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Treffen mit Letzter Generation Wissing gibt Aktivisten die doppelte Zeit

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Wissing am Montag in einer Berliner U-Bahn bei der Vorstellung des 49-Euro-Tickets - ein gemeinsames Foto mit den Aktivisten gab es nicht.

Wissing am Montag in einer Berliner U-Bahn bei der Vorstellung des 49-Euro-Tickets - ein gemeinsames Foto mit den Aktivisten gab es nicht.

(Foto: IMAGO/Emmanuele Contini)

Die Klimaaktivisten der Letzten Generation versuchen Berlin lahmzulegen und scheitern damit zwar, bekommen aber einen Termin bei Verkehrsminister Wissing. Das Gespräch dauert überraschend lange. Nutzt es wenigstens einer der beiden Seiten?

"Glückauf" steht auf dem schmiedeeisernen Portal des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr in Berlin-Mitte, durch das am frühen Nachmittag drei Klimaaktivisten der Letzten Generation schritten, um das Gespräch des Tages zu führen - ausgerechnet mit Verkehrsminister Volker Wissing. "Glückauf", das ist der Gruß der Bergarbeiter, deren Kohle einst zwar das Wirtschaftswunder mit ermöglichte, die mittlerweile allerdings zum absoluten Bad Boy der Energiepolitik herabgesunken ist. Auch wenn sie nach Putins Ukraine-Überfall eine kleine Wiedergeburt erlebte.

Bei dem Gespräch herausgekommen ist erwartungsgemäß wenig. Aber niemand dürfte gedacht haben, dass die Aktivsten anschließend aus dem Gebäude kommen, die Klebstoffe niederlegen und sagen: "Herr Wissing hat uns überzeugt, unser Protest führt zu nichts." Auch Wissing, der gerade erst die Aufweichung des Klimaschutzgesetzes feierte und den E-Fuel-Sieg von Brüssel im Rücken hat, machte vorher nicht den Eindruck, sich überzeugen lassen zu wollen. "Null Toleranz für Straftäter", hatte er am frühen Morgen im Deutschlandfunk gesagt.

Festzuhalten bleibt: Das Gespräch dauerte immerhin zwei Stunden und damit eine länger als angekündigt. Anschließend sagte die Delegationsleiterin der Letzten Generation, Lea Bonasera, das, was man so sagt, wenn eigentlich nichts Konkretes bei einem Gespräch herausgekommen ist: Dass ebenjenes in menschlich freundlicher Atmosphäre stattgefunden habe, und dass es konstruktiv gewesen sei. Immerhin, es soll ein zweites Gespräch geben, Mitte Mai, wenn Wissing das gesetzlich erforderliche Sofortprogramm mit Klimaschutzmaßnahmen vorgelegt haben soll. Viel mehr wollte Bonasera nicht sagen und rauschte mitsamt ihren beiden in schwarzen Anzügen erschienenen Mitstreitern ab.

Wissing hingegen ließ sich nach einem ausführlichen Statement vor dem Gespräch nicht wieder blicken. Bei Verhandlungen, sei es zwischen Russland und den USA oder IG Metall und Arbeitgebern, ist es immer ein gutes Zeichen, wenn Vertreter beider Seiten am Ende gemeinsam vor die Kameras treten. Wobei Wissing aber vorher klargestellt hatte, dass er keine Verhandlungen führen oder Vereinbarungen treffen wolle. Es gehe darum, miteinander zu reden, hatte er dem Deutschlandfunk gesagt. Das müsse in einer Demokratie sein.

Berlin wurde nicht "lahmgelegt"

Das stimmt zwar, war aber dennoch überraschend. Denn wenn sich in den vergangenen Monaten eine Partei als Anwalt der Autofahrer inszeniert hat, dann war es die FDP - mit Wissing als Verkehrsminister an vorderster Front. In Brüssel boxte er durch, dass auch nach 2035 Autos mit Verbrennungsmotor zugelassen werden dürfen, wenn sie nur mit E-Fuels betankbar sind. Im Koalitionsausschuss erkämpfte seine Partei, dass das Wissing-Ressort künftig von den unangenehmen Seiten des Klimaschutzgesetzes befreit wird: Reißt der Verkehrssektor die Klimaziele erneut, muss nach den neuen Plänen kein Sofortprogramm mehr her. Das hätte möglicherweise Tempolimits oder gar Fahrverbote bedeutet. Ein Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen zählt aber zu den prominentesten Forderungen der Letzten Generation, genau wie ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket für den ÖPNV.

Um für diese Ziele zu werben, hatten die Aktivisten eine Woche lang versucht, Berlin "lahmzulegen", und sich hundertfach, übrigens auch an diesem Morgen, auf Straßen der Hauptstadt festgeklebt. Natürlich ist es ihnen nicht gelungen, den Verkehr in der 3,7-Millionen-Einwohner-Stadt zum Stillstand zu bringen. Aber, wie auch Sprecherin Aimée van Baalen am Morgen im "Frühstart" bei ntv sagte: Es ging nicht um die Stadt Berlin, sondern darum, Aufmerksamkeit für die Sache zu schaffen.

Das erklärt vermutlich auch die Anziehungskraft des Gesprächs mit dem Gegenspieler Wissing. Es kam zustande, nachdem der FDP-Politiker vor einiger Zeit mangelnde Gesprächsbereitschaft der Aktivisten beklagt hatte. Die forderten ihn daraufhin zum Dialog auf - für den der Minister dann den Termin im Gespräch mit ntv bekannt gab.

Überraschend zahm, aber ...

Was inhaltlich im Ministerium auf den Tisch kam, drang nicht nach draußen, jedenfalls nicht direkt nach dem Gespräch. Doch ihre argumentativen Pflöcke hatten Wissing und die Aktivisten schon zuvor eingeschlagen. Wissing machte es rhetorisch geschickt, indem er behauptete, die Ziele der Letzten Generation würden zu weniger statt zu mehr Klimaschutz führen. Denn, so seine Logik, wer ein 9-Euro-Ticket fordere, verhindere Investitionen in Bus und Bahn und tue damit weniger für den Klimaschutz als die Bundesregierung es plane. Der Minister zeigte sich öffentlich darüber befremdet, dass die Aktivisten nur dieses Billig-Ticket und das Tempolimit forderten.

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Das wirkt zwar tatsächlich überraschend zahm, aber natürlich sind die Ziele der Letzten Generation damit nicht vollumfänglich beschrieben. Im Gegenteil, sie werfen der Bundesregierung sogar Verfassungsbruch vor, weil sie nicht genug für das Zwei-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens tue.

Auch wenn das Gespräch weitgehend folgenlos bleiben dürfte, könnte es für die Teilnehmer durchaus Vorteile gehabt haben. Wissing muss sich nun nicht mehr mangelnde Gesprächsbereitschaft vorwerfen lassen. Und die Letzte Generation, eigentlich eine Randgruppe im Meer der Klimaschützer, kann sich freuen, auf Augenhöhe mit der Regierung zu reden und das Thema Klimaschutz, und natürlich auch sich selbst, in die Medien zu bringen. Das "Glückauf" an der Pforte des einst als Bergbauakadamie errichteten Ministeriumsgebäudes war für beide Seiten also ein durchaus passender Gruß.

Quelle: ntv.de

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