MIT-Chef Linnemann im Interview "Wir müssen etwas für Geringverdiener tun"
15.10.2016, 19:31 Uhr
Carsten Linnemann wirft dem Wirtschaftsminister vor, seine Kernkompetenzen aus dem Blick verloren zu haben.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Rente mit 63 ist gescheitert, deutsche Start-Ups haben den Anschluss verpasst und der sozialdemokratische Wirtschaftsminister lebt die soziale Marktwirtschaft nicht mehr: n-tv.de spricht mit dem Vorsitzenden der Mittelstandsvereinigung der Union über die Baustellen der deutschen Politik und Wirtschaft.
n-tv.de: In weniger als 12 Monaten wird ein neuer Bundestag gewählt. Ein großes Wahlkampfthema könnte die Rente sein. Sollte die Große Koalition jetzt noch Veränderungen auf den Weg bringen oder den Status quo wahren?
Carsten Linnemann: Ich finde, es muss jetzt Schluss sein mit Versprechungen im Wahlkampf zum Thema Rente. Wir brauchen Planungssicherheit für eine ganz lange Zeit. Und wir sollten aus Fehlern lernen. Mit der Rente mit 63 wollte man Dachdecker oder Gerüstbauer erreichen. Ich kenne nicht einen einzigen Dachdecker unter den 700.000 Bürgern, die die Rente mit 63 in Anspruch genommen haben. Mehr muss man nicht sagen. Wir müssen vor allem etwas für Geringverdiener bei der betrieblichen Altersvorsorge tun, die im Rentenalter bedürftig sein werden.
Sie als promovierter Volkswirt haben die Entwicklungen bei Tengelmann/Kaiser's und Sigmar Gabriels Kommentare zur Deutschen Bank mit verfolgt. Wie sieht der Chef der Mittelstandsvereinigung solche Äußerungen?
Was ich an Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel traurig finde ist, dass er die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft überflüssig gemacht hat. Vielleicht sollte er öfter mal an seinen Vorgänger Ludwig Erhardt denken. Gabriel lebt unser Wirtschaftssytem nicht mehr. Edeka/Tengelmann ist ein typisches Beispiel. Der Bundeswirtschaftsminister hat die Ausnahme zur Regel gemacht. Wenn wir die soziale Marktwirtschaft selbst nicht mehr leben, dürfen wir uns nicht wundern, wenn immer mehr Menschen hierzulande den Eindruck haben, dass es nicht mehr gerecht zugeht. Und das kann doch nicht angehen.
Schauen wir auf die deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen. Volkswagen oder auch Deutsche Bank haben derzeit große juristische Probleme vor Gerichten in den USA. Erleben wir eine neue Form der amerikanischen Industriepolitik, die sich über Gerichtsverfahren definiert?
Ich finde es legitim, wenn in diesen Fällen rechtliche Schritte eingeleitet werden. VW muss sich ja an die eigene Nase fassen. Dass die EU-Kommission gegen Google vorgeht, ist völlig richtig. Ich bin sehr dafür, dass diese Unternehmen auch da die Steuern zahlen, wo sie Gewinne erwirtschaften. Aber was die Wirtschaftsbeziehungen an geht, sehe ich bei vielen erfolgreichen Startups in den letzten Jahren nur Champions in den USA und Asien. Seien es Airbnb oder Facebook. Wir haben tolle Gründer in Deutschland, aber da haben wir den Anschluss verpasst. Da muss bei uns was passieren.
Es gibt doch viele Startups in Deutschland. Muss Europa andere Rahmenbedingungen schaffen?
Wir müssen in Europa dringend den Umgang mit anonymisierten Daten regeln. Das ist auch eine gesellschaftliche Debatte. Es muss dafür eine europäische Lösung geben. Und wir müssen dringend handeln, wenn wir den Anschluss auch technisch nicht verpassen wollen. Das Thema Digitalisierung muss beschleunigt werden. Deshalb schlagen wir vor, dass der deutsche Staat endlich seine Anteile an der Deutschen Telekom verkauft und die Milliarden in Glasfasernetze und den Ausbau steckt. Wieso muss Deutschland überhaupt noch Aktien an der Deutschen Telekom halten?
Mit Carsten Linnemann sprach Hero Warrings.
Quelle: ntv.de