Der Mord an Kirk als Fanal Trump legt die Axt an die Meinungsfreiheit
18.09.2025, 18:37 Uhr Artikel anhören
Wer Donald Trump die falschen Fragen stellt, wird abgekanzelt.
(Foto: REUTERS)
Schon kurz nach den Schüssen auf Charlie Kirk gab Donald Trump die Linie vor: Der Täter sei bei der Linken zu suchen. Viele Anhänger stimmen in den Chor ein, wer andere Meinungen äußert, wird bedrängt. Missliebige TV-Moderatoren werden entlassen. Trump legt die Axt an das wichtigste Grundrecht.
Jimmy Kimmel ist nur der jüngste Fall. Der Sender ABC, der zum Disney-Imperium gehört, will seine Talkshow "in absehbarer Zukunft" nicht mehr zeigen. Was wohl heißt: so lange Donald Trump oder einer seiner Gefolgsleute an der Macht sind. Als Grund werden Kimmels Aussagen zum Mord am Influencer Charlie Kirk genannt. Was genau Anstoß erregt: unklar.
Kimmels Aussagen verharmlosen keineswegs den Mord. Sie kritisieren vielmehr die vorschnellen Schuldzuweisungen aus dem Trump-Lager:
- "Wir hatten am Wochenende einige neue Tiefpunkte, als die Maga-Gang verzweifelt versucht hat", den Mann, der Charlie Kirk ermordet habe, "als alles andere als einen von ihnen darzustellen und alles Mögliche getan hat, um daraus politisches Kapital zu schlagen."
Und hat Kimmel unrecht? Der erste Teil der Aussage ist vage. Fakt ist aber: Noch bevor die Identität des Kirk-Attentäters feststand, noch bevor er gefasst war, machte Trump die "radikale Linke" für den Mord verantwortlich - und instrumentalisierte damit die Tat für seine Zwecke. Die Unterstützer des Präsidenten stimmten gern in den Chor ein.
Nur: Ob der Mord tatsächlich ideologisch bedingt war, ob es ein politisches Motiv gab, ist nach wie vor unklar. Der Festgenommene schweigt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Robinson aus linksextremistischen Gründen handelte. Es ist aber genauso wenig ausgeschlossen, dass er aus der rechtsextremen Ecke kam - von der sogenannten Groyper-Bewegung, die Kirk als zu moderat attackiert hat. Spuren wie die Patronen-Beschriftungen oder andere Äußerungen von Robinson bieten lediglich Indizien, die mehrere Interpretationen zulassen.
Ein Signal an die Anhänger
Kimmel hat ohne Frage einen wunden Punkt getroffen: Er hat die vorschnellen Schuldzuweisungen aus dem Trump-Lager genauso aufs Korn genommen wie die Maßnahmen, mit denen die Regierung seitdem gegen alles vorgeht, was irgendwie "links" ist - was im Zweifelsfall alles ist, was mit der Partei der Demokraten zusammenhängt. Trump hat einen Generalverdacht ausgesprochen und seinen Anhängern damit ein Signal gegeben.
Dass der Tod Kirks dem Präsidenten nahegeht, ist wenig verwunderlich, denn er war ein wichtiger Unterstützer. Über seine Organisation Turning Point USA und einen erfolgreichen Podcast mobilisierte der Rechtskonservative mit Populismus, Provokationen und extremistischen Thesen junge Menschen für den Republikaner, sammelte Spenden für ihn ein. "Er wurde von ALLEN geliebt und bewundert, besonders von mir, und jetzt ist er nicht mehr unter uns", schrieb Trump nach dem Mord - und ließ die Flaggen im ganzen Land auf Halbmast setzen. Privatunternehmen, die der Anordnung für öffentliche Gebäude nicht folgten, wurden im Internet teils heftig angezählt.
