Politik

Interview mit Norbert Röttgen "Wir sind nicht Kriegspartei"

Der CDU-Politiker Norbert Röttgen fordert schnellere Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Bundesregierung bringe jede Woche eine neue Erklärung vor, warum die Lieferungen so langsam vonstattengehen. "Man muss darum vermuten, dass es am mangelnden politischen Willen liegt", so Röttgen im Interview mit ntv. "Das ist nicht okay."

ntv: Sie haben ein Buch unter dem Titel veröffentlicht "Nie wieder hilflos. Ein Manifest in Zeiten des Krieges". Sind wir momentan hilflos, Herr Röttgen?

Norbert Röttgen: Wir haben uns immer wieder hilflos gezeigt. Auf einmal war der Krieg da, mit dem die wenigsten gerechnet haben. Vorher gab es die Pandemie. Die stand zwar in den Büchern, aber wir waren nicht vorbereitet. Davor war die Flüchtlingskrise. Die Flüchtlinge waren auch schon da, aber wir waren auf die Krise nicht vorbereitet. Immer wieder sind wir hilflos. Das müssen wir ändern.

Welche Konsequenz ziehen Sie daraus? Was muss sich möglichst schnell ändern?

Wir müssen uns mehr von Realitäten leiten lassen als von unserer Wunschvorstellung von der Realität. Und wir müssen strategische Vorausschau auf Krisen machen. Wir müssen analysieren, welche Krise die nächste sein wird. Und das müssen wir verändern - in unserer Mentalität wie in der Organisation, wie wir Politik machen.

Sprechen wir über die Ukraine. Die Bundesregierung soll schwere Waffen liefern, fordert die Union. Ist das auch Ihre Meinung?

Ja. Die Ukraine ist angegriffen. Sie hat das Recht, sich zu verteidigen. Sie verteidigt die politische Ordnung, Frieden und Freiheit in Europa auch für uns. Und darum sollten wir und müssen sie sogar unterstützen. Es müsste außerdem deutlich schneller und nicht so zögerlich sein.

Dem Bundeskanzler ist auch aus Ihren Reihen vorgeworfen worden, auf Zeit zu spielen und letztlich nicht für einen Sieg der Ukraine zu sein. Ist das auch Ihre Sichtweise?

Wir müssen feststellen, dass es immer so lange dauert. Deutschland, das größte Land in der Europäischen Union, ist immer das letzte Land. Das sorgt für großen Unmut. Und es wird auch jede Woche eine neue Erklärung geliefert, warum wir so langsam sind. Und man muss darum vermuten, dass es am mangelnden politischen Willen liegt, die Ukraine mit schweren Waffen zu unterstützen. Das ist nicht okay. Der Bundestag hat nämlich mit Mehrheit das Gegenteil beschlossen.

Wir sind ja indirekt durch die Waffenlieferungen jetzt schon Kriegspartei. Welches Ziel haben wir eigentlich? Was sollte am Ende dieser Auseinandersetzung stehen?

Wir sind nicht Kriegspartei, sondern wir unterstützen das angegriffene Land in der Wahrnehmung seines anerkannten Selbstverteidigungsrechts. Das Ziel unserer Unterstützung ist, den Beweis zu erbringen, dass sich Krieg nicht lohnt. Wir müssen den Krieg wieder verbannen aus Europa. Das wird nur gelingen, wenn er nicht erfolgreich ist. Und darum müssen die russischen Truppen mindestens wieder dahin, wo sie vor Kriegsbeginn waren.

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Ihr Buch beschäftigt sich auch mit China. Ist China nicht langfristig für den Westen, für den Wohlstand in Europa, eine größere Bedrohung als Russland?

Absolut. China ist in jeder Hinsicht eine ganz andere Größenordnung als Russland. Russland hat Nuklearraketen und Energie, aber sonst nicht viel. In China leben 1,4 Milliarden Menschen, das Land ist in manchen Bereichen heute schon Technologieführer und hat den Willen, grundlegend die Ordnung zu ändern. China will die Ordnung des Rechts durch die Ordnung von chinesischer Macht ersetzen. China ist die eigentliche Herausforderung, die größte Herausforderung der nächsten Jahre.

Ist Europa ohne die Hilfe der USA aufgeschmissen?

Das ist leider immer noch die Lage. Wir sehen es jetzt auch wieder in diesem europäischen Krieg. Die USA sind das Rückgrat der Unterstützung der Ukraine und auch der Europäer in der Unterstützung. Das ist positiv. Aber wir haben ja auch gelernt: Wir können uns darauf nicht verlassen. Vielleicht wird Donald Trump wieder der Nachfolger von Joe Biden werden, und der würde das ganz anders machen. Die Europäer müssen nicht gegen die USA, aber doch selbstständiger werden in der Verteidigung unserer Ordnung, unseres Europas. Das müssen wir lernen. Der Kalte Krieg ist schon über 30 Jahre vorbei.

Mit Norbert Röttgen sprach Christian Wilp

Quelle: ntv.de

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