Kommentare zur Ampelkoalition "Zwei ausgewiesene Alphatiere im Kabinett"
09.12.2021, 12:25 Uhr
Der deutsche Regierungswechsel findet im Ausland große Beachtung, vor allem bei den EU-Partnern. Die dortigen Zeitungen verweisen auf die großen, auch internationalen Aufgaben - und vermissen auch ein bisschen Merkel.
"Es darf und soll in der Regierung mehr Auseinandersetzung und eine neue Lust auf konstruktives Streiten geben", schreibt der Wiener "Standard". "Allerdings lauern allerhand Fallstricke auf dem Weg der Ampel. Das Geld ist knapp, anders als Vorgängerregierungen muss die Ampel knapp kalkulieren, da die Corona-Hilfen gewaltige Löcher ins Budget gerissen haben." Auch die personelle Konstellation dürfte nicht immer einfach werden, heißt es weiter: "Scholz hat zwei ausgewiesene Alphatiere in seinem Kabinett sitzen. Super-Klima-Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wird beweisen wollen, dass er der Beste ist, Finanzminister Christian Lindner (FDP) ihm dabei in nichts nachstehen." Extrem unter Druck seien die Grünen. "Sie wissen, dass sie beim Klimaschutz bald liefern müssen. Doch es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass Lindner als gestrenger neuer Kassenwart einiges nicht finanzieren möchte", schreibt die Zeitung.

Es ist eine äußerst friedliche Machtübergabe, aber die ausländische Presse verweist auf die großen Herausforderungen der Zukunft.
(Foto: AP)
Der Zürcher "Tages-Anzeiger" verweist auf den Aufbruch unter Rot-Grün-Gelb, der aber auch schnell scheitern könnte: "Nach acht Jahren, in denen Christ- und Sozialdemokraten nur zusammen regierten, weil sich andere Partner nicht fanden, und 16 langen Jahren unter Angela Merkel als Kanzlerin, werden neue Kräfte frei. Viele Deutsche hoffen darauf, dass die Stagnation in vielen Bereichen enden und die Dinge wieder in Bewegung kommen mögen: beim Umbau der Gesellschaft in eine klimaneutrale etwa, beim Abbau der Bürokratie oder bei der Digitalisierung." Mit der Behauptung, ihre Regierung sei eine des "Fortschritts", preise die Ampel fürs Erste vor allem sich selbst, heißt es weiter. "In der Politik glückt Fortschritt für gewöhnlich nur durch starkes, langsames Bohren harter Bretter, wie der Soziologe Max Weber schrieb, nicht durch Fingerschnippen. Dieses Bohren beginnt jetzt erst. Und sollte es der Regierung zuvor nicht gelingen, die tödliche vierte Pandemiewelle unter Kontrolle zu bringen, wird schon am Ende dieses Winters nicht viel von ihrem Aufbruch übrig bleiben."
Die großen Herausforderungen beschreibt auch die französische "Le Monde": "Die neue Regierung ist jetzt am Ruder, ihr stehen gewaltige Anstrengungen bevor. Ihr Motto 'Mehr Fortschritt wagen' ist nichts anderes als das Versprechen, Deutschland wieder in Bewegung zu versetzen." Das brauche das Land wirklich. "Denn auch wenn die 'Merkel-Jahre' von einem glänzenden wirtschaftlichen Wohlstand gekennzeichnet waren, standen sie doch auch für mangelnde Reformbestrebungen." Das müsse das Land heute in Form von veralteten Infrastrukturen, eines wenig leistungsfähigen Verwaltungsapparates und einer sehr verspäteten Digitalwende ausbaden, heißt es weiter.
"Lidove noviny" aus Tschechien erinnert derweil an Merkel mit ihrer DDR-Sozialisation: "Die große Mehrheit der Deutschen applaudiert Angela Merkel dafür, dass sie das Land erfolgreich durch mehrere Krisen geführt hat. Eine Minderheit kritisiert die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge und den übereilten Ausstieg aus der Kernkraft." Doch es sei logisch, dass eine Politikerin, die 16 Jahre lang an der Spitze der Regierung stand, auch Fehler gemacht hat. "Weniger verständlich ist die harsche Kritik, die ihr dafür bis heute bei uns in Tschechien entgegenschlägt. Denn Angela Merkel war die erste und letzte Bundeskanzlerin mit persönlichen Erfahrungen mit dem Sozialismus. Sie hatte immer Verständnis für uns, die 'Schmuddelkinder aus dem Osten'. Wir werden uns noch sehnsüchtig an sie erinnern."
Die Außen- und Verteidigungspolitik nimmt die Londoner "Times" in den Blick: "Angesichts einer erneuten Bedrohung der Ukraine durch Russland darf die freie Welt nicht an den Verteidigungskapazitäten sparen. Es mag überraschen, dass die Koalitionspartner von Olaf Scholz ein starkes Bewusstsein für die Notwendigkeit gezeigt haben, die Expansionsbestrebungen Russlands und Chinas einzudämmen und unterdrückte Völker und Dissidenten zu unterstützen." Der Bundeskanzler habe auf eine Stärkung der Streitkräfte des Landes gedrängt. Dies seien wichtige Signale. "Präsident Wladimir Putin hat versucht, den Westen zu spalten, indem er durch die Nord-Stream-2-Pipeline Erdgas nach Deutschland liefert. Sollte er gegen die Ukraine vorgehen, deren Grenzen er bereits gewaltsam verändert hat, wird die neue Regierung in Berlin möglicherweise zwischen innenpolitischen Erwägungen und Bündnissolidarität wählen müssen. Es gibt Grund zur Hoffnung, dass Deutschland unter seiner neuen Regierung zu seinen Verbündeten steht."
Auch die niederländische Zeitung "de Volkskrant" verweist auf internationale Herausforderungen - und den Streitpunkt Nord Stream 2: "Auch der Ukraine-Konflikt könnte den Zusammenhalt der Koalition unter Druck setzen, noch bevor die Tinte auf Scholz' Ernennungsurkunde getrocknet ist. Laut der britischen 'Financial Times' fordert US-Präsident Joe Biden, dass Deutschland Nord Stream 2 stoppt, falls Russland die angeblichen Invasionspläne wirklich in die Tat umsetzt. Nord Stream 2, die umstrittene Pipeline, die Milliarden gekostet hat und Gas von Russland nach Deutschland und damit nach Europa bringen soll, war schon immer ein Streitthema. Insbesondere zwischen den Koalitionsparteien SPD und Grünen. Die SPD ist dafür, die Grünen sind vehement dagegen. Der amerikanische Druck könnte diese Bruchstelle wieder zum Vorschein bringen."
Quelle: ntv.de, mli/dpa