Auch Demokraten äußerten ihr Entsetzen über das Attentat. Doch während Ex-Präsident Barack Obama darauf hinwies, dass das Motiv des Täters noch unklar sei, zeigte Trump bereits mit dem Finger nach links: "Seit Jahren vergleichen radikale Linke wunderbare Amerikaner wie Charlie mit Nazis und den weltweit größten Massenmördern und Kriminellen", schrieb er auf seiner Plattform Truth Social. Diese Rhetorik sei unmittelbar für den Terrorismus, den wir heute in unserem Land sehen, verantwortlich. "Meine Regierung wird alle finden, die zu dieser Gräueltat und jeder anderen Form von politischer Gewalt beigetragen haben, auch die Organisationen, die diese finanzieren und unterstützen", schrieb er weiter.
Was er nicht erwähnte: Attacken auf Demokraten. Etwa den Mord an der demokratischen Abgeordneten Melissa Hortman und ihren Mann in Minnesota oder den Brandanschlag auf den demokratischen Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro. Um nur zwei aktuelle Beispiele zu nennen. Es ging Trump in diesem Moment nicht um politische Gewalt oder nur um den Kirk-Mörder, der zu diesem Zeitpunkt ohnehin noch unbekannt war. Es ging ihm um eine Generalabrechnung mit politischen Gegnern, um den Kulturkampf, den er seit Beginn seiner zweiten Amtszeit vorantreibt - Kirk war ein wichtiger Teil davon.
"Im Krieg in diesem Land"
Etliche Anhänger Trumps und andere Figuren der politischen Rechten stimmen mit ein. "Wir befinden uns im Krieg in diesem Land", sagte Trumps Ex-Berater Steve Bannon. Politische Gewalt "ist in den politischen Code der Progressiven eingeschrieben", behauptete der Podcaster Dave Rubin. Trumps Stabschef Stephen Miller kündigte an, "im Namen von Charlie" die "inländische Terrorbewegung" zerschlagen zu wollen, die hinter dem Attentäter stecke. Obwohl bisher nichts darauf hinweist, dass Robinson Mittäter hatte.
Vizepräsident JD Vance wurde konkreter und drohte liberalen Stiftungen wie der Open Society Foundation von George Soros und der Ford-Stiftung, als er im Weißen Haus eine Episode von Kirks Podcast moderierte. Politisch motivierte Gewalt sei kein Problem beider Seiten, behauptete Vance, sondern primär das einer "mächtigen Minderheit am linken Rand" und sprach von einem angeblichen "Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen".
Mit einer regelrechten Kampagne wird Kritik an Kirk in sozialen Netzwerken angeprangert. Dabei geht es nicht nur um geschmacklosen Applaus für den Mord, sondern auch um die bloße Darstellung Kirks kontroverser Äußerungen. Anhänger des Influencers schwärzen die Autoren bei ihren Arbeitsgebern an. Mehrere Entlassungen soll es bereits gegeben haben. Das Argument: Wer Kirk, den Kämpfer für die Meinungsfreiheit, kritisiere, stelle die Redefreiheit infrage. Ausländern wird derweil mit dem Entzug ihrer Visa gedroht. Auch der Hass gegen Transmenschen stieg nochmal an, nachdem bekannt wurde, dass Robinson mit einer Person zusammenlebt, die gerade "vom männlichen zum weiblichen Geschlecht übergeht".
Und Trump? Der sagte schon kurz nach der Festnahme Robinsons: "Ich hoffe, dass er die Todesstrafe bekommt." Seitdem kündigt er immer neue Maßnahmen an. Erst fordert er, Anklage wegen Organisierter Kriminalität gegen Milliardär Soros zu erheben. Nun will er die Antifa-Bewegung (Antifa steht für Antifaschismus) in den USA als "bedeutende terroristische Organisation" einstufen und deren Geldgeber verfolgen. Dabei handelt es sich allenfalls um eine lose Bewegung mit geringer Organisationsstruktur - letztlich könnten die Behörden ihr also willkürlich Gruppen zuordnen.
