Ukraine-Diskussion bei Illner "Wir wollen, dass Russland uns in Ruhe lässt"
04.02.2022, 03:49 Uhr
Am Donnerstagabend wurde bei Maybrit Illner über die Ukraine-Krise diskutiert.
(Foto: picture alliance/dpa/ZDF)
In der Ukraine-Krise stehen die Zeichen auf Verhandlung. So will sich Bundeskanzler Olaf Scholz in den nächsten Tagen unter anderem mit Russlands Präsident Wladimir Putin treffen. Eine mögliche russische Eskalation ist am Donnerstagabend auch Thema bei Maybrit Illner im ZDF.
In der aktuellen Ukraine-Krise ist gerade viel Bewegung zu beobachten. Russische Soldaten sind an die ukrainische Grenze marschiert, Deutschland hat sich in den vergangenen Wochen ins Abseits manövriert. Wirklich ernst genommen wurden die letzten Schritte der deutschen Regierung nicht. So bezeichnete der Bürgermeister von Kiew, Wladimir Klitschko, die angekündigte Lieferung von 5000 Helmen als "absoluten Witz".
Jetzt jedoch scheint die Bundesregierung zum Handeln bereit. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte am Mittwochabend im ZDF Gespräche mit US-Präsident Biden und Russlands Präsident Putin an. Eine Reise nach Washington und Moskau steht unmittelbar bevor. Unterdessen schicken die USA Soldaten in die Region, und Präsident Biden droht Putin bei einer weiteren Eskalation mit harten Gegenmaßnahmen. Die Frage ist: Was will Putin eigentlich? Darauf versuchen am Donnerstagabend die Gäste in der Talkshow Maybrit Illner im ZDF eine Antwort zu finden.
Ein Kenner der europäischen Politik ist Martin Schulz. Der ehemalige Präsident des EU-Parlaments erklärt zunächst die Angelegenheit mit den Helmen: Die vergangene Bundesregierung habe beschlossen, keine tödlichen Waffen in Krisengebiete zu liefern. Die Ukraine habe Helme benötigt. Auch der CDU-Außenpolitik-Experte Norbert Röttgen glaubt, Helme seien zunächst eine richtige Lösung gewesen. "Die Ukraine braucht Waffen, aber nicht von uns", sagt er. Das Land sei bedroht. "Russland hat mit über 130.000 Soldaten eine invasionsfähige Armee zusammengestellt, und die Ukraine hat das Recht, sich zu verteidigen", erklärt Röttgen. Deutschland verfüge aber über besondere Gesprächsmöglichkeiten mit Russlands Präsident Putin. Röttgen: "Wenn wir Waffen lieferten, würden wir diese Einflussmöglichkeiten zerstören."
Das sieht Grünen-Chef Omid Nouripour ähnlich. Das oberste Ziel müsse sein, dass es in Europa nicht zu einem Krieg käme, und Deutschland müsse im Moment alles tun, um die russische Seite nicht unnötig zu provozieren. Allerdings fordert er auch: "Wir müssen deutlich machen, dass wir eine weitere russische Aggression nicht werden laufen lassen und dass das einen harten Preis haben wird."
Die Politikwissenschaftlerin und Sicherheitsexpertin Ulrike Franke würde Waffenlieferungen an die Ukraine jedoch für richtig halten. Damit könne man das Land schützen, und auf Russland könnten sie abschreckend wirken. Mit Waffenlieferungen könne man die Kosten eines russischen Angriffs in die Höhe treiben. So könne es gelingen, dass sich Russland die Sache noch einmal überlegt.
Russischer Wissenschaftler: "Wollen keine heiße Phase"
Doch will Russland überhaupt die Ukraine angreifen? Der russische Politikwissenschaftler Wladislaw Below hat darauf eine klare Antwort: "Nein." Der wissenschaftliche Direktor des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau erklärt, das einzige Ziel sei die russische Sicherheit. Es könne nicht sein, dass in Ländern wie Polen oder im Baltikum NATO-Raketen stationiert seien, die russische Städte bedrohten. Darüber habe Putin mit den Vereinigten Staaten verhandeln wollen. Die hätten sich bisher geweigert. "Man hat alle Dialoge eingefroren", sagt Below. "Jetzt ist es endlich gelungen, den Westen an den Verhandlungstisch zu bringen."
Für den Grünen Omid Nouripour wirkt das unlogisch. "Wenn ein Land mit einem zweiten Land ein Problem hat, warum greift er dann ein drittes Land an?", fragt er. Ein Einmarsch in die Ukraine sei überhaupt nicht geplant, meint Below. "Russland ist nicht daran interessiert, dass es zu einer heißen Phase kommt." Hätte Russland die Ukraine besetzen wollen, hätte Russland das längst getan, ist sich Below sicher: "Putin bezweifelt nicht, dass die Ukraine ein eigener Staat ist." Allerdings sei der russische Präsident der Ansicht, dass der "postsowjetische Raum" bestehende Krisen zu überwinden habe.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen glaubt, in Putins Handeln andere Beweggründe zu erkennen. Putin sei mit der Ordnung nicht einverstanden, die sich nach dem Kalten Krieg gebildet habe. "Er sieht Russland an den Rand gedrängt. Um ihn herum gibt es überall die Forderung der Menschen nach demokratischer Selbstbestimmung. Das ist eine Bedrohung seiner Macht." Zudem nehme Putin die Europäische Union nicht ernst. Sie sei gespalten und uneinig, und deswegen versuche er, die Länder aufeinander zu hetzen.
"Wir müssen die Eskalation stoppen"
Martin Schulz sieht es genauso. Deswegen fordert er, man solle zunächst einmal klären, wer denn eigentlich die Verhandlungen mit Putin führen wolle. Ein möglicher Partner könne die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) sein. Dass Bundeskanzler Scholz jetzt in die USA und nach Russland reisen wolle, sei ein gutes Zeichen. "Die Russen nehmen die EU als Institution nicht ernst, aber die starken Mitgliedsstaaten wie Deutschland und Frankreich schon. Deshalb glaube ich, dass eine deutsch-französische Initiative ein sehr zielführender Vorgang sein könnte."
Wichtig ist für Schulz, die aktuelle russische Eskalation zu stoppen. Und er weist auf das Problem möglicher Wirtschaftssanktionen hin. Russland ist laut Schulz nicht wehrlos. Das Land sei nicht nur ein wichtiger Gaslieferant, sondern auch der drittgrößte Erdölexporteur der Welt.
Auf ein ganz anderes Problem weist die ukrainische Verlegerin Kateryna Mishchenko hin. Ihr geht es nicht so sehr um Putin. Für sie sei es wichtig, was Deutschland und Europa wollen: "Wir sehen, dass oftmals die Geschäfte leider viel wichtiger sind als die gelobten europäischen Werte und Prinzipien." Was die Ukraine fordere, sei in diesem Zusammenhang klar, sagt Mishchenko: "Wir wollen keinen Krieg. Wir wollen unser Land aufbauen. Und wir wollen, dass Russland uns in Ruhe lässt!"
Quelle: ntv.de