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Der NDR und die Meinungsvielfalt Die Absetzung von Julia Ruhs ist eine Torheit ohnegleichen

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Julia Ruhs warnt schon länger vor einer "links-grünen Meinungsmacht" - und wird nun vermeintlich darin vom NDR bestätigt.

Julia Ruhs warnt schon länger vor einer "links-grünen Meinungsmacht" - und wird nun vermeintlich darin vom NDR bestätigt.

(Foto: picture alliance / HMB Media)

Der NDR gibt sich alle Mühe, Misstrauen und Vorurteile über die ARD und Co. zu bestätigen. Erst einer rechtskonservativen Moderatorin eine Sendung zu geben, um sie beim ersten Gegenwind wieder fallen zu lassen: So schaufeln sich die Öffentlich-Rechtlichen ihr eigenes Grab.

Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk (ÖRR) hat seit Jahren ein Glaubwürdigkeitsproblem, weite Teile der Bevölkerung halten ihn für ein Instrument "linksgrüner" und "woker" Politik. In dieser Woche demonstrierten Entscheidungsträger des NDR, dass sie nicht gewillt sind, an diesem Image etwas zu ändern und ihrer Pflicht nachzukommen, diverse Standpunkte zuzulassen. Sie agieren - das kennt man aus der Politik - in einer realitätsfernen und kritikresistenten Blase, geben sich alle Mühe, Urteile und Vorurteile über die ARD und Co. zu bestätigen. Wozu leider auch zählt, die Bevölkerung für dumm zu verkaufen.

Norddeutscher und Bayerischer Rundfunk verfassten eine gemeinsame Erklärung zur "Zukunft" der Polit-Sendung "Klar", in der ein uralter PR-Trick zur Anwendung kam: Verstecke die Nachricht, die Ärger bringt, hinter einem Haufen positiv gefärbter Botschaften. In der Überschrift hieß es: "Das NDR/BR-Format geht weiter." Es folgte ein Versprechen: "Die Sendung soll auch in Zukunft Streitfragen aufgreifen, die in der Mitte der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden." Bis dahin müsste es jeden erfreuen, der sich verschiedene Sichtweisen auf das politische Geschehen in Deutschland wünscht und Moderatorin Julia Ruhs die Daumen gedrückt hat, weitermachen und einen Kontrapunkt zur sonstigen Berichterstattung im ÖRR setzen zu können.

Abgesetzt wegen Erfolgs?

Die zwei Sendeanstalten hauten sich unter Verweis auf eine Online-Umfrage auf die Schulter: 63 Prozent der Teilnehmer gaben "Klar" der Pressemitteilung zufolge die Schulnote 1 oder 2. "Unabhängig von Geschlecht, Alter, Bildung oder regionalen Unterschieden zeigt sich ein durchweg positives Bild. Das Format bedient den Wunsch nach Meinungsvielfalt sowie klarer Haltung." Erst ganz unten folgte die ganze Wahrheit: Julia Ruhs fliegt als "Klar"-Moderation beim NDR raus. Die Verlogenheit der Wir-haben-verstanden-Rhetorik wirkt umso übler, weil NDR-Programmdirektor Frank Beckmann in demselben Text behauptete: "Die Vielfalt der Perspektiven in unseren Programmen abzubilden, ist stets unser Ziel. 'Klar' kann dafür einen Beitrag liefern."

Die Sendung, deren Erfolg auf Ruhs zurückgeht, soll weiterhin "Streitfragen aufgreifen, die in der Mitte der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden" - nur halt ohne die 31-Jährige. Denn die siedeln sehr viele Mitarbeiter beim NDR nicht in der Mitte, sondern im Reich des Bösen an. Anja Reschke gewährte - ironisch überspitzt - einen Einblick in diese Sichtweise, als sie Ruhs in ihrer Sendung "Reschke Fernsehen" als "ein bisschen rechtsextrem" bezeichnete. Sie bezog sich auf die erste Ausgabe von "Klar", in der es um Zuwanderung und Ausländerkriminalität in einer Art und Weise ging, die politisch links Orientierten ein Grauen war.

