Exklusiv: Schlupfloch Schweiz Wie Russland die Öl-Sanktionen umgeht
22.03.2023, 15:40 Uhr (aktualisiert)
Bei der Überwachung des Öl-Embargos machen die Schweizer Behörden Dienst nach Vorschrift.
(Foto: picture alliance / dpa)
Im internationalen Öl-Embargo klaffen Lücken: Über die Schweiz fließt weiter russisches Öl Richtung Weltmarkt. ntv.de liegen exklusive Informationen vor, die zeigen, wie Öl-Schleuser unter den Augen der Eidgenossen die Sanktionen aushebeln.
In der Schweiz brach mit dem 24. Februar 2022 ein Geschäft zusammen - ein sehr lukratives, bis dato üppig sprudelndes Geschäft: Das Geschäft mit dem schwarzen Gold aus Russland. Allerdings zog sich der Zusammenbruch etwas hin. Mit dem Überfall auf die Ukraine war klar, dass die russische Militäroffensive und damit der Bruch des Völkerrechts auch erhebliche wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen würde. Sofort beschlossen die Europäische Union und die US-Regierung zwar erste Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Auch der milliardenschwere Handel mit russischem Öl geriet ins Fadenkreuz.
Nur dauerte es, bis rechtliche Schritte wirksam wurden. Erst neun Monate nach Kriegsbeginn trat schließlich das Ölembargo in Kraft. Seitdem sprudeln in der Schweiz die Öl-Milliarden nicht mehr so üppig - zumindest nicht sichtbar. Denn eine Studie der Züricher Nichtregierungsorganisation Public Eye, die ntv.de exklusiv vorliegt, zeigt nun, wie in der Alpenrepublik offenbar weiterhin im großen Stil Geld mit russischem Öl verdient wird.
"Die Schweiz drückt sich um die Umsetzung des Ölembargos", sagt Oliver Classen von Public Eye gegenüber ntv.de, "die Regierung vertraut stattdessen auf die Händler." Und das offenbar mit fatalen Folgen. Nach den Recherchen der Organisation ist der Sektor inzwischen "deutlich intransparenter geworden". Experten von Public Eye haben mit zahlreichen Rohstoffhändlern gesprochen, den meisten in Genf, wo bis zu ein Drittel des weltweiten Öls gehandelt wird.
Unter den Augen der Schweizer Behörden
Während sich die großen Spieler wie Vitol oder Glencore weitgehend an die rechtlichen Folgen hielten, sei in wenigen Monaten ein Geflecht von sogenannten Pop-Up-Tradern entstanden, das so gut wie kaum überprüft werde, ergeben die Recherchen.
So will Public Eye für die Firma Paramount Energy & Commodities nachgewiesen haben, dass allein dieses Unternehmen in den Monaten seit Kriegsbeginn mindestens 72 Millionen Barrel (zehn Millionen Tonnen) russisches Rohöl aus dem sibirische Hafen Kozmino, 100 Kilometer südöstlich von Wladiwostok gelegen, exportiert hat. Das entspräche acht Öltankern pro Monat. Nach Public-Eye-Informationen sei durch das Unternehmen russisches Öl auch nach Eintreten des Embargos im Dezember 2022 gekauft worden.
"Bei der Überwachung des Öl-Embargos machen unsere Behörden Dienst nach Vorschrift", sagt Classen zu ntv.de, "das kennen wir schon aus der Zeit, als es um das Aufspüren der Oligarchen-Gelder ging." ntv.de liegt exklusiv der Schriftverkehr der Nichtregierungsorganisation mit dem Schweizer Wirtschaftsministerium vor. Daraus geht hervor, dass die Alpenrepublik offenbar einen Sonderweg eingeschlagen hat bei der Umsetzung der Sanktionen.
Schweizer Sonderweg
Zwar will das Land nicht allein dastehen und hat sich dementsprechend festgelegt, die Wirtschaftssanktionen umzusetzen, auch den Ölpreisdeckel ("price cap"). Allerdings sieht man sich nicht als treibender Teil der Koalition. Auch will die Schweizer Regierung - so geht aus dem Mail-Verkehr hervor - "keine Over-Compliance". Zu viel Kontrolle ist anscheinend unerwünscht. Offenbar fürchten die Eidgenossen zu große Schäden für den Wirtschaftsstandort Schweiz.
"Die Unternehmen sollen die Dienstleistungen für russisches Erdöl weiter anbieten können", bestätigt das Wirtschaftsministerium in einer Mail, "die Einnahmen für Russland aber sollen durch den price cap verringert werden." Für Public Eye steht nach den monatelangen Recherchen fest, dass die Schweizer Politik nur ein mäßiges Interesse daran hat, die Sanktionen effizient umzusetzen. "Man hat offiziell die Sanktion zwar übernommen", so Classen weiter, "aber offenbar die Umsetzung übersehen".
Überweisungen an Briefkastenfirmen
Die laxen Kontrollen in der Schweiz scheinen inzwischen auch in Russland bekannt zu sein. Nach Public Eye-Recherchen gerät die Eidgenössische Republik nun sogar in den Fokus der sanktionierten Unternehmen. So soll ein Trader aus Genf den Rechercheuren von Public Eye von einem besonders pikanten Fall berichtet haben. Demnach sei er im Oktober 2022 von einer Tochterfirma des russischen Staatskonzerns Rosneft kontaktiert worden.
Das Unternehmen habe ihm zu einem sehr billigen Preis 100.000 Tonnen russischen Diesel angeboten. Der Preis sollte aber über ein Konto in Oman, das auf eine britische Briefkastenfirma laufe, abgewickelt werden. "Solche Konstruktionen sind offenbar gängig", sagt Classen. "Da werden direkte Geldflüsse an russische Unternehmen vermieden, indem ein kompliziertes internationales Finanzgeflecht geschaffen wird, das den eigentlichen Adressaten verschleiern soll."
Vor dem Ukrainekrieg gingen mehr als die Hälfte des gesamten russischen Ölexporte nach Europa. Auch Deutschland deckte ein Drittel seines Bedarfs über Importe aus Russland. Zwischen 50 und 60 Prozent des internationalen Handels sind nach Public-Eye-Schätzungen damals über die Schweiz abgewickelt worden. Ein Milliarden-Geschäft, auf das die Eidgenossen offenbar trotz Sanktionen weiterhin nicht verzichten wollen. "Unsere Recherchen zeigen, dass die Schweiz ein Schlupfloch für die Umgehung des Öl-Embargos ist", sagt Classen.
(Dieser Artikel wurde am Montag, 20. März 2023 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de