
SPD-Chef Klingbeil und Sicherheitsexperte Heusgen diskutieren über Deutschlands Herausforderungen.
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Die deutsche Verteidigungspolitik ist so herausgefordert wie lange nicht. Der neue Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, hat darüber ein Buch geschrieben und mit SPD-Chef Lars Klingbeil diskutiert - über schwierige Fragen und wie man sie entscheidet.
Dass die großen Strategien scheitern, wenn im Konkreten nichts entschieden wird, macht Christoph Heusgen mit einer simplen Frage an Lars Klingbeil deutlich, und bei simplen Fragen geht es meistens um Geld: "Unterstützen Sie denn jetzt die Forderung von Pistorius, dass wir auf den Verteidigungshaushalt 10 Milliarden drauftun?"
Ja oder nein, könnte Heusgen, neuer Chef der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), noch ergänzen, tut er aber nicht. In seiner Frage an den SPD-Vorsitzenden ist auch so klar geworden, dass im Jahr 2023 ein beliebtes Motto deutscher Verteidigungspolitik nicht mehr funktionieren wird: Schauen wir mal - entscheiden wir später.
Heusgen, der zur MSC ab kommenden Freitag allein mehr als 40 Staats- und Regierungschefs in München erwartet, hat zuvor aus eigener Erfahrung geschildert, wie schwierig es ist, sich in Deutschland für eine Erhöhung des Verteidigungsetats zu entscheiden. Noch schwieriger: die dann auch wirklich umzusetzen.
Der Diplomat war ab 2005 für zwölf Jahre der sicherheitspolitische Berater der damaligen Kanzlerin Angela Merkel. Für eine Vorstellung seines Buches "Führung und Verantwortung" hat er Lars Klingbeil eingeladen, um mit ihm offene Fragen einer deutschen Sicherheitsstrategie zu besprechen, die am Ende aber - das wird an diesem Morgen deutlich - in Konkretes münden müssen: 10 Milliarden Euro drauf auf den Etat von Verteidigungsminister Boris Pistorius oder nicht? Ja oder nein?
Es spricht für die Ernsthaftigkeit, mit der Heusgen und Klingbeil die Unterredung führen, dass der SPD-Chef diese konkrete Frage auch konkret beantworten wird. Zuvor aber möchte er der Darstellung in Heusgens Buch widersprechen, der Widerstand der SPD sei für vieles verantwortlich, was an deutscher Außenpolitik in vergangenen Jahren falsch lief. So wurde Deutschland oft dafür kritisiert, dass es mit Verteidigungsetats von 1,2 oder 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung nie das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreichte.
"Wir haben uns zu sicher gefühlt"
Klingbeil nennt die Haltung, die seiner Meinung nach zu diesem Fehler geführt hat: "Wir haben uns zu sicher gefühlt in Deutschland." Aus seiner Sicht ist es immer Konsens gewesen, zu sagen, "wir wollen mehr für die Bundeswehr machen, aber wir sind in einer weltpolitischen Lage, wo das nicht die Dringlichkeit hat, das zu tun". Unter diese Haltung zieht der SPD-Chef einen Schlussstrich: "Das ist mit dem 24. Februar weg."
Folgerichtig beantwortet Klingbeil Heusgens Frage schließlich positiv: "Wir brauchen eine vernünftige finanzielle Ausstattung der Bundeswehr. Da bin ich Pistorius auch dankbar, dass er die Debatte nochmal aufgemacht hat, das hat meine Unterstützung, um das ganz klar zu sagen."
Eine deutliche Aussage ist das. Und eine, die Boris Pistorius - seit knapp einem Monat im Amt - brauchen wird, wenn er eine Aufstockung seines Etats von 50 auf 60 Milliarden Euro durchsetzen will.
Wie schwierig das ist, kann Christoph Heusgen aus eigener Erfahrung darstellen. Er war dabei, als auf dem NATO-Gipfel 2014 in Wales das Zwei-Prozent-Ziel bekräftigt wurde. Die Kanzlerin habe ihn gefragt sowie Frank-Walter Steinmeier und Ursula von der Leyen, damals an der Spitze von Außen- und Verteidigungsministerium: "Stehen wir alle dahinter?" Und sie standen alle dahinter.
"Anschließend in der Umsetzung haben wir uns so unglaublich schwergetan, diese Zuwachsraten, die das ja bedeutet hätte, in den Haushalt zu tun", erzählt Heusgen. Dieses Grundproblem sieht er nun wieder und die Notwendigkeit für eine "echte Wende", die dafür sorge, "dass wir bereit sind, 10 Milliarden mehr in den Haushalt zu tun und gleichzeitig eine Diskussion führen: Wo schneiden wir das ab? Das ist ganz, ganz schwierig. Das war 2014 schwierig und das ist 2023 schwierig."
Klingbeil moderierte damals AKKs Vorstoß ab
Wie hoch in der 10-Milliarden-Euro-Frage zu bewerten ist, dass Klingbeil das "mal ganz klar" unterstützt, wird umso deutlicher, wenn man sich drei Jahre zurückerinnert: Damals plädierte Annegret Kramp-Karrenbauer als CDU-Verteidigungsministerin für ein Aufstocken des Wehretats, was auch einer Forderung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump entsprach. Klingbeil moderierte AKKs Vorstoß ab, ohne den Hauch einer Debatte: Eine Aufrüstung der Bundeswehr nach Trumps Vorstellungen werde es mit der SPD nicht geben. Seine Partei wolle nicht "Trumps Verteidigungsfantasien" erfüllen.
In den drei Jahren seit dieser Aussage ist Enormes passiert. In Europa muss sich ein souveräner Staat gegen einen russischen Überfall verteidigen, das deutsche Parlament stimmte für ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für Rüstungsausgaben - mit den Stimmen von SPD, Grünen, FDP und Union. Vor die Lage kommt Deutschland damit allerdings noch nicht.
Viele Sicherheitsexperten sagen voraus, dass es bei den seinerzeit beschlossenen "zwei Prozent" der NATO nicht bleiben wird - angesichts der Unsicherheit in der heutigen Weltlage. Man werde wohl bald über 2,5 bis 3 Prozent reden müssen. Im Kalten Krieg hat Deutschland übrigens auch schon mal 3,8 Prozent des Bruttoinlandproduktes für Waffen ausgegeben.
Und Geld allein wird nicht genügen, auch hier wird Klingbeil deutlich: "Wir müssen einen Pakt mit der Verteidigungsindustrie in Deutschland schließen, alle an einen Tisch, es muss einen Handschlag geben, zu sagen: Die nächsten 15, 20 Jahre wird massiv investiert." Investitionssicherheit und Planungssicherheit müsse die Politik garantieren. "Damit können Produktionsstätten und Rüstungsabläufe hochgefahren werden." Deutschland müsse auch lernen, "von der Stange" zu kaufen.
Wieder klingt Klingbeil sehr entschieden bei dem Ansinnen, das neue "Deutschland-Tempo" in die Rüstungsbranche zu bringen. Vor allem aber gehört es ins Ministerium der Verteidigung, denn das gilt als Bürokratiemonster. Die renommierte Münchner Konferenz wird ihm ab Freitag weitere Argumente liefern für mehr Geld, mehr Tempo und mehr Pragmatismus. Ihr Leiter hat für den Moment noch ein konkretes Argument parat: "Wir haben die Zeitenwende und Putin steht vor der Tür."
Quelle: ntv.de