Versprochene "Perspektivvielfalt" ad absurdum

Beckmann hat recht, wenn er sagt, dass man im Sinne der Meinungspluralität "mit mehreren Köpfen die Sendung präsentieren kann". (Beim BR macht Ruhs weiter.) Aber das kann man sich auch vorher überlegen. Es mag zudem sein, dass Ruhs redaktionelle und inhaltliche Fehler begangen hat. Dann muss man halt daran arbeiten und sich wappnen, statt die Moderatorin zu feuern. Man fragt sich, ob irgendjemand in der Chefetage des NDR ernsthaft geglaubt hat, dass es funktioniert, "Klar" nicht einzustellen, aber das Gesicht der Sendung zu schassen. Kein Wunder, dass von "Cancel Culture" und vom "Ende der Meinungsfreiheit" gesprochen wird.

Das Absetzen von Ruhs fiel zeitlich mit dem offiziellen Wechsel des Intendanten beim NDR - Joachim Knuth übergab den Posten an Hendrik Lünenborg - zusammen, was dem Ganzen unfreiwillig die Krone aufsetzte. Manuela Schwesig, SPD-Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern, nannte es laut NDR auf der Feier "gerade jetzt besonders wichtig", dass "die Menschen sich wiedersehen und ihre Geschichten, dann haben sie den Eindruck, dass auch sie selbst gesehen werden". Exakt das ist ein Problem vor allem in Ostdeutschland, dass Hunderttausende Monat für Monat Gebühren zahlen (müssen), ohne das Gefühl zu haben, dass ihre Positionen, ihre Sicht auf die Welt widergespiegelt wird.

Der neue Intendant Lünenborg verkündete, "den Dialog mit den Menschen weiter vertiefen und noch stärker auf Perspektivvielfalt setzen" zu wollen. Das klang - gemessen am Fall Ruhs - wie Realsatire. Und es ist gut, dass Unionspolitiker aufbegehrt haben und von einem schlimmen Signal für die Meinungsfreiheit sprachen. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther entschied sich kurzfristig um und nahm statt an dem Festakt des NDR in Hamburg an einer Veranstaltung mit Ruhs unter dem Titel "Debatte erwünscht? Meinungsvielfalt und Medienkultur" in Kiel teil. Der Christdemokrat lobte den BR, weil er an der Moderatorin für "Klar" festhält.

Eine Torheit ohnegleichen

Günther ist nun wahrlich kein Rechtskonservativer oder Rechtspopulist. Das sollte dem NDR zu denken geben, auch den rund 250 Mitarbeitern, die schon im Frühjahr nach der ersten "Klar"-Sendung einen Protestbrief gegen Ruhs verfassten. Sie erklärten darin laut Medienberichten, das Magazin spalte die Gesellschaft. In der politischen Betrachtung von links wird das stimmen. Nun spaltet das Absetzen von Ruhs allerdings auch die Gesellschaft. Wem ist damit geholfen? Zumal es mit der Frau eine trifft, die sich verbal nie scharf äußert und sich eindeutig zum gebührenfinanzierten ÖRR bekennt. Am Tag nach ihrem Rauswurf sagte sie: "Der Öffentlich-Rechtliche hat vielleicht ein kleines Ausgewogenheitsproblem." Das klingt nicht nach Attacke mit dem Ziel, zu polarisieren.

NDR und BR hatten das Format ja gerade deshalb mit Ruhs ins Leben gerufen, um Leute wieder für den ÖRR zu gewinnen, die ihn längst nicht mehr schauen. Leute, die gefühlte oder tatsächliche Belehrungen satthaben, wie die Gesellschaft gefälligst auszusehen habe und unter welchen Umständen man sich zu den guten Menschen zählen dürfe.

Wahr ist aber auch: Die Kritik am ÖRR ist maßlos überzogen, wie gerade die Debatten zu den Äußerungen von Dunja Hayali und Elmar Theveßen über die Ermordung der Ikone der rechten US-Jugend, Charlie Kirk, zeigten, denen irrerweise unterstellt wurde, sie rechtfertigten mehr oder weniger offen die Ermordung des Aktivisten.

Doch abgesehen davon: Nichts braucht eine Demokratie so sehr wie Medien in öffentlicher Hand. Der NDR hat das System mit seinem Dilettantismus diskreditiert und dem Land damit geschadet. Einer rechtskonservativen Moderatorin eine Sendung zu geben, um sie drei Pilotfolgen später wieder abzusägen, ist eine Torheit ohnegleichen. Das Grab, das sich der ÖRR seit Jahren mit all seinen Skandalen, einseitiger oder falscher Berichterstattung, Selbstherrlichkeit und Kritikresistenz schaufelt, wird tiefer und tiefer. Und offenbar merken es die Verantwortlichen immer noch nicht.

Quelle: ntv.de

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