen und Beamten in der Bundespolizei haben sich freiwillig gemeldet, um an Abschiebeflügen teilzunehmen. Es wird keiner gezwungen, die Flüge zu begleiten. Die Vollzugsbeamtinnen und -beamten der Bundespolizei sind generell sehr gut geschult und sehr gut qualifiziert. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass jede Bundespolizistin und jeder Bundespolizist in der Lage ist, einen Abschiebeflug zu begleiten. Aber es gibt mit Sicherheit auch schwierige Flüge, zum Beispiel nach Afghanistan, die es rechtfertigen, dass diese Beamtinnen und Beamten eine besondere Qualifikation brauchen.
Über Amberg haben wir bereits gesprochen. In Bottrop und Essen hat ein Mann aus offenkundig fremdenfeindlichen Motiven versucht, Menschen zu überfahren. An Silvester wurden Einsatzkräfte bedroht oder angegriffen. Verstehen Sie, dass Bürger sich fragen, was hier eigentlich schief läuft?
Ich bin der festen Überzeugung, dass es bei Angriffen und Gewaltexzessen gegenüber Menschen keinerlei Toleranz geben darf. Die Justiz muss alle Straftaten verfolgen - seien es fremdenfeindliche Straftaten wie in Bottrop und Essen oder Straftaten von Ausländern. Alle Fälle müssen nachdrücklich verfolgt werden. Die Übergriffe in der Silvesternacht gegenüber Polizisten oder Feuerleuten wie in Hamburg besorgen mich besonders. In bestimmten Teilen der Gesellschaft erleben wir eine Verrohung und eine Zunahme der Gewaltbereitschaft. Genau genommen gilt ein Angriff gegen einen Feuerwehrmann ja nicht der Person, sondern dem Staat. Diese Menschen werden als Vertreter des Staates angepöbelt, beleidigt oder tätlich angegriffen. Diese Verrohung ist nicht akzeptabel.
Wo sehen Sie die Ursachen?
Leider ist das eine schleichende, längerfristige Entwicklung. In Teilen unserer Gesellschaft gibt es ein bröckelndes Vertrauen gegenüber staatlichen Institutionen. Wenn ich mit Bürgerinnen und Bürgern spreche, höre ich immer wieder, wie hoch das Ansehen von Polizei, THW oder auch freiwilligen Helfern ist. Aber es gibt am linksextremen und rechtsextremen Rand der Gesellschaft Gruppen, die den Staat ablehnen oder gar aktiv bekämpfen wollen. Diese Menschen schrecken in Ausnahmesituationen auch nicht davor zurück, Vertreter des Staats anzugreifen.
Die Zahlen der Kriminalitätsstatistiken sind in vielen Bereichen rückläufig, und dennoch fühlen sich einige Menschen unsicher oder sind verunsichert. Wie kann die Politik darauf eingehen?
Deutschland ist ein ausgesprochen sicheres Land, das sagt auch die polizeiliche Kriminalitätsstatistik. Es gibt sicher an einigen Stellen Handlungsbedarf. Aber Aktionismus hilft nicht weiter. In dieser Legislaturperiode haben wir 12.600 zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei geschaffen. Damit haben wir ein Drittel mehr aktive Vollzugsbeamte im Einsatz. Und diese Strategie werden wir weiter verfolgen.
Und wir müssen uns im Bundesinnenministerium noch intensiver um die Cyber-Sicherheit kümmern, hier liegen die größten Gefahren für unsere Infrastruktur. In diesem Jahr wollen wir ein zweites IT-Sicherheitsgesetz vorlegen. Wir werden uns außerdem mit dem Staatsangehörigkeitsrecht beschäftigen. Wenn Bürger sich terroristischen Organisationen im Ausland anschließen und zwei Staatsangehörigkeiten haben, werden wir ihnen künftig die deutsche Staatsangehörigkeit aberkennen können. Das kommt noch 2019.
Mit Stephan Mayer sprach Hero Warrings
Quelle: ntv.de