"All das schützt die Verfassung"
Justizministerin Pam Bondi will derweil stärker gegen Hassrede vorgehen. Auch in der EU und Deutschland gibt es entsprechende Regelungen - nur dass diese aus den USA, etwa von Vizepräsident Vance, immer wieder als Einschränkung der Redefreiheit kritisiert wurden. Es waren Anhänger Kirks, die Bondi auf eine Äußerung des Influencers aufmerksam machten, laut der es rechtlich gesehen in den USA keine Hassrede gibt. "Es gibt eklige Sprache. Es gibt grobe Sprache. All das schützt die Verfassung", heißt es da.
Die Polarisierung in den USA nimmt seit dem Mord an Kirk noch einmal zu. Vieles, was nun passiert, passt zu Trumps Agenda: die Unterdrückung von Andersdenkenden, Repressionen gegen Transmenschen, Einschränkungen bei der Einreise, die Erhöhung des Drucks auf Journalisten und Medien. Das Attentat ist ein Beschleuniger von Maßnahmen, die der US-Präsident seit seinem Amtsantritt verfechtet, indem er gegen Diversitätsprogramme, Universitäten, Konzerne und Medienhäuser vorgeht. Erst kürzlich kündigte er eine Milliardenklage gegen die "New York Times" an, "wegen Verleumdung und übler Nachrede". Auch gegen den Verlag Penguin Random House, der wie ntv zum Bertelsmann-Konzern gehört, geht er vor.
Manche US-Firmen unterstützen Trump dabei, oder leisten voreiligen Gehorsam. Google benannte eiligst den Golf von Mexiko um, Tech-Konzerne hofieren den Staatschef, die Sender CBS und ABC legen Rechtsstreits mit Vergleichen bei. Und dann kündigt CBS im Sommer die Absetzung der "Late Night Show" an, die von David Letterman groß gemacht und von Stephen Colbert weitergeführt wurde. Colbert legt sich gern mit Trump an, verspottet ihn regelmäßig. Im kommenden Jahr muss er gehen, obwohl seine Sendung die erfolgreichste seiner Art ist und er gerade einen Emmy gewonnen hat. Trump feierte das Aus von Colbert und schrieb damals: "Ich höre, dass Kimmel als nächster dran ist. Er hat noch weniger Talent als Colbert!"
Nun ist es soweit. Allerdings bekommt Kimmels Sendung keine Gnadenfrist, sie wird sofort aus dem Programm genommen - und Trump jubiliert. Der demokratische Gouverneur Kaliforniens, Gavin Newsom, der sich längst als Trump-Herausforderer positioniert, protestiert. "Es ist gefährlich", schreibt er auf X. Die Republikanische Partei "glaubt nicht an Meinungsfreiheit. Sie zensieren euch in Echtzeit." Auch Künstler- und Autorengewerkschaften sehen einen Angriff auf die Redefreiheit. Ein Moderator wie Kimmel ist ohnehin nur die Spitze des Eisbergs, ein besonders bekanntes Beispiel. Wie viele Journalisten mehr verstummen einfach?
Der Tod von Charlie Kirk, der Einschränkungen von Meinungsäußerungen abgelehnt hat, ist zum Fanal geworden. Zum Ausgangspunkt von scharfen Maßnahmen gegen alles, was irgendwie "links" aussieht, gegen alle Meinungen, die sich Trump widersetzen. Woran Trump seit seinem Amtsantritt im Januar arbeitet, gewinnt eine ungeheuerliche Dynamik. Ausgerechnet Trump, der linken Gruppen immer wieder eine angebliche "Cancel Culture" unterstellt hat, legt die Axt an das wichtigste Grundrecht der USA. Eine starke Gegenwehr ist derzeit nicht zu erkennen. Das Attentat verändert Amerika. Womöglich für immer.
Quelle: ntv.de